Auch auf die Gefahr hin, dass Analogien aus der Seefahrt allzu oft zur Beschreibung der Medienwirtschaft herhalten müssen: Das Bild vom großen Tanker, der eine Weile braucht um umzusteuern, passt genau auf Warner Bros. Discovery, jenes Fusionskonstrukt, das vor gut einem Jahr mit 55 Milliarden Dollar an Schuldenlast aus Discovery und dem alten WarnerMedia entstanden ist. Insofern konnten CEO David Zaslav und sein deutscher Finanzvorstand Gunnar Wiedenfels die Analysten bei Vorlage ihrer jüngsten Quartalszahlen sogar an einer Stelle überraschen, an der früher als erwartet sichtbar wird, mit welcher Wucht sie das Ruder herumgerissen haben. Im Streaming-Geschäft arbeitet der Konzern nun erstmals profitabel, mit einem kleinen Plus von 50 Millionen Dollar – ein Jahr vor der eigenen Prognose. Das wurde möglich, weil Zaslav und Wiedenfels die Kosten ihrer beiden Plattformen HBO Max und Discovery+ im Lauf des vergangenen Jahres um heftige 760 Millionen Dollar gekürzt haben.
Man muss sich das als Schock im System vorstellen, insbesondere für all jene, die fleißig daran mitgewirkt hatten, das Geld mit vollen Händen in immer neue Serien und Filme zu stecken. Solange Warner noch zu AT&T gehörte, verfolgte die alte Führung unter Jason Kilar das Ziel, die Abo-Zahlen so schnell wie möglich nach oben zu treiben – koste es, was es wolle. Folglich versank das Streaming-Geschäft noch vor einem Jahr mit über 500 Millionen Dollar pro Quartal in den Miesen. Bei den Erlösen hat sich seither nicht viel getan: Über die letzten zwölf Monate kamen nur 700.000 Abonnenten in den USA und 800.000 außerhalb hinzu. Das verbesserte Ergebnis kam allein dadurch zustande, dass die Produktion eigener Spielfilme sowie eigener Reality-Formate für HBO Max abgestellt und die Produktion eigener Serien außerhalb von HBO stark beschnitten wurde, inklusive entsprechender Massenentlassungen. Inhaltlich macht das sogar Sinn: Warner Bros. hat ohnehin Kinohits wie "Black Adam", "Elvis" oder "Evil Dead Rise", die im zweiten Auswertungsfenster auf der Plattform punkten. Discovery lässt ohnehin Reality-Kracher wie "90 Day Fiancé" oder "MILF Manor" produzieren. Und HBO liefert ohnehin die besten Zeitgeist-Serien von "The Last of Us" bis "House of the Dragon".
Aus internationaler, sprich: nicht-amerikanischer, Sicht ist die künftige Streaming-Strategie von WBD sowieso noch unklar. Ein bedeutender Baustein in Zaslavs und Wiedenfels' Cashflow-Optimierung ist nämlich auch, mehr eigene Programme an Dritte zu lizenzieren, als Kilar das je getan hätte. Allein zwischen Februar und Mai verlängerten sie in fünf wichtigen Märkten die Deals über aktuelle und künftige HBO-Serien, Warner-Bros.-Filme und Max Originals um mehrere Jahre, nämlich mit Foxtel in Australien, U-Next in Japan, Viacom18 in Indien, OSN im Nahen Osten und Bell Media in Kanada. Das heißt: In keinem dieser Länder wird WBD auf absehbare Zeit mit seiner eigenen Plattform an den Start gehen. Mit anderen Worten: lieber dicke Schecks von bewährten Partnern als das unternehmerische Risiko eines Direct-to-Consumer-Geschäfts im Ausland.
Damit umgeht WBD übrigens auch gesetzliche Mindestvorgaben zur Produktion von lokalem Content, wie sie etwa in Kanada – aber natürlich auch den EU-Staaten – seit einiger Zeit für Streaming-Plattformen gelten. Es ist daher nicht weit hergeholt, wenn die US-Medienanalysten von LightShed Partners vor wenigen Tagen die Frage in den Raum stellten, ob von einem "ähnlichen Vorgehen bei der Ende 2024 anstehenden großen Sky-Verlängerung für UK/Deutschland/Italien (zuletzt im Oktober 2019 für fünf Jahre verlängert)" auszugehen sei. Und weiter: "Warum sollte Max unbedingt global sein? Warum nicht einfach auf den US-Markt konzentrieren und im Ausland an Dritte lizenzieren?" Eine konkrete Antwort darauf steht noch aus, sieht man mal von Zaslavs allgemeinem Bekenntnis ab, man werde für jeden einzelnen Markt die "ökonomische Analyse" vornehmen, ob Plattform oder Programmverkauf der bessere Weg zur Profitabilität sei.
Obwohl WBD noch immer damit beschäftigt ist, die letztjährige Fusion zu verdauen, richtet vor allem die Wall Street schon den Blick auf den nächsten potenziellen Merger. Die Tatsache, dass Comcast-Boss Brian Roberts nach dem plötzlichen Rausschmiss von NBCUniversal-CEO Jeff Shell seine rechte Hand Mike Cavanagh als Interimslösung eingesetzt hat, interpretieren Analysten als Anzeichen für die Vorbereitung einer NBCU-WBD-Fusion. Im Hintergrund sollen Anwälte und Finanzer beider Firmen die möglichen Rahmenbedingungen eines solchen Schritts bereits prüfen – auch wenn seitens WBD vor April 2024 nichts passieren kann, weil man so lange noch an die gesetzlichen Regeln des für die Warner-Übernahme gewählten Steuersparmodells gebunden ist.
Im Fall eines Mergers kämen mit Universal und Warner zwei starke Hollywood-Studios zusammen, von denen eines angesichts des Kartellrechts wohl ausgegliedert werden müsste, außerdem hochprofitable Freizeitparks sowie mit Max und Peacock zwei Streamer, die vereint eine bessere Chance hätten, quantitativ gegen Netflix zu bestehen. Zaslav, so wird gemutmaßt, würde CEO des neuen Großkonzerns – mit Comcast als Mehrheitseigner. Roberts hatte 2018 vergeblich versucht, Disney bei der Übernahme von 20th Century Fox auszustechen. "Beide Männer sind höchst kompetitiv", schrieb US-Finanzjournalist und Ex-M&A-Banker William Cohan unlängst über Roberts und Zaslav, "und ich glaube nicht, dass sie sich dauerhaft mit der zweiten Geige gegenüber [Disney-Chef] Iger zufriedengeben." Deshalb sei diese Kombination "nicht nur unvermeidlich", sie wäre auch ein "starkes Gegengewicht zu den Molochs Disney und Netflix". Der Tanker, er würde abermals anwachsen.