Die Nazi-Keule kommt immer dann zum Einsatz, wenn Argumente ein Thema nicht mehr öffentlichkeitswirksam zuspitzen. Boris Palmer zum Beispiel hat den Groll gegen Kritik seines kruden Hangs zum N-Wort gerade mit Worten dekoriert, die auf jeder Querdenken-Demo zu hören sind. Irgendwas mit Judenstern halt. So ticken Populisten. Wenn der sachliche Moderator (Michael Sahr) eines sachlichen Senders (Phoenix) das sachliche Panel (18,36 Euro) der sachlichen Medientage Mitteldeutschland (in Leipzig) mit Joseph Goebbels eröffnet, ist allerdings Obacht geboten.
Es soll zweifellos ein bisschen polemisch sein, die prominent besetzte Diskussion über Höhe, Sinn und Zweck der Finanzierung von ARD, ZDF, Deutschlandradio mit Hitlers Propagandachef einzuleiten. Falsch aber wird es dadurch nicht. Sahr, publizistisch Kirchenexperte, will das polarisierende Thema bloß geschichtlich einordnen, als er das Cover des ZDF-Belegschaftsmagazins „Kontakt“ hochhält und mit dem Goebbels-Foto darauf erklärt, keine Medienlandschaft sei vor extremistischer Einflussnahme sicher. Schon gar nicht die deutsche.
Damit also solle das gerechtfertigt werden, was die Branche seit Tagen mal pöbelnd („Bild“), meist konstruktiv (alle anderen) diskutiert: die elf öffentlich-rechtlichen Sender haben der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) termingerecht ihren Finanzbedarf bis 2028 gemeldet. Die Summe ist unbekannt, da ihre Nennung aus Sicht der anwesenden ZDF-Verwaltungsdirektorin Karin Brieden ein Dreivierteljahr vorm Beschluss "absolut unseriös" wäre. Dennoch lässt die Wahrscheinlichkeit der ersten Erhöhung seit 2009 schon jetzt vielerorts den Blutdruck steigen.
Der KEF-Vorsitzende Martin Detzel versucht daher erstmal Druck vom Kessel zu nehmen und erklärt ein Prozedere, das selbst Eingeweihte kaum unfallfrei erklären. Das Verfahren, sagt der humorbegabte Professor, sei „kein Freilandversuch, es basiert auf Verfassungsrecht“, weshalb am Ende eigentlich „alle immer gut mit dem Ergebnis leben können“. Wie so oft an einem sonnigen Mai-Nachmittag erntet er dafür als einziger der sieben Gäste auf Bühne A Gelächter. Kein Wunder – ist das Thema wie erwähnt ernst genug für Nazi-Vergleiche, die Karola Wille sogar gesamtdeutsch erweitert.
Als MDR-Intendantin in Sachsen zuhause und auch sprachlich hörbar dort verwurzelt, flankiert sie die Goebbels-Eröffnung mit dem Hinweis, für gleichgeschaltete Medien müsse man keine 78 Jahre rückwärts reisen; es reichen ganze 34. Da nickt auch die Rheinland-Pfälzische Staatsbeauftrage für Medien, Heike Raab, zwei Stühle weiter zustimmend. Und als sie später beteuert, „wir ziehen hier alle am selben Strang“, scheint sich das prominent besetzte Podium einig zu sein, was die Rundfunkabgabe (Staatsvertrag) oder Zwangsgebühr (AfD) ist: ein Demokratie-Stabilisator.
Dass Phoenix die Debatte live zeigt, unterstreicht ihre Bedeutung wie ein vollbesetzter Saal der Baumwollspinnerei. Das Thema lebt, das Thema bewegt, das Thema ist selbst unter Gleichstrangziehenden aber umstritten, weshalb die Diskussion darüber, was mit 18,36 Euro plus x ab 2025 passieren soll – und was nicht. Auf der einen Seite: die öffentlich-rechtlichen Wille und Brieden. Auf der anderen: CDU-Mitglied Oliver Schenk (CDU), als Chef der sächsischen Staatskanzlei ebenso GEZ-kritisch wie RTL-Medienpolitiker Claus Grewenig, Chef des Privatsenderverbands VAUNET.
Durchschnittsalter 50+, Durchschnittswurzel deutsch, das Podium ist zwar geschlechter-, aber nicht alters-, gar herkunftsparitätisch besetzt. Umso erstaunlicher, dass erst nach einer Dreiviertelstunde erstmals der Begriff „Zeitung“ fällt. Denn hier drinnen wie da draußen geht es ja gern um öffentlich-rechtliche Angebotserweiterungen, die Verlage stets kritisieren, sobald sie textlich sind, Online-Medien, sobald sie digital sind, und Privatsender – nun ja, die kritisieren eigentlich alles überall und jederzeit. Gerade bezüglich der Werbung.
Die nämlich, meint RTL-Mann Grewenig, sollte ARD und ZDF selbst vor der „Tagesschau“ untersagt werden. Um inhaltliche Ressourcen freizumachen – sagt er laut. Um eigene Einnahmen zu erhöhen – fügt er leiser hinzu. Und erntet Widerspruch von Karin Brieden, die nicht ganz zu Unrecht anmerkt, dass Einnahmeausfälle in Zeiten hoher Inflation zur Beitragserhöhung führen. CDU-Mann Schenk wiederum stellt ebenso zu Recht die Notwendigkeit elf autonomer Verwaltungsapparate infrage, während beide ein wenig über die Auslagerung linearer Angebote ins Digitale meckern, was Karola Wille mit veränderten Sehgewohnheiten kontert. Es ist kompliziert. Und doch so einfach.
Denn öffentlich-rechtliches, staatsvertraglich grundiertes, beitragsfinanziertes, inhaltlich umfassendes Fernsehen – das bestreitet hier niemand – ist für pluralistische Demokratien unerlässlich. Nötig dafür seien allerdings noch mehr Überzeugungsarbeit und Kalkulationsrealismus (O-Ton Wille), Akzeptanz und Transparenz (O-Ton Detzel), Digitalisierung und Zukunftsrat (O-Ton Raab), gemeinsame Plattformen und Regionalität (O-Ton Schenk), bei weniger Krimis und Reklame (Grewenig).
Alles richtig, alles bekannt, alles im Jahr 1 nach den Skandalen bei RBB und NDR zu wichtig, um es nicht bei jeder Gelegenheit aufs Neue öffentlich, laut, sachlich wie hier zu diskutieren. Dafür Verantwortliche säßen schließlich „nicht zwischen den Stühlen“, wie Heike Raab übers Land, die Medien und drei Dutzend Diskussionsrunden der 23. Medientage Mitteldeutschlands feststellt, „sondern mitten unter den Menschen“. Genau 90 Jahre nach dem Gleichschaltungsgesetz der Nazis kann man diese Keule gar nicht oft genug schwingen.