Beim Versuch, Sat.1 zu retten, scheint es bisweilen, als seien dem Team um Doppel-Senderchef Daniel Rosemann die guten Ideen für ProSieben ausgegangen zu sein. Nachdem der Sender jahrelang - nicht zuletzt dank der Kreativschmiede Florida TV - im Akkord frische Show-Konzepte auf den Schirm brachte und mit Formaten wie "Joko & Klaas gegen ProSieben", "Wer stiehlt mir die Show?" oder "The Masked Singer" weite Strecken seiner Primetime-Strecken füllt, waren innovative Neustarts zuletzt rar gesät.
Die beste Idee, die ProSieben im Show-Bereich hatte, liegt inzwischen schon beinahe eineinhalb Jahre zurück und ist streng genommen alles andere als taufrisch. Doch mit dem Comeback von "TV total" ist dem Privatsender gelungen, wovon andere meist nur träumen können: Im Alleingang bespielt Stefan Raabs Nachfolger Sebastian Pufpaff seit Ende 2021 beinahe ganzjährig den prominenten Sendeplatz am Mittwoch um 20:15 Uhr - und wird für diese für das deutsche Fernsehen ungewöhnliche Konstanz vom Publikum seit einigen Monaten mit steigenden Quoten belohnt, jüngst waren gar fast 16 Prozent Marktanteil drin.
"TV total" ist zu einer Art "Happy Hour" für ProSieben geworden, um die sich die Verantwortlichen des Senders keinerlei Gedanken mehr machen müssen. Ganz im Gegensatz zu "Late Night Berlin", der anderen wöchentlichen Comedyshow, die ProSieben im Programm hat. Nicht nur, dass die Show mit Klaas Heufer-Umlauf auf einem zunehmend undankbaren Sendeplatz mit wechselnden Anfangszeiten - leider - beinahe unbemerkt läuft; jüngst musste "Late Night Berlin" der "TV total"-Neuauflage zunächst sogar den prominenten Wiederholungs-Sendeplatz nach "Wer stiehlt mir die Show?" überlassen.
Eines ist "TV total" dabei freilich nicht: Innovativ. DWDL.de-Kolumnist Peer Schader hat die Sendung bereits vor einem Jahr in seinem "Hauptstadtstudio" auseinandergenommen. Sein eindeutiges Urteil: "Wahnsinnig stumpf" sei der Humor - und der "Zaubertrank von früher" schmecke inzwischen "eher nach abgestandener Wurstbrühe".
Womöglich liegt der Erfolg von "TV total" aber gerade darin begründet. Während sich Comedy- und Satireshows heute oft über ihre Haltung definieren und inzwischen gar im Titel für sich in Anspruch nehmen, die Welt retten zu wollen, bedient sich Sebastian Pufpaff erstaunlich schamlos des platten Humors der 90er und 2000er Jahre. Die Handschrift seines Vorgängers Stefan Raab, der auch heute noch als Produzent im Hintergrund die Strippen zieht, hat Pufpaff nach inzwischen deutlich mehr als 50 Ausgaben längst verinnerlicht - und dabei den feingeistigen Witz, der ihn etwa in seinem Pandemie-Solo bei 3sat auszeichnete, komplett über Bord geworfen.
Gesellschaftskritik ist bei "TV total" allenfalls dann zu erwarten, wenn Pufpaff über das Gendern witzelt. Ansonsten genügt sich der Moderator mit der Rolle, die Geissens beim Blutdruckmessen aufs Korn zu nehmen, über stolpernde "Topmodel"-Kandidatinnen zu lästern oder den verünglückten Auftritt von Mark Keller und seinem Sohn in der "Giovanni Zarrella Show" auszuschlachten. So erstaunlich das klingt: Mit einer Art von Humor, die einst im deutschen Fernsehen gang und gäbe war, füllt "TV total" mittlerweile eine echte Lücke. Frei nach dem wunderbaren Satz, den einst Jürgen Becker, der langjährige Gastgeber der "Mitternachtsspitzen", sagte: "Kabarett schön und gut, aber man muss auch mal einen Witz machen dürfen." Oder, um es auf "TV total" zu münzen: Stumpf ist Trumpf.
Trotz seiner Antiquiertheit hat "TV total" auch 2023 einen berechtigten Platz im Fernsehen verdient - erst recht in der wöchentlichen Dosierung, die längst ohne lästige Gäste, Preise oder "Blamieren oder kassieren" auskommt. Jetzt müsste sich bei ProSieben nur noch jemand überlegen, wie sich dieser Rückenwind besser nutzen lässt als das derzeit mit dem ohnehin massiv zusammengestauchten Journal "Zervakis & Opdenhövel. Live" der Fall ist. Dafür wäre möglicherweise dann doch mal wieder eine innovative Show-Idee vonnöten.
"TV total", mittwochs um 20:15 Uhr, ProSieben