Wer tagein, tagsaus deutsches Mainstreamradio hört und bei allem mitmacht, wozu er aufgefordert wird, der hat mitunter viel zu tun. Da müssen gerne mal Zehner gesammelt werden, die im Falle einer dann im Radio genannten Seriennummer deutlich mehr Wert sein können. Rechnungen für kaputte Haushaltsgeräte, Heizkosten oder jeglichen Firefanz lassen sich ebenso bezahlen, sofern zur richtigen Zeit gehört wird wie auch bestimmte Money Hits in den laufenden besten Musik-Mixe für einen Geldsegen sorgen. All diese Radiogewinnspiele haben letztlich ein Ziel: Sie sollen Aufmerksamkeit erregen, sie sollen Einschaltimpuls sein und letztlich die Menschen dazu bringen, zu sagen, dass sie einen entsprechenden Sender gehört haben, wenn denn das Telefon klingelt und via Umfrage die aktuellen Radioquoten erhoben werden.
Doch wie sehr die teils schon in die Jahre gekommenen Gewinnspielideen auch 2023 wirklich noch tauglich für Reichweitensteigerungen sind, darüber ist sich die Branche ein Stück weit uneins, wie DWDL-Gespräche mit mehreren Entscheidern ergab. Major Promos, welcher Art auch immer, haben die meisten privaten Sender derzeit noch im Programm. Und doch ist spürbar, dass die große Faszination an den Radiogewinnspielen möglicherweise nachgelassen hat.
Die Zeit der schreienden Gewinnspiele ist vorbei. So viel ist klar. Daniel Lutz, Programmchef Antenne Bayern
Wie also lässt sich die Rechnung perfekt umsetzen – und wie keinesfalls? Antenne Bayern versucht derzeit nach Angaben von Daniel Lutz, "gerade Gewinnspiele besonders unterhaltsam umzusetzen." Als Beispiel nennt er die Tatsache, dass sein Sender einer zwölfjährigen Sportschützin die Rechnung für ein Luftgewehr gezahlt habe. So entstand im Programm mit Hörerinnen und Hörern eine "lebhafte Diskussion", wie sich Lutz erinnert. "Die einen fanden es toll, die anderen sahen darin ein Problem, wenn Kinder mit Waffen umgehen." Die anschließende Debatte hatte dann also mit einem Gewinnspiel gar nichts mehr zu tun. Die Rechnung als Startschuss für Programminhalte – kein neues Element im Programm, aber eines, das Radiomacherinnen und -macher seit Jahren konsequent nutzen, weil die Themen direkt vom Menschen kommen.
Diskussion um Diskussionen
Auch Marc Haberland weiß, dass es Sender gibt, die den Rechnungsgegenstand "sehr ausführlich thematisieren – bis zu scheinbar kontroversen Diskussionen unter den Mods, ob man diese und jene Rechnung bezahlen darf oder nicht" – und macht es dennoch anders. "Wir wollen die Spielrunden für alle so kurz wie möglich halten. Aufruf, Rückruf, Payoff, Glückwunsch, Tease, weiter geht’s. Kritiker wenden hier ein 'Aber ihr verschenkt die Geschichte hinter der Rechnung'". Genau das wird bei 104.6 RTL aber für überbewertet gehalten, sagt Haberland. "Natürlich ist zwischendurch auch mal eine originelle Rechnung dabei. Aber die meisten Menschen haben ganz normale Rechnungen – Möbel, Shoppen, Reisen, Elektronik, usw – und sie sollen merken, dass man damit gewinnt. Und bei inzwischen tausenden bezahlten Rechnungen ist es für die Nicht-Teilnehmer einfach nicht interessant, ob sich Ingrid Müller aus Charlottenburg einen Dackel gekauft hat oder Bernd Müller aus Eberswalde eine Woche Dubai bucht."
Auch Stephan Offierowski, Programmchef von Hitradio Antenne 1 in Baden-Württemberg sagt: "Ich werde im Programm keine Rechnungen mehr bezahlen." Seinem Gefühl nach ziehe das Ding nicht mehr. "Wenn man 20 Jahre lang die gleiche Promotion, das Rechnungbezahlen, überall spielt, dann steckt da natürlich eine Einfallslosigkeit dahinter." Zumal die Rechnung auch nicht dafür gesorgt habe, an anderer Stelle entstandene Reichweitenproblematiken aufzufangen, erklärt der Antenne 1-Programmverantwortliche. "Und somit kommen wir mit dem Bezahlen von Rechnungen aus dem momentanen Tief auch nicht heraus."
Wenn man 20 Jahre lang die gleiche Promotion, das Rechnungbezahlen, überall spielt, dann steckt da natürlich eine Einfallslosigkeit dahinter. Stephan Offierowski
Haberland verweist indes auf die "mobilisierbare Gruppe von RadiohörerInnen, die durch attraktive Gewinne bewegt werden können, häufiger einzuschalten und/oder länger dranzubleiben." Über die Faktoren "häufiger/länger" baue man Reichweite auf.
Man kann aber beim Design von Radiogewinnspielen auch viel falsch machen. "Ein schlechtes Gewinnspiel ist ein Spiel ihne strategischen oder taktischen Nutzen", erklärt Beraterin Malak. Ein ganz schlechtes Spiel sei etwa eines, für das man nicht einmal Radio hören müsse. Auch schlecht sei: "viele Hürden, um mitmachen zu können, lange Erklärungen, fehlende Verabredungen oder komplizierte Modi. Alles leider auch 2023 immer noch Alltag im deutschen Radio", moniert sie. Fehler, die speziell hinterm Mikro gemacht werden könnten, seien etwa nicht nachvollziehbare Aufrufe oder Payoffs oder langwierige Aufllösungen.
Wie geht es aus der Sicht von Malak richtig? Ein gutes Gewinnspiel löse für einen Sender ein Problem. "Zuerst muss man als Radiomacher überlegen, wo das Gewinnspiel ansetzen soll: haben wir ein Imageproblem, ein Morgenshowproblem, ein Recycling-Problem? Wenn das identifiziert ist, kann man anfangen, sich einen passenden Modus zu überlegen." Längst sei das aber nicht üblich. Einige Radiomacherinnen und -macher würden sich, so Malak, sagen: "Sender XY macht dieses Spiel, der Sender ist erfolgreich, also mache ich das auch. So funktioniert strategisches Radiomachen aber nicht."
Und in der Tat verfolgt jedes noch so simpel klingende Radiogewinnspiel vielfach durchachte Strategien. 'Das geheime Geräusch' habe früher über die hohen Gewinnsummen und die Einfachheit funktioniert, erinnert sich Offierowski. "Viele Hörer waren der Meinung, sie hätten es schon erraten und sind wahnsinnig geworden, wenn wieder jemand on air eine falsche Lösung genannt hat. Solche Spiele machen Radiosender in erster Linie nicht für die Gewinner, sondern für die Voyeure." Der Trick sei dann, die Gewinnrunden maximal unterhaltend zu gestalten. "Ich erinnere mich an die heute wegen Datenschutzbestimmungen gar nicht mehr möglichen 50.000-Euro-Anrufen. Das Spiel hat nur dann funktioniert, wenn jeder Pay-Off maximal unterhaltend war. Bei uns musste damals in Niedersachen Morning-Moderator Schollmayer sich einen Wolf telefonieren. Das war aber extrem lustig und unterhaltend, aber eben auch sehr aufwändig."
Geld spielt(e) keine Rolle
Und entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass – wenngleich die Wichtigkeit von Radiogewinnspielen abgenommen und so mancher Modus abgenutzt scheint – auch künftig große Programm-Promotions im Herbst und Winter laufen, die alle nur einen Zweck haben. Aufmerksamkeit erzeugen und dafür sorgen, dass die zuhörenden Menschen auch Wochen später, wenn sie am Telefon gefragt werden, welchen Sender sie denn nun gestern gehört haben, "das Richtige" antworten.