Valerie Weber © WDR/Annika Fußwinkel
Wer das Wort "Fachkräftemangel" googelt, erhält aktuell um die 14 Millionen Ergebnisse – nicht wenige Branchen ächzen darunter, dass sie längst nicht mehr alle ausgeschriebenen Stellen besetzt bekommen und die Mediengattung Radio gehört dazu. "Wenn Sie gerade freier oder fester Nachrichtensprecher sind, können Sie aussuchen, wo Sie arbeiten möchten", berichtet Valerie Weber, die lange Zeit Hörfunkchefin beim WDR war und nun seit etwas mehr als einem Jahr als Programmgeschäftsführerin der Audiotainment Südwest die Programme Big FM, Regenbogen, Regenbogen 2 und RPR.1 verantwortet. "Früher war unsere Bewerbungskiste voll, wenn wir Stellenanzeigen geschaltet haben. Das ist heute kein Selbstläufer mehr", berichtet Weber.

Und auch davon, dass die geburtenstarken Jahgänge demnächst in Rente gehen. Das betrifft Positionen abseits des Mikros insbesondere, aber auch Radiostars, die seit Jahren zu hören sind. Beispiele? Arno Müller, seit Anfang der 90er Morningshow-Host bei 104.6 RTL ist Anfang 60, Sascha Zeus Mitte 60, Michael Wirbitzky und Wolfgang Leikermoser sind beide Ende 50. Auch wenn baldige Abschiede noch nicht zu befürchten sind, die Radiohelden der vergangenen Jahrzehnte werden nicht jünger. Die Suche nach den Radiostars von morgen, sie ist in vollem Gange.



Jan Zerbst © ffn Jan Zerbst
Während ffn-Chefredakteur Jan Zerbst von wachsender Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt spricht, bestätigt Torsten Birenheide, Programmchef bei Radio PSR aus Sachsen, dass die Nachwuchs-Suche schwerer geworden sei. "Es gibt nur sehr wenige richtig gute Talente und um die ist eben ein Wettbewerb ausgebrochen", sagt der Radiomacher. Er sieht daran aber auch eine Chance. Die Situation zwinge dazu, "unsere Marke und unsere Strukturen und die Art zu arbeiten modern zu halten." Da geht auch Jan Zerbst mit. "ffn war schon immer ein Sender für ausgefallene Ideen, besondere Unterhaltung, aufmerksamkeitsstarke Stunts." Er berichtet davon, dass sich insbesondere junge Kolleginnen und Kollegen in seinem Team einbringen können. "Nur mit Begeisterung für's Radio machen geht auch Content on air, über den man spricht. Und nur so bleibt eine inzwischen altehrwürdige Marke wie ffn immer frisch und in aller Munde."

Torsten Birenheide © Radio PSR Torsten Birenheide
Das trifft so ziemlich, das was auch Birenheide meint, wenn er sagt, ein Sender müsse eben ein "attraktiver Arbeitgeber" sein. Man bekomme letztlich immer die Arbeitnehmer, die man verdiene, meint er. Und offenbar verdient PSR nur gute Leute. "Die letzten beiden jungen Menschen, die wir für unsere Marke verpflichten konnten, waren absolute Volltreffer", sagt der PSR-Chef, der seine Neuzugänge als "offen, schlau, lustig und breit zu lernen" umschreibt. "Schafft man ein tolles Umfeld, kommen auch tolle Leute – das ist meine tiefe Überzeugung."

Auch Zerbst berichtet weiterhin vin vielen begeisterten Bewerberinnen und Bewerbern. "Wir haben gute Erfahrungen gemacht kurzen Recruiting-Videos unserer Moderator:innen. Die zeigen den Redaktionsalltag im Funkhaus auch auf Social Media und erreichten junge Leute." Wer dann aber schon im Bewerbungsgespräch erzähle, dass er Radio eigentlich nur noch bei den Eltern im Audio höre, sei sicherlich "kein glühender Fan" des Mediums. Dennoch würde Zerbst "wachsende Begeisterung" speziell bei jungen ffn-Mitarbeitenden beobachten. "Wer einmal live on air war, oder eine Aktion, einen Podcast oder einen Post geplant und umgesetzt hat, will in der Regel nichts anderes mehr machen", meint er.

Schiwa Schlei © WDR/Annika Fußwinkel
Denn Radio habe Einiges zu bieten – davon ist auch 1Live-Chefin Schiva Schlei überzeugt. Sie befasst sich in diesen Wochen ganz besonders mit dem Nachwuchs, haben den Sender doch einige etablierte Stimmen verlassen. "Wir setzen zum einen auf unsere eigenen Talente, zum anderen führen wir aktuell diverse Castings durch, um auch neue Stimmen zu entdecken. Dazu laden wir Menschen ein, deren Bewerbung uns überzeugt hat, größtenteils gehen wir aber selbst auf Moderator:innen zu, die uns beim Screening anderer Sender aufgefallen sind", erklärt sie den derzeitigen Prozess bei der jungen Welle des WDR. Stark auf Personalentwicklung setzen würde man beim WDR, sagt sie. "Viele, die heute moderieren oder künftig den Schritt vollziehen werden, haben bei uns als Reporter:innen angefangen. Bei den Kolleg:innen abseits des Mikros sind die Nachwuchsprogramme des WDR – von „WDR grenzenlos“ bis zum klassischen Volontariat – für uns die erste Rekrutierungsadresse."

Generation TikTok

Das Finden von neuen Radiotalenten, zumindest in der Theorie ist es heutzutage leichter. "Junge Menschen können heute schon selbst senden – etwa auf TikTok, wo man sehen kann, wie jemand performt", weiß Valerie Weber. "Die Schwierigkeit ist dann, dass diese TikToker sich auf ihren Kanälen schon selbst monetarisieren. Ihnen dann zu sagen, dass sie auch im Radio arbeiten können, um ihren eigenen Markenwert zu steigern, ist nicht immer einfach", berichtet die Programmmacherin. Denn oftmals würden Social-Media-Influencerinnen und -Influencer erwarten, direkt bei den Kunden, die in der Stunde den Sender buchen, mitverdienen.

Daher wirbt Weber für gänzlich neue Modelle – und hat selbst eins parat. "Die Zusammenarbeit von Big FM und Lukas Podolski ist ein Beispiel", sagt sie. Es könne ein Weg sein, dass ein solcher Influencer-Star, "wenn er denn zum Markenkern passt, auch mal Sendeschienen auf einem Sender übernimmt. Wahrscheinlich werden wir irgendwann auch Moderatoren nicht mehr für fünf Jahre haben. Eher beflügeln sich Marken für zwei oder drei Jahre – und dann geht man wieder auseinander", glaubt sie.

Im Gegensatz zu Social-Media-Kanälen wie TikTok lenkt nichts Visuelles vom eigentlichen Geschehen ab. Schiwa Schlei über die Vorteile des Radio


Dabei würde Radio, glaubt Schlei, sich deutlich von Social Media abheben. "Es ist auf der einen Seite das Reduzierte: Im Gegensatz zu Social-Media-Kanälen wie TikTok lenkt nichts Visuelles vom eigentlichen Geschehen ab. Es zählen nur die Stimme und der Augenblick. Womit wir beim zweiten Aspekt wären, der Kreative nach wie vor am Radio fasziniert: Es ist das zeitgleiche Live-Erlebnis. Das Wissen, dass ihnen, ihrem Beitrag oder ihrer Pointe live und vor allem zeitgleich mehrere Millionen Menschen zuhören, das sekündliche Feedback, das sie erleben, belegt es. Natürlich kann man auch auf TikTok solche Reichweiten erzielen, allerdings selten zeitgleich."



Privatradio muss also kreativ sein, das weiß auch Weber. Denn: Man werde nicht besser bezahlen können als die Öffentlich-Rechtlichen. "Daher müssen wir in Förderung von Talenten sehr viel investieren, nicht Geld, sondern Engagement", sagt sie. Eine Challenge sei daher auch, junge Menschen zum Bleiben zu bewegen. "Wir können besser als größere Häuser flexibel auf die persönliche Wünsche des Auszubildenden reagieren, weil jemand nicht mehr an fixe Ausbildungspläne gebunden ist. Wessen Herz bei uns für Rock schlägt, der kann von RPR1 etwa zu Regenbogen 2 wechseln", sagt Weber.

Melanie Lidsba © NDR/Hendrik Lüders Melanie Lidsba
Nichts geändert hat sich indes daran, dass "journalistische Grundsätze" die Basis der Arbeit beim Radio seien – "ganzheitliches Denken" sei wichtig, betont Melanie Lidsba, die Programmchefin der jungen NDR-Welle N-Joy. "Daher sollte jede*r für einen Ausspielweg spezialisiert sein und zugleich ein Grundverständnis für verschiedene Ausspielwege mitbringen. Die Umsetzung von Themen liegt dann jeweils bei der Person, die für die jeweilige Plattform eine Expertise haben. 

Wir arbeiten mit Kolleg*innen, die gute Themen finden, weil sie zuhören und fragen. Deshalb ist zum Beispiel Community Management im Messenger der N-JOY App für all unsere Moderator*innen Pflicht. Wir generieren viele Themen aus der Kommunikation mit unseren Nutzer*innen." Wie bei N-Joy gearbeitet werde, könne auch am Beispiel der im vergangene Jahr neu aufgesetzten Morningshow gesehen werden. "Sie war zu Beginn nicht fertig durchkonzipiert. Unser Moderationsteam Martina und Greg haben das in einer Art Werkstatt on air mit dem Publikum gemacht: Ideen vorgestellt, ausprobiert, Feedback eingeholt, verändert, gescheitert, verworfen etc. Das gemeinsame Gestalten durch direktere Kommunikation ist eine Entwicklung, die uns tolle Möglichkeiten bietet." N-Joy als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber hätte in den vergangenen zwei Jahren keine Probleme gehabt, Stellen zu besetzen – auch Initiativbewerbungen gebe es immer wieder. "Die Menschen, die sich bei uns bewerben, sind meistens zwischen Anfang 20 und Mitte 30" – und es gehe fast ausschließlich um Moderation und Nachrichten, "also klassische Radiojobs".

Unsere Themenwoche Radio

  • Mitte kommender Woche werden die neuen Radio-Quoten veröffentlicht. Für Radioverantwortliche sind die Zahlen entweder Bestätigung oder Anlass für Veränderungen. In Zeiten, in denen Radio immer neue digitale Konkurrenz bekommt, stellen sich der Gattung zahlreiche Fragen. Wie muss mein Programmmix aussehen? Funktionieren die über Jahre verwendeten Major Promos noch? Wo finde ich Nachwuchs für's Team und nicht zuletzt: Wie sicher sind bisherige Finanzierungsmodelle? Über all diese Fragen hat DWDL.de mit Entscheidern quer durch die Republik gesprochen. Die Antworten: Diese Woche in unserer Themenwoche.

  

Solche Bewerbungen sehnt auch Valerie Weber bei der Audiotainment Südwest herbei. Bei den Nachrichtensprecherinnen und -sprechern seien die Dienstpläne immer wieder nicht besetzt. On Air geschickt würden mittlerweile – "natürlich im Tandem mit einem Erfahrenen" – auch mal Volontäre in ihrer Ausbildung.

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