Was hat es in den vergangenen Jahren von TV- und Streamingverantwortlichen nicht alles für Versprechen gegeben? Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollten zu ihren eigenen Programmmachern werden, indem sie selbst entscheiden können, was sie wann und wo sehen. Dafür mussten sie meist ein Abo abschließen, konnten sich so aber auch der oft als lästig empfundenen Werbung entledigen. Und tatsächlich hat das Streaming viel verändert und gelernte Sehmuster und Denkweisen durchbrochen. Doch inzwischen hat sich gezeigt, dass das Wachstum der Bezahldienste begrenzt ist und der Markt womöglich gar nicht für so viele Anbieter Platz bietet, wie sie derzeit schon auf dem Markt verfügbar sind.
Also sind die Medienhäuser nun auf einen "neuen" Trend gestoßen, der verdächtig Althergebrachtes erinnert: Lineare Sender, die sich über Werbung finanzieren - aber online so kostengünstig verbreitet werden können, dass man sie im Dutzend anbieten kann. Was vor einiger Zeit wohl noch wenig charmant "linearer Online-Sender" genannt worden wäre, hat heute einen sexy klingenden Oberbegriff: FAST.
Ihr Heil in einer mindestens teilweisen Werbefinanzierung suchen seit einiger Zeit viele: Netflix hat nach jahrelangem Zögern erst vor einigen Monaten ein Abo präsentiert, das zwar nicht gratis ist, dafür aber kostengünstiger und mit Werbung bestückt. Ein ähnliches Modell gibt's bei Disney+, Amazon betreibt mit Freevee einen komplett werbefinanzierten Streamingdienst neben Prime Video.
Zu alledem kommt seit einiger Zeit also nun noch der Trend FAST hinzu. Die vier Buchstaben stehen für "Free Ad Supported Streaming Television". Es ist also im Wesentlichen das, was mal das Free-TV mit seiner Werbung war - nur jetzt eben Online: Lineares Programm, unterbrochen mit und finanziert durch Werbung. In den USA schießen diese Sender schon seit längerem wie Pilze aus dem Boden und auch in Deutschland vergeht kaum eine Woche, in denen nicht ein Medienunternehmen neue FAST-Channel aus dem Boden stampft.
Doch wie nachhaltig ist der FAST-Trend, mal abgesehen von werbefinanzierten Streaming-Modellen à la Netflix und Disney+ tatsächlich? Und überwiegen die Vorteile des klassischen Streamings nicht doch, da man sich eben nicht auf Startzeiten eines linear ausgestrahlten Programms verlassen muss?
Joyn geht Mittelweg und will Angebot ausbauen
Einen Zwischenweg geht hier Joyn, die Streamingplattform, die inzwischen komplett zu ProSiebenSat.1 gehört. 16 solcher Kanäle hat man zu Beginn des Jahres gestartet, darin sehen die Userinnen und User Formate wie "Anna und die Liebe", "K11", "X-Factor" oder Shows mit Joko und Klaas rund um die Uhr. Anders als andere, klassische FAST-Channels kann man bei den Joyn-Sendern einzelne Sendungen von vorne beginnen oder zum nächsten Format in der Auswahl springen. Das erinnert ein wenig an die Funktionsweise von Playlists. Mit der Nutzung der Channels sei man jedenfalls zufrieden, sagt Tassilo Raesig, Chief Executive Officer bei Joyn, gegenüber DWDL.de. "Die Themen-Streams werden sukzessive ausgerollt und in den kommenden Monaten weiter ausgebaut." Schon fest eingeplant sind neue Sender, auf denen "Die Dreisten Drei", "Edel & Starck" oder auch "Beef Battle" non-stop laufen werden.
Was auf FAST-Sendern (nicht) funktioniert, dürfte für Programmmacherinnen und Programmmacher in Zukunft noch eine interessante Frage sein. Es macht ja vielleicht Sinn, leicht konsumierbare Inhalte in FAST-Channels zu bündeln, bei denen die Zuschauenden hängen bleiben können und schnell drin sind. Aber passt die Strategie auch bei hochkomplexen Serien, bei denen man von Anfang dabei gewesen sein muss, um überhaupt etwas zu verstehen? In den USA hat Warner Bros. Discovery "Westworld" von seiner Streamingplattform HBO Max genommen, um sie an FAST-Anbieter zu verkaufen. Aber wer soll einen "Westworld"-Channel sehen, wenn man dort mitten in die Serie hineinstolpert? Wäre diese Serie nicht besser aufgehoben im klassischen Streaming? Es ist eine Wette, deren Ausgang derzeit noch offen ist.
RTL kündigt FAST-Experimente an
Und auch wenn Nieslony sagt, dass Potenzial von FAST sei für den deutschen Markt noch "nicht vollständig absehbar", will auch RTL in diesem Bereich demnächst experimentieren. "Wir glauben, dass der Kunde alle Möglichkeiten für Bezahlinhalte auf einer Plattform vorfinden sollte", sagt er. Neben den Abo-Inhalten wären das also auch solche, die sich über Werbung finanzieren. "Daher werden wir FAST-Channel[s] anbieten und skalieren, wenn der Erfolg sich einstellt." Gegenüber DWDL.de kündigt Nieslony den Start des ersten solchen Kanals für den Sommer an. Unter welchem Motto dieser Channel dann stehen wird, ist aktuell noch unklar.
Pluto TV freut sich über mehr Aufmerksamkeit
Ein Pionier im Bereich FAST ist Pluto TV. Das Streamingangebot aus dem Hause Paramount Global ist schon seit Jahren aktiv auf dem Markt - und freut sich nun über das steigende Interesse der Branche an der gesamten Thematik. "Das große Interesse an FAST begrüßen wir natürlich. Pluto TV hat das Erfolgsrezept, die Fusion von klassischem Fernsehen und Streaming, als erster erkannt", sagt Olivier Jollet, Executive Vice President und International General Manager von Pluto TV, gegenüber DWDL.de. Er meint, mehr Wettbewerb sei erst einmal gut für Pluto TV. "Das Modell FAST gelangt stärker in die Köpfe der Menschen, die Werbeinfrastruktur profitiert von neuen Impulsen und verbesserten Standards."
Aus Sicht der werbungtreibenden Wirtschaft steht das Thema FAST noch am Anfang. Von der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) heißt es lediglich, man habe zu dem Thema keine Daten erhoben und könne daher nichts sagen. Das spiegelt wohl ganz gut wider, dass FAST wenn überhaupt nur bei einzelnen Advertisern angekommen ist und noch längst nicht in der breiten Masse. Bei Joyn werden die Kanäle über Pre- und Mid-Rolls vermarktet. "Wir sind mit den Reichweiten zum Start sehr zufrieden, zumal es inkrementelle Nutzung zusätzlich zur klassischen VoD-Nutzung ist", sagt Joyn-CEO Tassilo Raesig. "Langfristig bieten die Channels den Werbetreibenden die Möglichkeit, durch die dezidierten Content-Farben oder Format-Welten gezielt bestimmte Zielgruppen zu adressieren."
Die Prognosen sind gewaltig
Bei FAST-Pionier Pluto TV hat man schon etwas mehr Erfahrungen mit der Vermarktung entsprechender Angebote. "Viele große Markenhersteller verschieben ihr Werbebudget zugunsten von Connected TV (CTV), was wir mit unseren 80 Prozent CTV-Inventar bestens auffangen", sagt Olivier Jollet. Man erreiche die Zuschauenden zu einem optimalen Zeitpunkt: Auf dem großen Bildschirm und auf der Couch, ohne dass die Werbung übersprungen werden könne. Gleichzeitig biete man den Werbungtreibenden Zielgruppen-Targeting und Messbarkeit des Erfolgs. Im vierten Quartal 2022 seien alle Werbeplätze bei Pluto TV "komplett ausgebucht" gewesen, so Jollet. Ob Pluto TV in Deutschland kostendeckend arbeitet, will Olivier Jollet aber nicht sagen. Der Konzern kommuniziert nur globale Zahlen. Demnach sei die Plattform weltweit profitabel. "In Deutschland haben wir Pluto TV stetig weiterentwickelt und kommen mittlerweile auf mehr als 130 kuratierte Kanäle."
Die Prognosen für die FAST-Branche sind jedenfalls gewaltig. Der Umsatz, den entsprechende Sender in Großbritannien machen, könnte 2027 bei mehr als 500 Millionen US-Dollar liegen, wie jüngst eine Studie von Omdia, beauftragt vom kanadischen Medienkonzern Blue Ant Media, offenbarte. Im vergangenen Jahr sind gerade einmal 128 Millionen Dollar umgesetzt worden. Schon zwischen 2019 und 2022 hatte es in Großbritannien rasante Steigerungsraten gegeben.
Am Ende werden es die Nutzerinnen und Nutzer entscheiden, wie groß FAST tatsächlich wird. Derzeit stürzt sich aber eine ganze Branche in ein Abenteuer, dessen Ausgang ungewiss ist, auch wenn viele optimistisch auf die Potenziale blicken. Gut möglich, dass sich FAST-Channels einreihen werden in die lange Liste an Möglichkeiten, Inhalte heutzutage zu konsumieren, vom linearen Fernsehen, bis hin zu SVoD oder AVoD, Pay-per-View und anderen.