"Kinder sind das Wertvollste, was wir haben – sie zu schützen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch die Verantwortung des Staates." Als Ernährungsminister Cem Özdemir vor einigen Tagen ein geplantes Gesetzesvorhaben vorgestellt hat, wählte er pathetische Worte. Inzwischen ist aber längst ein Streit über das Wie ausgebrochen. Während der Minister auf die Rückendeckung eines "breiten gesellschaftlichen Bündnisses von Wissenschaft und Ärztinnen und Ärzten über Krankenkassen bis hin zu Elternvertretungen" baut, gibt es auf der anderen Seite viel Kritik - und die kommt nicht zuletzt aus der Medienbranche. 

Worum geht es eigentlich? Özdemir will Werbung für ungesunde Lebensmittel verbieten, wenn sich diese Werbung an Kinder richtet. Wenn Produkte zu viel Zucker, Salz oder Fett enthalten, sollen sie künftig zwischen 6 und 23 Uhr nicht mehr beworben werden dürfen - weder im Fernsehen, Radio, Online in der Außenwerbung oder von Influencerinnen und Influencern. Außerdem soll es eine Art Bannmeile rund um Schulen, Kindertagesstätten und Spielplätzen geben. Das hätte massive Auswirkungen einerseits für die werbungtreibenden Unternehmen, aber auch für die Vermarkter der Werbeumfelder. Laut den Zahlen des Marktforschers Nielsen lag die Süßwarenbranche im Januar mit Brutto-Werbespendings in Höhe von rund 36,8 Millionen Euro auf Platz elf der werbestärksten Branchen. Ein Jahr zuvor lag dieser Wert zum Start in das Jahr sogar bei 56,6 Millionen Euro.

Kommt das geplante Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, würden unter anderem die Werbebuchungen der Süßwarenbranche wohl spürbar zurückgehen. Das versucht nun ein Bündnis aus Werbewirtschaft und Medienbranche zu verhindern. Vor einigen Tagen hatten sich schon der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) und der Privatsenderverband VAUNET eindeutig gegen die Pläne von Cem Özdemir gestellt (DWDL.de berichtete). Und gegenüber DWDL.de kommt auch von den meisten deutschen TV-Vermarktern Kritik. 

Was ist Kinderwerbung - und was nicht? 

Alle von DWDL.de angefragten Vermarkter, die einen oder mehrere Privatsender im Portfolio haben, verweisen in ihren eigenen Statements auf die Stellungnahmen von ZAW und VAUNET, denen man sich anschließt. Stephan Karrer, Geschäftsführer von El Cartel Media, sagt aber auch: "Das von Herrn Özdemir vorgeschlagene Werbeverbot hätte massive Auswirkungen auf unsere ganze Branche und stellt eine Überregulierung dar. Zudem fehlt eine tragfähige faktische Grundlage: Lebensmittel sind nicht per se gesund oder ungesund. Auch ist vollkommen unklar, nach welchen Kriterien entschieden werden soll, ob sich Werbung explizit an Kinder richtet."

Tatsächlich gibt es in diesem Punkt noch viele Fragezeichen. Bislang heißt es nur, die Werbung sei dann an Kinder gerichtet, wenn diese "nach Art, Inhalt oder Gestaltung an Kinder adressiert" sei. Das könne durch Kinderdarsteller passieren, aber auch durch die Sprache oder die Aufmachung. Das Werbeverbot würde aber auch im Rahmen von Kinder- und Familiensendungen greifen. Aber richtet sich eine Werbung nun speziell an Kinder? Oder zuerst an deren Eltern bzw. Familien? Und wer soll in Streitfällen entscheiden? Das alles sind bislang ungeklärte Fragen. Oder um es konkret zu machen: Richtet sich ein Werbespot der Marke "Kinder Riegel", in dem ein Schokoriegel und ein Glas Milch ein verliebtes Paar mimen, vor allem an Kinder oder kann man das gar nicht so eindeutig zuordnen? Eine Überprüfungsstelle für solche Inhalte hätte wohl jede Menge Arbeit vor sich. 

Kinder Riegel © Ferrero Ein Kinderriegel und ein Glas Milch verlieben sich in der Schule, später wird geheiratet. Werbung für Kinder oder nicht?

AdAlliance-Geschäftsführer Frank Vogel sieht noch andere Probleme. "Neben der bereits bestehenden Selbstregulierung der Industrie sehen wir bei den aktuellen Vorschlägen Herausforderungen in der Abgrenzung angesichts zahlreicher unklarer Formulierungen", sagt er gegenüber DWDL.de. In der gesamten Branche geht gerade die Angst um, dass das geplante Werbeverbot viel mehr Dinge treffen könnte als "nur" ungesunde Lebensmittel für Kinder. Laut Vogel würde ein Werbeverbot zudem nicht an der Ursache des Problems ansetzen und auch keine nachweisbare Wirkung haben. Er befürchtet stattdessen Kollateralschäden. "In einer Werbemarktsituation, die ohnehin schon extrem herausfordernd ist, würde ein solches Kommunikationsverbot die Branche nachhaltig treffen."

Und auch bei Seven.One Media und WarnerBros. Discovery ist man der Meinung, dass Werbeverbote in die Refinanzierungsfreiheit der Medien eingreifen und damit auch die Medienvielfalt schwächen. "Deshalb werden uns in die kommenden Diskussionen über die tatsächliche Ausgestaltung dieser Gesetzesinitiative direkt und über die Verbände einbringen", heißt es Seven.One Media gegenüber DWDL.de. Und eine Sprecherin von WarnerBros. Discovery sagt: "Auch wir sehen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Werbeverbote als problematisch an und gehen davon aus, dass sie negative Auswirkungen auf die privaten TV-Angebote haben werden."

ARD Media skeptisch, ZDF Werbefernsehen nicht

Unterstützung bekommen die privaten TV-Vermarkter auch von ARD-Vermarkter ARD Media. Das ist insofern überraschend, weil das geplante Verbot die öffentlich-rechtlichen Sender wohl weniger stark treffen würde als die Privaten. Das liegt vor allem daran, dass Kinder überwiegend andere Sender einschalten und bei ARD und ZDF vergleichsweise wenig Werbung zu sehen ist, die sich explizit an die junge Zielgruppe richtet. Uwe Esser, Geschäftsleiter TV bei ARD Media, verweist auf die Regularien in den Rundfunkstaatsverträgen und dem Jugendschutz, dem man verpflichtet sei. Dennoch sagt auch er: "Die Überlegungen in der Politik, Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten, sehen wir mit Skepsis." Er halte Verbote in einer freien Marktwirtschaft grundsätzlich nicht viel zielführend und führt einen weiteren Punkt an: "Es erklärt sich auch nicht, Produkte, die regulär ohne Altersbeschränkung im Handel zu erwerben sind, mit einem Werbeverbot in den Medien zu belegen. Es gehört zur Freiheit dazu, den Menschen bzw. dem Verbraucher das Recht auf Eigenverantwortung einzuräumen."

Weniger offensiv kommuniziert dagegen das ZDF Werbefernsehen. Geschäftsführer Hans-Joachim Strauch sagt: "Der Vorstoß des Ernährungsministers Özdemir, Werbung für ungesunde Lebensmittel zu verbieten oder zumindest stark einzuschränken, würde uns aufgrund der soziodemographischen Zielgruppenstrukturen des ZDF nur im geringen Ausmaß treffen." Anders als sein ARD-Kollege positioniert sich Strauch also nicht explizit - und sprengt so die Einheit der TV-Vermarkter. In Mainz würde man mit einem entsprechenden Werbeverbot also offenbar gut leben können.

 

"Es erklärt sich nicht, Produkte, die regulär ohne Altersbeschränkung im Handel zu erwerben sind, mit einem Werbeverbot in den Medien zu belegen."
Uwe Esser, Geschäftsleiter TV bei ARD Media

 

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft verweist bei der Frage, welche Lebensmittel eigentlich genau unter das Verbot fallen sollen, auf ein Nährwertprofilmodell der Weltgesundheitsorganisation (WHO), an dem man sich orientieren will. Dies sei explizit für die Regulierung der Lebensmittelwerbung gegenüber Kindern entwickelt worden und auch bereits "europäisch eingeführt". Auch daran gibt es Kritik. Der ZAW spricht von einem "intransparenten Prozess" seitens der WHO und keinesfalls sei das Modell "Bestandteil verbindlicher europäischer Regulierung". Lediglich in Portugal sei es modifiziert herangezogen worden, hier liege die Übergewichtsrate von Kindern aber doppelt so hoch wie in Deutschland. Ähnlich sei die Situation in Großbritannien. Außerdem würde die WHO ganze Produktgruppen per se von der Bewerbung ausschließen. Und so befürchtet man, dass rund 80 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel vom Werbeverbot erfasst würden. 

Verbot träfe nicht nur Kindersender

Ein Unternehmen, das ziemlich sicher wohl auch von einem Werbeverbot betroffen wäre, ist Ferrero mit Marken wie Kinder, Duplo, Nutella, Milchschnitte und Yogurette. Mit rund 18 Millionen Euro Brutto-Werbespendings gehörte der Konzern im Januar dieses Jahres zu den Top-Werbern in Deutschland, mehr gaben nur Procter & Gamble und die Lebensmitteleinzelhändler aus. Spannend ist auch, wo Ferrero wirbt. Eine Auswertung der Datenspezialisten von AdScanner zeigt: Mehr als 12.500 Spots von Ferrero liefen seit Beginn des Jahres im deutschen Fernsehen (bis 5. März). Das sind fast 200 Spots pro Tag. Und während der Konzern keine Werbung beim Disney Channel oder Nickelodeon buchte und auch auf Super RTL nur wenige Spots entfielen, war der überwiegende Anteil der Buchungen auf den großen Sendern der TV-Vermarkter zu sehen. 

Ein entsprechendes Werbeverbot würde also keinesfalls nur die Kindersender treffen. Ferrero will sich auf Anfrage nicht äußern und verweist auf ein Statement des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Von dort heißt es, die Pläne des Ernährungsministers seien "nicht verhältnismäßig und zudem verfassungsrechtlich bedenklich". BDSI-Hauptgeschäftsführer Carsten Bernoth fürchtet zudem ein komplettes Werbeverbot für Süßwaren, sollten die WHO-Daten als Grundlage herangezogen werden. "Denn die WHO-Nährwertprofile lassen für diese Produktkategorie grundsätzlich keine Werbung zu", sagt er. Einig sind sich die Verbände zudem in einem anderen Punkt: Es gäbe keine wissenschaftlichen Studien aus denen sich ableiten lasse, dass ein Werbeverbot einen positiven Effekt auf das Essverhalten von Kindern haben würde. Cem Özdemir hat trotzdem andere Pläne. Er sagt: "Werbetreibende können auch weiterhin gegenüber Kindern für Lebensmittel werben, die keinen zu hohen Gehalt an Zucker, Fett oder Salz haben."