Seit einem Monat ist eine fast schon vergessen geglaubte Debatte in der Fernsehbranche wieder aufgeflammt. Seit sich RTL Deutschland dazu entschieden hat, einen neuen Versuch zu unternehmen, die Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen um zehn Jahre bis 59 zu erweitern, wird wieder eifrig über den Umgang damit diskutiert. Viel weiter als vor gut zehn Jahren, als das Thema vor dem Hintergrund des fortschreitenden demografischen Wandels in Deutschland schon einmal auf der Tagesordung stand, ist die Branche allerdings offenkundig nicht - was schlicht daran liegt, dass ProSiebenSat.1 nicht gewillt ist, sich dem Konkurrenten aus Köln vollends anzuschließen, sondern stattdessen lieber weiter mit sogenannten "Relevanzzielgruppen" argumentiert, also verschiedenen Zielgruppen, die den überwiegend komplementär programmierten Sendern entsprechen.
Spannend ist, dass der RTLzwei-Vermarkter El Cartel Media keineswegs den Kölner Kollegen folgt - was letztlich auch an der sejr jungen Ausrichtung des Senders liegt, der gleichwohl mit Formaten wie dem "Glücksrad" oder "Genial daneben" auch zunehmend ältere Publikumsschichten ansprechen will. Es sei richtig, dass das lineare TV-Publikum älter geworden ist, betont Geschäftsführer Stephan Karrer. "Das spiegeln wir in unserem Programm, ohne junge Zielgruppen aus dem Auge zu verlieren, die einfach zur Marke RTLzwei gehören. Deshalb passt 14-49 weiterhin gut. Als marktweit gelernter Maßstab erleichtert das im Tagesgeschäft den schnellen Vergleich zwischen den Sendern. Nicht mehr und nicht weniger.“
Während sich Disney und Paramount nicht äußern wollen, ist man bei Warner Bros. Discovery indes noch zwiegespalten. "Wir beobachten die vielfältigen Debatten rund um relevante Zielgruppen innerhalb der linearen TV-Landschaft sehr genau. Einerseits erscheint eine Erweiterung der als werberelevant definierten Altersgruppe im Hinblick auf den demografischen Wandel sinnvoll, andererseits bedingt diese durch die größere Reichweite auch eine zunehmende Streuung relevanter Daten und damit einhergehend eine geringere Vergleichbarkeit der einzelnen Leistungswerte", sagt eine Unternehmenssprecherin. "Davon abgesehen ist der Werbemarkt vermehrt auf der Suche nach enger definierten Zielgruppen, die thematisch passend zu den jeweiligen Kampagnen angesprochen werden können, was Trends wie Programmatic Advertising beweisen. Es wird spannend zu beobachten, wie sich diese Entwicklungen mit den Diskussionen rund um die Zielgruppen vereinen lassen." Eine konkrete Lösung sieht freilich anders aus.
14-59 hält er dennoch nicht für die richtige Lösung. "Der aktuelle Vorstoß von RTL geht in die richtige Richtung, greift aber zu kurz. Wenn man die aktuelle demographische Entwicklung unserer Gesellschaft betrachtet und die Diskussionen über ein Renteneintrittsalter mit 70 Jahren, kann man absehen, wohin die Reise auch in den Referenzzielgruppen des Vermarktungsgeschäftes geht. Da sind wir dann in einem Bereich, wo wir von den 20- bis 69-Jährigen sprechen. Übrigens dehnt sich auch das Kauf- und Konsumverhalten in diese Richtung aus. Daher sollten wir diese Diskussion konsequent an den Realitäten entlang führen."
Wie kurios der Blick auf eine Zielgruppe sein kann, beweist unterdessen Kai Ladwig und nimmt die Diskussion mit Humor. "Im Dezember diesen Jahres werde ich aufhören zu konsumieren, denn dann werde ich 50 Jahre alt und passe nicht mehr in die Werbewelt die einst - mutmaßlich - Helmut Thoma und Co. für mich vorgesehen hatten", sagt der CMO des Vermarkters Visoon und schiebt schnell hinterher: "Kleiner Scherz, aber ich bin ein gutes Beispiel für die Absurdität dieser einstmals festgelegten Referenzzielgruppe. Die TV-Welt hat sich seit der Einführung des Privatfernsehens verändert und im Jahr 2023 ist die Gruppe der 14- bis 49-Jährigen weniger aussagekräftig für Relevanz und Erfolg bei Zuschauern aka Konsumenten."
Verkauft werde immer schon auf sehr differenzierten Produkt- oder Verwenderzielgruppen, sagt der Visoon-Geschäftsführer und schließt mit einem Augenzwinkern: "Abgesehen davon gewinne ich so noch ein paar Jahre unbeschwerten Konsum als vollwertiger Zielgruppenteilnehmer."