Einen Tag bevor der neue ZDF-Intendant Norbert Himmler an diesem Donnerstag erstmals seit seinem Antritt im April zu einem großen Pressegespräch eingeladen hat, positioniert sich auch noch einmal Tom Buhrow. Der nach dem Schlesinger-Skandal ersatzweise als ARD-Vorsitzender eingesprungene WDR-Intendant positioniert sich mit einer Rede zum 100-jährigen Jubiläum des Übersee-Club in Hamburg als Revolutionärs der Öffentlich-Rechtlichen. In Washington, wo Buhrow einst als Korrespondent für die ARD tätig war, würde man aber sagen: „Too little, too late.“
Es ist eine Rede, die zum jetzigen Zeitpunkt weniger von persönlicher Überzeugung als von dringender Notwendigkeit geprägt ist. Sie hätte kommen können (oder müssen) in jenen Jahren, in denen Buhrow ARD-Vorsitzender war. Doch wie so viele vor ihm, reagierte Buhrow in seiner Amtszeit mehr als dass er agierte - obwohl er genau das verbessern wollte. Gilt jetzt also: besser spät als nie? Gerne wäre er mit seiner Rede in Hamburg ein Revolutionär des Öffentlich-Rechtlichen. Die „FAZ“ tut ihm auch den Gefallen und betitelt seine Gedanken entsprechend, doch die vier Punkte, auf die Buhrow seine Forderungen herunter bricht, geben das nicht her.
„Erstens: Wir müssen aus dem bisherigen System ausbrechen. Zweitens: Wir brauchen dafür einen Runden Tisch, der einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeitet. Eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk. Drittens: Es darf an diesem Runden Tisch keine Tabus, keine Denkverbote geben. Viertens: Wenn wir uns über das Ziel einig sind, brauchen wir Zeit, um es zu erreichen“, so Tom Buhrow. Neu ist allein der runde Tisch, den er sich wünscht. Das klingt vernünftig, macht Änderungen allerdings auch nicht einfacher, weil man bestehenden Organen - in Medienpolitik und Rundfunkräten - vor den Kopf stößt.
Dass Buhrows Rede schon als Revolution wahrgenommen wird, sagt viel über die bisher insbesondere bei den Öffentlich-Rechtlichen selbst gepflegten Denkverbote. Revolutionär sind seine Gedanken nicht. Dass sie ausgesprochen werden, schon eher. Kein Wunder, dass Buhrow seiner Rede vorweg schickte, er spreche privat und nicht als ARD-Vorsitzender. Welch ulkiger Versuch, Buhrows Worte von seinem Amt zu trennen. Warum das Theater? In weniger als zwei Monaten soll planmäßig SWR-Intendant Kai Gniffke den ARD-Vorsitz übernehmen. Da legt man seinem Nachfolger (abzüglich der Weihnachtspause) nicht anderthalb Monate vorher noch ein Ei ins Nest. Also eben zumindest nicht offiziell.
Es kommt nicht von ungefähr, dass der WDR-Intendant und nochmal Kurzzeit-ARD-Vorsitzende gerade jetzt die große Bühne sucht. Nur sehr ungern würde man in der ARD die Deutung der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dem ZDF überlassen. Es ist also eine Positionsbestimmung, bevor am Donnerstag der neue ZDF-Intendant Norbert Himmler erstmals seine Gedanken und Strategie zu dem Thema teilt. Denn nicht nur bei der ARD ist man sich nicht mehr so sicher, wie unzertrennlich ARD und ZDF gemeinsam agieren und argumentieren, wenn die See rauer wird und der medienpolitische Gegenwind stärker.
ZDF-Intendant Himmler hat sieben Monate nach seinem Amtsantritt als neuer Intendant in Mainz zum ersten großen Pressegespräch nach Berlin eingeladen. Eigentlich hätte das schon deutlich früher stattfinden sollen, doch dann kam etwas dazwischen: Die ARD und der Skandal Schlesinger. In Mainz hielt man sich über mehrere Wochen sehr bedeckt, stets bemüht darum zu verdeutlichen: Das ist ein ARD-Skandal. Wurde auch mal ein ZDF-Logo verwendet in Artikeln über die angestoßene Diskussion zur Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen, kam unmittelbar eine Nachfrage aus Mainz: Was das denn solle? Das ZDF habe nichts mit dem ARD-Skandal zu tun.
Beim Deutschen Fernsehpreis 2022 im September wurde von ZDF-Intendant Himmler als dem Gastgeber des Abends in seinen Grußworten natürlich erwartet, dass er das akute Thema in irgendeiner Form adressiert. Doch er tat es nur indirekt mit Verweis auf Bedeutung aber auch Verantwortung der Öffentlich-Rechtlichen. An diesem Donnerstag wird er damit nicht durchkommen. Angesichts weitgehend gemachter Hausaufgaben und seit Jahren anhaltendem Erfolg beim Publikum wird es beim ersten Auftritt des neuen ZDF-Intendanten maßgeblich um die ARD gehen.
Dafür sorgte auch nochmal Tom Buhrow mit seiner Hamburger Rede, weil er die geladenen Gäste laut „FAZ“ fragte: „Will Deutschland weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?“ Ein interessantes Gedankenspiel, zu dem sich ZDF-Intendant Norbert Himmler - Hausherr des erfolgreicheren und effizienter aufgestellten bundesweiten Programms - sicherlich positionieren wird.
Man darf davon ausgehen, dass Himmler darüber hinaus auch eigene Akzente setzen will bei seinem ersten Aufschlag und doch kommt er ebenso wenig wie Tom Buhrow um das dominierende Thema in diesem Jahr herum. Klar, die Debatte um die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen wird grundsätzlich schon seit Jahrzehnten geführt. Neu sind aber einerseits die durch den Schlesinger-Skandal erzielte Aufmerksamkeit und andererseits die Frage, wie ARD und ZDF künftig miteinander umgehen.
Man steht zwar programmlich im Wettbewerb (und betont auch stetig, wie wertvoll dieser insbesondere publizistisch sei), doch in medienpolitischen Fragen galt bislang stets ein solidarischer Schulterschluss. Das scheint vorbei zu sein. Dass Buhrow ein „Die oder wir?“ in den Raum stellt, ergänzt um das Gedankenspiel einer Fusion, wird auf dem Lerchenberg zurückhaltend bewertet. Ganz so, als betrachte man alles von der Seitenlinie. „Das war nicht unser Skandal“, sagte neulich schon eine gut bezahlte Führungspersönlichkeit auf dem Lerchenberg dazu.
Jede Diskussion über Effizienz, zentralere Strukturen und Publikumserfolg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird man in Mainz vermutlich gerne annehmen. Mag Tom Buhrow auch als vermeintlicher Revolutionsführer das Wort zuerst ergriffen haben. Relevanter wird die Erwiderung des neuen ZDF-Intendanten, der die Debatte auch über die nächsten sechs Wochen hinaus weiterführen muss. Eine Revolution wird er nicht ausrufen, doch auf die Tonalität bei Himmlers erster medienpolitischer Positionierung darf man gespannt sein.