Wer weiß schon, was öffentlich-rechtlich ist? Eine Straßenumfrage eröffnete am Mittwoch das Edinburgh TV Festival und setzte den Ton für die Debatte mit der das größte Treffen der TV-Branche Großbritanniens begann: Besonders den jüngeren Befragten auf der Straße fiel es erschreckend oft schwer zu benennen, welche Sender und Angebote zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehören - weil viele stattdessen bekundeten, eher Netflix zu schauen. Eine Umfrage, die in Deutschland mutmaßlich nicht viel anders ausfallen würde.
Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es höchste Alarmstufe, wenn Sender nicht nur nicht genutzt werden - sondern nicht einmal mehr bekannt sind bei einer Generation, die lineares Fernsehen nicht mehr als naheliegendstes Massenmedium begreift. Sich deshalb auf eine alternde Gesellschaft zu stützen, kann für kommerzielle Anbieter eine zeitlich limitierte Lösung sein, nicht aber für Public Service Broadcaster. Wenn nicht mehr alle Altersgruppen erreicht werden, geht die Legitimation verloren, von allen finanziert werden zu wollen. Zunächst moralisch, über kurz oder lang aber auch politisch.
In Großbritannien und Deutschland wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk derzeit so stark debattiert wie selten zuvor. Abgeschafft werden soll er, wenn es nach rechten politischen Kräften geht - egal ob bei uns oder auf der Insel. Die Auslöser der aktuellen Debatten unterscheiden sich jedoch. Während es bei uns der Skandal um die Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist, hat die Regierung von Noch-PM Boris Johnson in Großbritannien öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Angebote in Frage oder gleich zum Verkauf gestellt. Hier wie dort aber gilt die Frage: Was spricht für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Und so diskutierte das Edinburgh TV Festival „What can public broadcasters do better?“. Dabei fand man zunächst einmal allerlei naheliegende und bekannte Antworten. Man müsse eben aufpassen, die jungen Menschen nicht zu verlieren. Interessant sind dabei zwei unterschiedliche Vorstellungen, wie dies zu erreichen ist: Muss man sich vom gleichzeitig stattfindenden Kunstfestival Edinburgh Fringe inspirieren lassen und für jede Nische und jeden Geschmack etwas bieten, damit sich jede bzw. jeder wiederfindet? Oder braucht es Blockbuster, die Zugkraft entwickeln und als Must-See auch ein junges Publikum mitreißen?
Ein illustres Panel aus britischen TV-Produzentinnen und -produzenten war sich da - auch je nach eigenem Portfolio - nicht einig. Vielleicht aber muss ein Umdanken schon früher beginnen. „Ich habe mal einen YouTuber mit zum Termin mit der BBC genommen, wo wir dann 20 Minuten in der Kantine geparkt wurden, weil der Typ vom Sender noch in einem Termin steckte. Da ist der YouTuber aufgestanden und meinte ‚das hab ich nicht nötig‘ und ging“, erzählt der britische TV-Produzent und Journalist Pat Younge.
Schon vor einer Programmauswahl sei es die Haltung der früher alternativlosen großen Sender, die sich noch nicht dem neuen Wettbewerb angepasst hätten und der aktuelle Retro-Trend, den es auch in Großbritannien gibt, helfe dabei nicht gerade, merkt wiederum David Abraham an. Er war von 2010 bis 2017 Chef des werbefinanzierten, öffentlich-rechtlichen Senders Channel 4. Damit laufe man vor den Problemen mit jungen Zielgruppen weg in Richtung der noch zahlreich verfügbaren älteren Zuschauerinnen und Zuschauer. Junge Talents begeistert man damit nicht.
Und verpasst die Chance, im Programm auch etwas zu riskieren. Denn das sei die Verantwortung, wenn man sich um die Refinanzierung keine Sorgen machen muss, sagt Fatima Salaria, Managing Director bei der Produktionsfirma Naked. Kollegin Jane Turton, CEO von All3Media, sieht die größte Herausforderung für modernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade wegen der sich verlagernden Mediennutzung in einer dringend nötigen Antwort auf die Frage, wie man öffentlich-rechtlichen Erfolg eigentlich sinnvoll bemessen will. Quote? Abrufzahlen? Talk of Town? „Die Quoten um 21 Uhr sind nicht mehr das Maß der Dinge“, sagt sie.
Insgesamt waren sich jedoch alle anwesenden Produzentinnen und Produzenten einig: BBC und Channel 4 sind eigentlich ganz dufte. Hier unterscheidet sich die Natur der Diskussion über die Öffentlich-Rechtlichen eben von unserer akuten Debatte angesichts des RBB-Skandals: Die Angriffe in UK sind rein politisch motiviert, die Verteidigung der PSBs daher im Interesse der ganzen Branche, betonen in Edinburgh alle Anwesenden. Man riskiere ein natürlich gewachsenes Eco-System aus Kreativität und Produktion aus dem Gleichgewicht zu bringen. Weniger BBC und Channel 4 würde nicht automatisch zu mehr privatem Content führen.
In Deutschland erleben wir hingegen seit Wochen eine unangenehme Verquickung zweier Debatten: Die über eine dringend nötige bessere Regulierung, damit Betrug und Veruntreuung verhindert werden können - und eine Grundsatzdebatte über den Auftrag als hätte das eine auch nur irgendetwas mit dem anderen zu tun. Einen sehr wertvollen Denkanstoß für die sich bei uns zur Grundsatzfrage auswachsenden Debatte über die Öffentlich-Rechtlichen liefert Ex-Channel 4-Manager David Abraham.
Die Diskussionen über die Notwendigkeit der Public Service Broadcaster komme zu einer Zeit in der immer deutlicher wird, dass das schöne Streaming-Zeitalter letztlich auf Pump finanziert wurde und erste Anbieter ihre Wachstumsfantasien schon kassieren mussten, Dienste radikal kürzen oder sogar einstellen müssen. "Wir sollten immer im Hinterkopf behalten, dass wir mit den PSBs ein nachhaltiges Konzept haben", sagt Abraham. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk sei kein Trendthema und für uns als Nutzerinnern und Nutzer eine verlässliche Versicherung in Zeiten, in denen viele andere Marktteilnehmer bangen.
Kommerzielle Anbieter werbefinanzierter Programme verzweifeln an der Verlagerung der Nutzung ins Netz und on-demand - sowie an der Kapitalisierung eben dieser Verlagerung. Facebook implodiere und das Metaverse sei kompletter Schwachsinn, so Abraham. Niemand wisse wie stabil all diese Marktteilnehmer sind. Umso bedeutsamer sei öffentlich-rechtlicher Rundfunk aus Sicht von Nutzerinnen und Nutzern aber auch der Branche. Sie liefern Kontinuität als Auftraggeber ebenso wie dem Publikum als Plattform für Unterhaltung ebenso wie öffentlichen Diskurs, egal ob im Silicon Valley eben noch gefeierte Unternehmen abstürzen oder nicht.