Nachdem es in Teil 1 unserer Analyse darum ging, wie stark das Publikum des linearen Fernsehens über die letzten Jahre generell gealtert und wie stark der lineare TV-Konsum in den jüngeren Altersgruppen gesunken ist, wollen wir nun einen etwas genaueren Blick auf die Entwicklung der einzelnen Sender werfen. Zur Erinnerung: Über alle Sender hinweg liegt das Durchschnittsalter bei 59 Jahren. Im Sendervergleich verwundert nun natürlich eine Erkenntnis nicht: Das älteste Publikum haben die Öffentlich-Rechtlichen.
Der durchschnittliche ZDF-Zuschauer bzw. die durchschnittliche ZDF-Zuschauerin war im ersten Halbjahr 2022 65 Jahre alt, beim Ersten war es mit 64 Jahren nur unwesentlich geringer - beide stehen inzwischen im Schnitt also knapp vorm Rentenalter. Allerdings bleibt auch festzuhalten: Bei beiden war der Alterungsprozess in den letzten Jahren weniger stark ausgeprägt als bei manch privatem Sender, das ZDF lag auch schon 2019 bei einem Durchschnittsalter von 65 Jahren, binnen fünf Jahren erhöhte sich das Durchschnittsalter sowohl beim Ersten als auch beim ZDF um nur zwei Jahre - wozu wohl auch der in Krisenzeiten wachsende Zuspruch zu Informationsprogrammen auch in den jüngeren Altersgruppen beigetragen haben dürfte, wovon ARD und ZDF überproportional profitierten.
Unter den großen Privatsendern folgt dann RTL mit einem Publikum, das im Schnitt 55 Jahre alt ist, knapp vor Vox und Sat.1, die bei jeweils 54 Jahren stehen. Der mit Abstand jüngste der großen privaten Sender ist hingegen ProSieben, auch hier liegt das Durchschnittsalter des Publikums inzwischen aber immerhin schon bei 44 Jahren und damit merklich über angepeilten Kernzielgruppe der 14- bis 39-Jährigen. Am erstaunlichsten ist die Zahl aber vielleicht bei RTLzwei, das ein sehr junges Image pflegt und mit vielen Programmen wie den Vorabendsoaps ja auch wirklich vorwiegend junge Menschen anspricht. Der Sender hat in Sachen Durchschnittsalter in diesem Jahr nun aber erstmals die Zielgruppe 14-49 verlassen und lag im ersten Halbjahr bei 51 Jahren.
Durchschnittsalter 1. Halbjahr 2022 |
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ZDF | 65 |
Das Erste | 64 |
RTL | 55 |
Sat.1 | 54 |
Vox | 54 |
Kabel Eins | 53 |
RTLzwei | 51 |
ProSieben | 44 |
Quelle: AGF Videoforschung in Zusammenarbeit mit GfK; VIDEOSCOPE 1.4, 01.01.2002-30.06.2022, Marktstandard: AGF-Standard\TV
Dabei ist die Entwicklung von RTLzwei über die Jahre sehr auffällig: 2002 war das Publikum von RTLzwei und ProSieben mit im Durchschnitt etwa 36 Jahren noch nahezu gleich alt - doch während ProSieben das Durchschnittsalter über das folgende Jahrzehnt stabil hielt bzw. bis 2012 sogar um ein Jahr absinken ließ, wurde das durchschnittliche RTLzwei-Publikum binnen zehn Jahren bis 2012 bereits um sechs Jahre älter. Zwischen 2012 und 2022 (1. Halbjahr) ging es nun sogar um weitere neun Jahre nach oben.
Das lässt sich unter anderem mit der Ausbreitung der Sozialdokus im RTLzwei-Programm erklären, die durchaus auch ein etwas älteres Publikum ansprechen sollen - und wenn langlaufende Dokusoaps wie die "Geissens" ihr Publikum über ein Jahrzehnt halten, dann wird eben auch das tendentiell mit dem Format älter. Und man darf wohl annehmen, dass mit einer Neuauflage des "Glücksrads", dem Ausbau von Studioshows oder der Übernahme von Scripted-Reality-Formaten von Sat.1 dieser Trend sich in nächster Zukunft kaum umkehren dürfte.
Quelle: AGF Videoforschung in Zusammenarbeit mit GfK; VIDEOSCOPE 1.4, 01.01.2002-30.06.2022, Marktstandard: AGF-Standard\TV
Das eben schon angesprochene ProSieben hielt das Durchschnittsalter seines Publikums wie erwähnt lange Zeit auf sehr niedrigem Niveau, vor zehn Jahren lag es bei 35. Doch seither geht es auch dort rasant nach oben, 2017 waren es 39 Jahre, seither stieg der Altersschnitt mit jedem Jahr im Schnitt auch um ein weiteres Jahr an - und angesichts des wegbrechenden linearen TV-Konsums in den jungen Altersgruppen ist das gewissermaßen lebensnotwendig, wenn man weiter den Anspruch hat, zu den großen Sendern zu gehören.
Dazu muss man sich vor Augen führen, wie die Zusammensetzung der "klassischen Zielgruppe" der 14- bis 49-Jährigen durch den stark rückläufigen Linear-Konsum der Jüngeren inzwischen ist: Etwa die Hälfte geht inzwischen allein auf die Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen zurück, nur ein Fünftel auf die 14- bis 29-Jährigen. Wer also in der Regel zu Vergleichen zwischen den Sendern herangezogenen Gruppe der 14- bis 49-Jährigen punkten will, kann keinesfalls auf die über 30-Jährigen und nur bedingt auf die Über-40-Jährigen verzichten. Dass sie bei der Konzeption von Formaten für einen Sender mit berücksichtigt werden, ist also auch für die jüngsten der Vollprogramme inzwischen notwendig.
Was passieren kann, wenn ein Sender nicht mit der allgemeinen TV-Nutzung "mitaltert", lässt sich bei Sat.1 besichtigen. 2012 betrug das durchschnittliche Alter des Sat.1-Publikums 52 Jahre. 2017 waren es nur noch 50, 2020 erneut 52, erst neuerdings ging es leicht auf 54 Jahre nach oben. Wenn das Durchschnittsalter stabil bleibt, obwohl ein immer größerer Teil des TV-Konsums auf die Älteren entfällt, dann sorgt auch dieser Effekt - neben diversen anderen Problemen im Programm des Senders - für einen sinkenden Marktanteil. 2012 lag Sat.1 insgesamt noch bei einem Marktanteil von 9,4 Prozent, in diesem Jahr sind es nur noch 5. Und selbst in der Altersgruppe 14-49 ging der Marktanteil von 9,9 Prozent im Jahr 2012 auf 6,5 Prozent zurück.
Völlig entgegen des allgemeinen Trends verlief zwischenzeitlich die Entwicklung bei Kabel Eins: Hier sank das Durchschnittsalter von 2002 bis 2007 von 49 auf 43 Jahre. Der Sender war damals ordentlich entstaubt worden, Neuauflagen von "Glücksrad", "Geh aufs Ganze" oder "Was bin ich?" wurden aufs Abstellgleis geschoben, stattdessen setzte man auf US-Serien, Sitcoms und jüngere Eigenproduktionen, wodurch dem Sender viele Ältere abhanden kamen, aber auch viele Jüngere zugespült wurden. Die Rechnung ging damals auf: Einem sinkenden Marktanteil beim Gesamtpublikum standen steigende Werte bei den 14- bis 49-Jährigen gegenüber. Inzwischen liegt aber auch Kabel Eins längst im allgemeine Alterungstrend, mit im Schnitt 53 Jahren ist der Sender nur knapp unter dem Altersschnit von Vox, Sat.1 und RTL.