Achim Reinhardt © SWR/Malino Schust Achim Reinhardt
Schon seit den 60er Jahren informiert der vom SWR kommende "Report Mainz", der bis in die 90er "Report Baden-Baden hieß, über Politisches und Gesellschaftliches – jüngst mit steigendem Erfolg, wie die rund elfeinhalb Prozent Marktanteil im Jahr 2021 verdeutlichen. Und bislang sieht es so aus als könnte es in diesem Jahr sogar noch etwas weiter nach oben gehen. "Wir sind überzeugt: Nie war investigativer Journalismus so wichtig wie heute. Denn insbesondere online sehen sich die Menschen immer mehr Desinformation, Propaganda, PR-Botschaften und Fake News gegenüber", erklärt Achim Reinhardt, beim SWR Leiter der Redaktion Investigative Multimediaprojekte. Daher soll der "Report Mainz" nun ein Menschen in den 30ern ansteuerndes "agiles Beiboot" (Zitat SWR-Chefredakteur Fritz Frey) namens "Vollbild" erhalten, das zweiwöchentlich in der Mediathek und bei YouTube abrufbar ist.



Eine "echte Marktlücke" wolle man mit dem Neustart schließen, sagt Reinhardt. "Rechercheformate für Menschen zwischen 14 und 29 Jahren gibt es, gerade beim ARD/ZDF-Jugendangebot funk, schon einige – wie etwa 'STRG F'. Und im klassischen Fernsehen funktionieren Rechercheformate und -magazine insbesondere bei der Zielgruppe über 50 Jahren sehr gut." Investigative Angebote für 30- bis 40-Jährige seien aber Mangelware, findet der SWR-Mann, der jüngsten Investigativ-Offensive bei den Privaten oder auch der ebenfalls 30- bis 39-Jährige in den Fokus nehmenden "ZDFzoom"-Teststecke zum Trotz. Journalistisch unterversorgt sei dieser Altersklasse aus Sicht der nun für "Vollbild" Verantwortlichen.

"Mit 'Vollbild" schließen wir nun die Lücke zwischen Funk und Fernsehen", sagt Reinhardt, der den Neustart als Gegengewicht zu Desinformation, Propaganda, PR-Botschaften und eben Fake-News ansieht. "Es geht in jeder Folge um eine Aussage, eine Behauptung oder ein Versprechen aus Politik, Gesellschaft und Unternehmen. Wir fragen: Ist es wirklich so? Und wollen mit einer journalistischen Spurensuche die Story dahinter herausfinden, das Bild größer ziehen: Das ist für uns Journalismus im Vollbildmodus", schmückt Reinhardt aus.

Luise Hermann © Luise Hermann
Die Berliner Firma Labo M, die schon "Deutschland 3000" mit Eva Schulz umsetzt, zeichnet für das neue Online-Format verantwortlich. "Unser Anliegen ist es, möglichst transparent zu zeigen, wie unsere Journalist:innen bei ihrer Recherche vorgegangen sind", sagt Redaktionsleiterin Luise Hermann. "Wir verzichten bewusst auf klassische Hosts oder Moderator:innen – bei 'Vollbild' erzählen die Journalist:innen, die eine Geschichte recherchiert haben, sie auch vor der Kamera. Auch das gehört für uns zur Transparenz." Und Transparenz wird offensichtlich immer wichtiger. Mehr und mehr Formate arbeiten mit dem Ansatz des Offenlegens vieler Rechercheschritte. "Ich erlebe eine sehr reflektierte und interessierte Zielgruppe. Menschen, die kritisch sind, Dinge hinterfragen und bei der Vielzahl von Informationen, mit der sie sich täglich konfrontiert sehen, auch dankbar für eine verlässliche Einordnung sind", sagt Hermann.

Authentisches Erzählen und direkte Ansprache

Der Premiere im Netz und der Mediathek ging ein umfassendes User-Testing des Neustarts voraus. "Dabei kam in der Tat heraus, dass unsere Zielgruppe großen Wert auf authentisches Erzählen und direkte Ansprache legt. Dass sie es auch spannend findet zu sehen, wo Recherchen auch mal nicht weitergehen." Hermann sagt:  "Es ist uns wichtig, dass unser Format diese Zielgruppe nicht nur adressiert, sondern auch aus der Zielgruppe heraus gestaltet wird." Daher würde sich das Redaktionsteam inklusive der Autorinnen und Autoren in der Altersgruppe bewegen, die auch angesprochen werden soll.

Vollbild Folge 1 © Labo M/Julia Jaroschewski Produktionsarbeiten zur ersten "Vollbild"-Folge.

Sonja Peteranderl und Julia Jaroschewski etwa sind die Autorinnen des ersten "Vollbild"-Films, der sich mit dem Thema Dating-Apps befassen soll. Es sei ein schweres und relevantes Thema, sagt Hermann. "Es geht um sexualisierte Übergriffe bei Treffen, die über Dating-Apps wie Tinder, Bumble und Co. verabredet wurden. Wir haben in unseren Recherchen festgestellt, dass den Frauenberatungsstellen vermehrt solche Fälle gemeldet, aber kaum Daten zu diesen Übergriffen erhoben werden." Die Episode, wie auch alle weiteren geplanten Filme, haben mit 20 bis 30 Minuten eine überschaubare Länge. "Die User-Testings haben unsere Annahme bestätigt, dass das noch eine ideale Länge für unsere Zielgruppe ist, die eigentlich wenig Zeit hat – zwischen einem fordernden Job, Freizeitaktivitäten und vielleicht auch Kindern, die ins Bett gebracht werden müssen", erklärt Reinhardt. Zunächst ist 'Vollbild' bis Jahresende geplant, Gespräche zu einer darüber hinausgehenden Verlängerung würden aber bereits laufen. Programmdirektor Clemens Bratzler und Chefredakteur Fritz Frey würden "Vollbild" sehr unterstützen, freut sich Reinhardt.

Er betont, dass es den Verantwortlichen im Hause SWR zumindest anfänglich nicht so sehr um das Erzielen von Reichweite gehen werde. Man stehe nun vor der Herausforderung, "dass wir unser Publikum speziell bei YouTube von Null aufbauen müssen. Daher geht es uns anfangs vor allem um journalistische Qualität und publizistische Relevanz und noch weniger um Reichweite. Der Algorithmus und eine gezielte Vernetzung mit anderen Kanälen werden uns hoffentlich dabei helfen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer das Format und die spannenden Recherchen von 'Volbild' für sich entdecken."



Dabei könnte eventuell auch der "Report Mainz" ein Stück weit helfen. "In der kommenden 'Report Mainz'-Ausgabe werden wir beispielsweise die Rechercheergebnisse der ersten 'Vollbild'-Folge in einem eigenen Beitrag für das TV-Publikum zusammenfassen", kündigt Reinhardt an.

"Vollbild", ab Dienstag, 26. Juli alle zwei Wochen in der ARD-Mediathek und bei YouTube.