Daran, dass Shows völlig unvermittelt durch Werbepausen oder Gewinnspielfragen unterbrochen werden, weil sich niemand mehr Mühe gibt, sich vorher überlegen zu wollen, an welchen Stellen sich eine Unterbrechung sinnvoll einfügen ließe, hat man sich im deutschen Fernsehen in den vergangenen Jahren ausreichend gewöhnen müssen. Seit dieser Woche geht der Preis für die härteste TV-Grätsche allerdings an RTL. Da platzte plötzlich der Start von "RTL Direkt" mitten in die Auflösung einer Frage beim "Gipfel der Quizgiganten" - ohne den Hinweis von Moderatorin Palina Rojinski, dass es gleich weitergeht; nicht mal eine Einblendung auf die nahende Fortsetzung in 20 Minuten hat der Sender seinem Publikum gegönnt.
Gut möglich, dass die Verantwortlichen in Köln mittlerweile davon ausgehen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer gelernt haben, dass es nun offenbar zum Standardrepertoire des Senders gehört, Unterhaltungsshows pünktlich um 22:15 Uhr durch einen XXL-Newsblock mit Jan Hofer zu splitten - wirklich rund wirken die Übergaben nur selten.
Dabei hätte mit Blick auf das Quiz vom vergangenen Monat wohl kaum jemand auf dem Sofa etwas dagegen gehabt, wenn die Rateshow mit Günther Jauch, Johannes B. Kerner und Sonja Zietlow schon nach zwei Stunden beendet gewesen wäre. Tatsächlich offenbart der harte Nachrichten-Cut nämlich ein weiteres Problem des deutschen Fernsehens: Die meisten Shows sind schlicht zu lang. War es vor einigen Jahren üblich, Formate wie "Bauer sucht Frau" oder "Wer wird Millionär?" von einer auf zwei Stunden auszudehen, um das Publikum effizient bei der Stange zu halten, so sind drei und mehr Stunden inzwischen immer häufiger nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Was einst bei "Schlag den Raab" Sinn ergab, weil simple Spiele und ein hoher Spannungsgrad die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst nachts um zwei Uhr noch aufgeregt vor dem Fernseher sitzen ließ, hat längst auch banale Quiz-Formate wie besagten "Gipfel" bei RTL erfasst. Der Grund dafür ist simpel: Mit Shows in Überlänge wollen die Verantwortlichen der Sender, zu später Stunde in einer Art Endspurt noch einmal hohe Marktanteile einzusammeln. Dass dieser vermeintliche Trick längst nicht immer aufgehen muss, hat RTL in der vergangenen Woche an gleich zwei Abenden eindrucksvoll bewiesen.
Marktanteils-Verlauf "Gipfel der Quizgiganten" vom 4. Juli
Quelle der Daten: AGF Videoforschung in Zusammenarbeit mit GfK, DAP, Nielsen, ANKORDATA; VIDEOSCOPE 1.4, 08.07.2022 DAP, Marktstandard: TV, endgültig gew. Daten
Der "Gipfel der Quizgiganten" etwa verzeichnete in der ersten Stunde - Werbeblöcke mit eingerechnet - Marktanteile zwischen 6,3 und 9,2 Prozent. Erst um 21:50 Uhr steigerte sich die Show zwischenzeitlich für gut zehn Minuten auf mehr als zehn Prozent. Doch anders als vom Sender wohl erwartet, zogen die Marktanteile zu später Stunde nicht mehr an. Zwar sorgte "RTL Direkt" nicht für einen Einbruch, doch weiter nach oben ging's danach nicht mehr. Die Folge: Nach drei Stunden bewegten sich die RTL-Marktanteile noch immer zwischen 7,6 und 9,5 Prozent, weil nicht alle, die zu Beginn des Abends einschalteten, bis zum Ende blieben, und zum Ende hin zu wenige neue Zuschauerinnen und Zuschauer hinzukamen.
Beim "König der Kindsköpfe" zeigte sich am Dienstagabend das gleiche Problem: Nach zehn Minuten steigerte sich die Spielshow kurzzeitig auf bis zu 10,0 Prozent Marktanteil, doch danach kehrten viele Zuschauerinnen und Zuschauer aus den Werbepausen sind nicht mehr zurück. Bis zum Start von "RTL Direkt" bewegten die Werte in der Zielgruppe deutlich im einstelligen Bereich - zwischen dürftigen 5,7 und für den Marktführer ebenfalls kaum zufriedenstellenden 8,7 Prozent. Auf ähnlicher Flughöhe bewegten sich dann auch die Nachrichten mit Jan Hofer. Und der Endspurt? Blieb aus, obwohl der Privatsender seine Show diesmal sogar bis kurz nach Mitternacht streckte.
Nur mit Mühe waren für den "König der Königsköpfe" nach 23 Uhr Marktanteile um neun Prozent drin und erst nach Mitternacht, als die Show tatsächlich vorüber war, knackte RTL die Zweistelligkeit. Das dürfte ganz sicher nicht im Sinne des Erfinders sein - und sollte die Sender zum Umdenken bringen. "Ich bin der Meinung, dass sich das deutsche Fernsehen leichter tun würde, wie in allen anderen Ländern in der Unterhaltung grundsätzlich auf kürzere Formate zu setzen", sagte Arno Schneppenheim, Geschäftsführer von Banijay Productions Germany, jüngst im DWDL.de-Interview.
Marktanteils-Verlauf "Der König der Kindsköpfe" vom 5. Juli
Quelle der Daten: AGF Videoforschung in Zusammenarbeit mit GfK, DAP, Nielsen, ANKORDATA; VIDEOSCOPE 1.4, 08.07.2022 DAP, Marktstandard: TV, endgültig gew. Daten
Als Gründe für lange Shows würden meist Kosteneffizienz und die Erwartung höherer Marktanteile angeführt. "Ich würde dagegenhalten", so der Produzent, "dass es bei einstündigen Sendungen nicht mal teurer wird, wenn man die in Staffeln produziert. Wir würden darüber hinaus wieder mehr Chancen haben, neue kleinere Ideen auszuprobieren." Zudem sei die Länge vieler Shows kein Garant mehr für gute Marktanteile. "Kurze Shows haben da zuletzt zumindest nicht seltener überzeugt."
Tatsächlich bergen XXL-Shows insbesondere unter der Woche durchaus Risiken: Wer lässt sich schon montags oder dienstags um 20:15 Uhr gerne auf ein Format ein, von dem zu erwarten ist, dass es selbst nach drei Stunden noch nicht entschieden ist? Da muss die Format-Idee schon wirklich gut sein - das mag für "Wer stiehlt mir die Show?" gelten, nicht aber für deutlich austauschbarere Shows. Noch dazu läuft RTL mit seinen Show-Unterbrechungen Gefahr, sich einer anfangs geglaubten Chance zu berauben: Dass "RTL Direkt" um 22:15 Uhr noch einmal für einen echten Einschaltimpuls sorgt, kann nur dann funktionieren, wenn auch das nachfolgende Programm interessant zu werden verspricht. Wer allerdings schon um 20:15 Uhr nicht einschalten wollte, weil sie oder ihn das Format nicht interessierte, wird in aller Regel wohl kaum mit zwei- oder dreistündiger Verspätung dazustoßen.
Und so spricht einiges dafür, dass viele Shows erfolgreicher sein könnten, wären sie nicht so ausgedehnt wie der "Gipfel der Quizgiganten" oder der "König der Kindsköpfe". Davon abgesehen: Eine zweistündige Verabredung am Montagabend besitzt doch viel mehr Charme als ein nicht enden wollendes Rendezvous.