Vom historischen Glanz ist nicht mehr viel zu spüren, wenn man das Studiogelände im nordöstlichen Hamburger Vorort Tonndorf betritt. Zwischen modernen Zweckbauten herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Die gesamte Fläche hat man schneller durchschritten als noch vor zehn Jahren. Wo früher Filme gedreht wurden, stehen jetzt teilweise Reihenhäuser. Die Verdichtung um 10.000 Quadratmeter erfolgte 2014, um Überkapazitäten abzubauen. Seither ist die Nachfrage so stark angestiegen, dass Studioflächen allerorts knapp geworden sind. Ein solches Auf und Ab liegt in der Natur des Geschäfts, das Studio Hamburg seit stolzen 75 Jahren betreibt. Wäre die Pandemie schon abgehakt und die Lage nicht so, wie CEO Johannes Züll formuliert, dass "wir gerade wieder mittendrin zu stecken scheinen", dann hätte es in Tonndorf vermutlich längst ein großes Fest zum Jubiläum gegeben.
Der Startschuss, auf dem die heutige Unternehmensgruppe aufbaut, erfolgte im Frühjahr 1947, als Walther Koppel und Gyula Trebitsch im zerbombten Hamburg mit ihrer frisch gegründeten Real-Film und Requisiten vom Schwarzmarkt den ersten Nachkriegsstreifen, "Arche Nora", drehten. Ein Film, der "ohne billigen Optimismus und ohne Verniedlichung der Zeit aus der Trümmerperspektive zum Leben Ja" sage, urteilte damals der "Spiegel". Schon ein Jahr später begannen die Produktionspioniere mit dem Aufbau eines eigenen Atelierbetriebs, der 1960 – nach dem Einstieg des NDR – in Studio Hamburg umbenannt wurde und die junge Bundesrepublik mit Kinofilmen mit Hans Albers oder Heinz Rühmann sowie Fernsehserien mit Inge Meysel oder Günter Pfitzmann unterhielt.
Grund zum Feiern hat die heutige Studio Hamburg Gruppe aber nicht nur aufgrund der Historie. In der Jetztzeit laufen die Geschäfte ziemlich gut, sogar besser als prognostiziert. 2020 stieg der Umsatz trotz Corona um 2,2 Prozent auf 286,7 Millionen Euro; die (um Bestandsveränderungen an abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Projekten bereinigte) Gesamtleistung lag bei 266,2 Millionen Euro. Gut zwei Drittel der Erlöse stammten dabei aus dem Geschäftsfeld Produktion & Distribution, ein knappes Drittel aus dem Bereich Atelier & Technik. 2021 sei die Gesamtleistung dann um zwölf Prozent auf 298,0 Millionen Euro geklettert, so Züll zu DWDL.de. Und im laufenden Jahr rechne er mit "nochmals leicht steigenden Umsätzen, so dass wir wieder auf Vor-Corona-Niveau ankommen würden".
Diese Dynamik spiegelt sich auch in der Akquisitionstätigkeit der Gruppe wider, die in letzter Zeit eher an ein Start-up auf IPO-Kurs als einen 75-jährigen öffentlich-rechtlichen Tochterbetrieb erinnert. Allein im Juni wurden zwei Abwerbungen renommierter Branchentalente von der Konkurrenz bekannt: Simone Höller, preisgekrönte Produzentin der FFP New Media, baut als Geschäftsführerin die neue Kölner Firma 307 Production auf, die "relevante High-End-Formate, Signature-Serien und -Reihen sowie hochwertige Spielfilme" produzieren soll. Die bisherige RTL-Redakteurin Jean-Young Kwak wird neben Felix von Poser weitere Geschäftsführerin der Münchner Tochter Amalia Film, um dort neue Formate zu entwickeln und ihr Augenmerk "besonders auf diverse und inklusive Filmproduktion" zu legen.
Solche Überkreuz-Aktivitäten durchziehen die Gruppe schon länger: Neben DocLights hält man auch den Unterhaltungsproduzenten Riverside Entertainment gemeinsam mit ZDF Studios (ehemals ZDF Enterprises); DocLights wiederum beteiligte sich an der ZDF-Tochter Gruppe 5. Im Zuge der Cinecentrum-Auflösung dehnten die Beteiligten in Hamburg und Mainz ihre Verflechtung erstmals auch auf die fiktionalen Aktivitäten aus: Seit Jahresbeginn ist ZDF Studios zu 49 Prozent an der Real Film Berlin beteiligt. Je nachdem, mit wem man über diese Transaktion spricht, wird sie mal als willkommene Stärkung eines bewährten Verbunds bezeichnet, der angesichts des umkämpften Markts gar nicht stark genug sein könne; mal als Resultat eines sanften Drucks von ZDF-Seite, die Beauftragung des Vorabend-Dauerbrenners "SOKO Wismar" nur dann von Cinecentrum an Real Film weiterzureichen, wenn man dort Mitgesellschafterin werde. So oder so dient sie aus Studio-Hamburg-Sicht letztlich als strategisches Mittel, um Produktionserlöse langfristig abzusichern.
Während sich der Wettbewerb der Studiobetreiber – neben Studio Hamburg vor allem MMC und EMG in Köln, Bavaria Film in München und Studio Babelsberg in Potsdam – in jüngster Zeit tendenziell vom Nachfrager- zum Anbietermarkt gedreht hat, ist der Markt der mobilen TV-Dienstleistung laut Studio-Hamburg-Geschäftsbericht "weiterhin von einem hohen Wettbewerbs- und Konsolidierungsdruck geprägt". Das bestehende Überangebot an Übertragungswagen habe dazu geführt, dass sich die Preise auf unverändert niedrigem Niveau bewegten. Die in Berlin-Adlershof ansässige Tochter Studio Berlin müsse sich "in diesem Verdrängungswettbewerb den verschärften Rahmenbedingungen nach wie vor kontinuierlich anpassen und bestehende Strukturen permanent überdenken", um ihre Ü-Wagen auszulasten.
Als wichtigsten Innovationsschritt des Jahres sieht Johannes Züll derweil den Roll-out des Nachhaltigkeitsstandards "Green Motion" auf seine gesamte Gruppe, als größte Herausforderungen die Umsetzung der neuen "Green Motion"-Richtlinien, den Umgang mit Inflation, Kostensteigerungen und knappen Personalressourcen sowie den Umstand, dass Corona 2022 schwieriger operativ zu handhaben sei als 2020 und 2021, insbesondere wegen auslaufender staatlicher Unterstützungsregelungen.