Als Fred Kogel in den ersten Monaten des Jahres 2019 anfing, mit viel Geld vom Finanzinvestor KKR und ein bisschen von seinem eigenen mehrere Firmen für eine neue Gruppe zusammenzukaufen, traten die Skeptiker schnell auf den Plan. Das beschworene Synergiepotenzial sei gewaltig übertrieben und die Motivation eher persönlich: Kogel wolle seinem Ex-Arbeitgeber Constantin Medien und dessen Haupteigner Bernhard Burgener eins auswischen, weil dieser ihn zuvor unehrenhaft aus dem Vorstand geworfen hatte.
Drei Jahre und eine Pandemie später ist die Mission eines europäischen Studios auf Augenhöhe mit Hollywood zwar noch nicht ganz erfüllt. Doch die Zahlen deuten darauf hin, dass Kogels Wette aufgehen könnte. Seine Leonine Studios haben nicht nur die Constantin, sondern auch alle anderen Wettbewerber überholt und sind heute die umsatzstärkste Produktions- und Programmvertriebsgruppe im deutschen Markt. Im zwischenzeitlich geschlossenen Verbund mit der französischen KKR-Beteiligung Mediawan kontrolliert man europaweit über 60 Produktionsfirmen. Die Zeichen stehen weiter auf Expansion, wenn auch mit etwas sachterem Tempo als zu Beginn.
Der Pandemie zum Trotz konnte Leonine Umsatz und Gesamtleistung im Jahr 2020 – dem jüngsten veröffentlichten Berichtsjahr – um jeweils 55 Prozent gegenüber dem Rumpfgeschäftsjahr 2019 auf 332 bzw. 357 Millionen Euro steigern; das EBITDA kletterte aus den roten Zahlen auf 47 Millionen Euro. Dabei zeigte sich die robuste Aufstellung des Konzerns: Während Kino- und Werbeerlöse spürbar absackten, schossen die digitalen Home-Entertainment-Umsätze in die Höhe und die Produktionserträge verzweieinhalbfachten sich. Auf DWDL.de-Anfrage teilt Leonine mit, man habe 2021 den "starken organischen Wachstumskurs fortgesetzt" und gehe davon aus, dass "wir auch im Jahr 2022 wieder ein erfreuliches organisches Wachstum verzeichnen und über den Ergebnissen des Jahres 2021 liegen werden". Die in München und Köln stationierte Gruppe wuchs voriges Jahr um rund 300 auf knapp 700 Mitarbeiter.
Anders als etwa sein früherer Kirch-Kollege, Beta-Film-Boss Jan Mojto, der den zunehmenden Konsolidierungsdruck im Produktionssektor ebenfalls tatkräftig für Akquisitionen nutzt, setzt Kogel nicht auf ein loses Netzwerk mit wirtschaftlicher Freiheit für die Tochterfirmen, sondern auf strikte Integration. Finanzen, Recht und Personal werden zentral von der Leonine-Holding in München gemanagt. Die Produzenten in den einzelnen Betrieben von i&u TV ("Klein gegen Groß") über SEO Entertainment ("Feuer & Flamme") und Odeon Fiction ("Letzte Spur Berlin") bis hin zu Wiedemann & Berg ("Der Pass") sollen sich so voll aufs Kreative konzentrieren.
Laut Geschäftsbericht erwartet Leonine "mit Blick auf potenziell schrumpfende Post-Covid-Budgets insbesondere der privaten und öffentlich-rechtlichen TV-Sender" eine verschärfte Wettbewerbssituation und sieht UFA, Studio Hamburg, Bavaria Film und Constantin Film als seine größten Konkurrenten an. Die aktuelle wirtschaftliche Situation führe zu "steigendem Konsolidierungsdruck v.a. bei den kleineren Marktteilnehmern" – und damit zu weiteren Übernahmekandidaten für den Kogel-Konzern. Auffällig ist dabei, wie stark Management und Kreative auf die Zeitgeist-Komponente achten. Das gilt für die Akquisition der Hyperbole Medien mit ihrem sozial-relevanten Content für digitale Zielgruppen ebenso wie für die im März erfolgte Inhouse-Neugründung Madame Zheng Production, ein auf Gleichstellung und Diversität ausgerichtetes Nonfiction-Label unter Führung von Tina Wagner und Nina Etspüler. Aber natürlich auch für das fiktionale Produktionsportfolio von W&B Television, das zuletzt etwa mit "Para – Wir sind King", "Almost Fly" (beide Warner TV Serie) oder "Die Ibiza Affäre" (Sky) glänzte.
Konsequenter als jeder andere deutsche Player deckt Leonine von der Film-, Serien- und Show-Produktion bis zum Vertriebs- und Lizenzgeschäft inklusive eigener VoD-Channels und RTL2-Beteiligung nahezu die komplette Wertschöpfungskette ab und kann sein eigenproduziertes sowie erworbenes Programmvermögen somit im Erfolgsfall wertmaximierend auswerten. Allerdings liegt darin auch ein gewisses Risiko: Kogels Wachstumsstrategie hatte ihren Ursprung vor dem großen Netflix-Crash und der teilweisen Neubewertung des Ökosystems Streaming durch die internationalen Finanzmärkte. Schien der Programmhunger der Plattformen vor dem Frühling 2022 noch unbegrenzt und unstillbar, so ist inzwischen eine allmähliche Sättigung am Horizont abzusehen. Mehr denn je wird es dann darauf ankommen, eine gute Nase für die richtigen Nischen zu haben und Qualität auf höchstem Niveau abzuliefern. Der CEO und seine Gruppe sind selbstbewusst genug, um sich hierfür gut aufgestellt zu sehen. Als Herausforderung betrachtet Leonine freilich die durch Inflation, höhere Gagen, Fachkräftemangel und Green Filming steigenden Produktionskosten: "Sender und Förderinstitutionen sind bisher nur teilweise bereit, sich an den gestiegenen Kosten zu beteiligen. Der Kostendruck verbleibt somit im Wesentlichen beim Produzenten."
Zumindest dem Fachkräftemangel will der Konzern jetzt konsequent zu Leibe rücken, und zwar auf drei Ebenen: Mit der Hochschule Ansbach und der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München kooperiert Leonine beim frisch gestarteten dualen Bachelor-Studiengang Produktionsmanagement Film & TV, der Herstellungs-, Produktions- und Aufnahmeleiter praxisnah ausbilden soll. Zusätzlich soll ein 18-monatiges Trainee-Programm im Bereich Produktionsmanagement sämtlicher Leonine-Töchter die Grundlagen für den Einstieg in die Branche vermitteln, während Talenten mit Berufserfahrung in der Aufnahmeleitung oder Quereinsteigern aus anderen Fächern ein einjähriges Weiterbildungsprogramm für Produktionsleitung und Filmgeschäftsführung angeboten wird. Hier versucht ein junger Marktführer ganz offenbar, seiner Verantwortung gerecht zu werden – im eigenen Interesse und im Interesse der Branche.