Bescheidenheit ist eine Tugend und die Materialschlachten der früheren Telemesse sind aus heutiger Sicht abschreckender Protz, noch dazu mit Geschenken, die bei keiner Compliance-Regelung mehr durchgehen würden. Und doch erwischt man sich am Montagabend beim europäischen Launch-Event von Paramount+ in London bei dem Gedanken: So ist es also, wenn man vor Stolz über das eigene Produkt platzt.
Die Screenforce Days, das Gattungsevent fürs Fernsehen in Deutschland, setzt hingegen auch in diesem Jahr auf einen Webstream, abends ergänzt um Partys in einigen Städten, um Kundinnen und Kunden feiern zu lassen. Keine Frage: Kreativität steckt sicher auch in diesem Jahr in vielen der für den Stream produzierten Präsentationen, doch zwischen einem Event-Charakter wie in London und meinem Browser-Fenster liegen Welten.
Man denkt seufzend zurück an den Juni 2017 also die Sender aus dem schnöden TV-Wirkungstag die wesentlich überzeugenderen Screenforce Days machten. DWDL.de titelte damals "Das Fernsehen findet sich wieder geil - und das ist gut so". Für die Extra-Portion Stolz auf das eigene Produkt war man am Montagabend im Londoner Westend jedenfalls goldrichtig. Paramount+ hatte eingeladen, um die Ankunft des Streamingdienstes in Europa zu feiern.
Die Liste der Prominenten, die bei blauem Himmel über den blauen Teppich und die Bühne kamen, war bemerkenswert lang: Kevin Costner, Viola Davis, Chiwetel Ejiofor, Naomie Harris, Faith Hill, Bill Nighy, David Oyelowo, Michelle Pfeiffer, Michael Shannon und Sylvester Stallone sind nur einige der Namen. Dazu noch der britische TV-Liebling Graham Norton, der durch den Abend führte und bei Paramount+ eine eigene Drag-Show hat.
Es war ein Schaulaufen, das an frühere Disney-Präsentationen bei den LA Screenings erinnerte. Die meisten der Prominenten waren bei ihren kurzen Auftritten dann "so thrilled" da zu sein, um eifrig zu betonen, dass ihr jeweiliges Projekt "something for everyone" hat. Mehrfach waren sich die Stars auf der Bühne sicher: "You'll love what you see" und "We can't wait for you to see". Bei so vielen Texten vom Teleprompter wäre eine diversere Floskel-Rotation gut gewesen.
Fast möchte man zurufen: Drop the attitude. Der vorgefertigte amerikanische Corporate-Sprech aus dem Mund von Kreativen klingt immer hölzern - an diesem Abend wie auch in den Jahren zuvor bei den LA Screenings. Umso erfrischender waren einerseits die Moderationen von Graham Norton wie auch die Ankündigung von Sylvester Stallone bei seinem Gang auf die Bühne, sich jetzt einfach mal nicht an den Teleprompter zu halten - was zwar zu einer XXL-Anekdote führte, die den Saal aber hörbar gut unterhielt. Einen bitteren Beigeschmack gab es allerdings.
Kurz zuvor waren mit Gillian Anderson, Viola Davis und Michelle Pfeiffer die drei Stars der Serie "The First Lady" auf der Bühne, doch dann kam nur Anderson zu Wort, moderierte in wenigen Sätzen einen Trailer an. Viola Davis und Michelle Pfeiffer konnten ihre Irritation darüber, dass sie wortlos nur für Sekunden als Dekoration auf der Bühne standen, nicht verbergen. Anderson zeigte verzweifelt auf den Teleprompter - sie tat, was ihr vorgegeben wurde.
Während also zwei der drei Frauen der mutmaßlich am prominentesten besetzten Serie nur als optisches Beiwerk fungieren, darf wenig später Old School Macho Sylvester Stallone mit seinen Anekdoten überziehen. Da weiß man auch: Selbst Hollywoodstudios passieren Fauxpas, die man 2022 nicht mehr erwartet hätte. Viola Davis und Michelle Pfeiffer werden den Abend vielleicht in weniger guter Erinnerung halten, dabei hat Paramount schon mehr richtig gemacht als falsch.
Vor Ort gab es neue Details zu den neuen Paramount+ Originals "Tulsa King" mit Sylvester Stallone und Dana Delany, "1923" mit Helen Mirren und Harrison Ford, den Produktionsstart der neuen Serie "Wolf Pack" und Spice Girl Mel B als neue Jurorin für die zweite Staffel der Drag-Competition "Queen of the Universe". "Mit mehr als 100 Jahren Erfahrung im Bereich Storytelling mit unserem Hollywood-Studio und unseren weltweiten Produktionsstandorten wissen wir, wie man großartige, globale Inhalte produziert. Paramount+ ist ein 'Mountain of Entertainment' für die ganze Familie", sagte Tom Ryan, President und Chief Executive Officer (CEO), Streaming bei Paramount.
Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Präsentiert wurde auf dem größten Screen, auf dem ich je ein Screening verfolgt habe, inklusive Bespielung der Seitenwände und Decke des Location, die sich mittendrin öffnete um den Blick auf die USS Enterprise freizugeben (O-Ton Graham Norton: "My Uber is here. Uber Space"). 70 Minuten nahm sich Paramount um seinen "Mountain of Entertainment" vorzustellen, der in Großbritannien und Irland schon ab Mittwoch verfügbar ist. Man hat dabei in jeder Hinsicht geklotzt nicht gekleckert.
Angesichts der Wucht des Events in London bremst Paramount schon einmal ein bisschen die Erwartungen für den Deutschland-Start im Dezember: Ganz so gewaltig werde man es dann wohl nicht aufziehen, auch weil die Abendveranstaltung in der britischen Hauptstadt flankiert war mit Interview-Tagen für Medien aus mehreren europäischen Ländern, zu denen man manche Stars mal eben einfliegen lässt. Das braucht es in dieser Größenordnung beim Deutschland-Start nicht.
Hauptsache es liegt irgendwo zwischen dem Effizienzgedanken der Screenforce Days und diesem Europa-Aufschlag in London. Das wäre schon ein Gewinn.