Seit etwas mehr als einem Jahr ist Christine Strobl nun schon als ARD-Programmdirektorin im Amt - und auch wenn sich auf den ersten Blick gar nicht so viel im Programm des Ersten verändert hat, so fällt die erste Zwischenbilanz durchaus gut aus. Im Schnitt konnte der Sender seinen Marktanteil beim Gesamtpublikum um rund 0,3 Prozentpunkte ausbauen, was freilich zu einem großen Teil auf den Erfolg der Nachrichtenformate zurückzuführen ist. Die "Tagesschau" ist noch immer eine sichere Bank und geht immer häufiger auch beim jungen Publikum als meistgesehene Sendung des Tages hervor. Dazu kommen quotenstarke Sondersendungen um 20:15 Uhr und weiter steigende Quoten für die "Tagesthemen".
Das alles hat es freilich auch schon vor Strobls Amtsantritt gegeben. Es lohnt sich also darauf zu schauen, was sich abseits von "Tagesschau" & Co. getan hat. Und da fällt vor allem der Fiction-Bereich auf: Sicher, auch weiterhin gibt es Herzschmerz am Freitagabend und donnerstags liefern Krimis verlässlich starke Quoten, doch insbesondere im Seriellen zeigt sich der Sender mitterweile mutiger und vor allem flexibler als noch in der Vergangenheit. Dass hängt sicher auch mit der zunehmenden Verzahnung mit der Mediathek zusammen, die auch dem Hauptprogramm vermehrt zu ungewöhnlicheren Stoffen verhilft.
Eine Serie wie "Eldorado KaDe" einen ganzen Abend lang zu zeigen, wäre früher vermutlich undenkbar gewesen, zudem ist ohnehin längst nicht mehr nur der Dienstagabend den Serien vorbehalten. Auch mittwochs ist immer häufiger Platz für Serien, die noch dazu ungewöhnlicher sind als bewährte Formate wie "In aller Freundschaft" oder "Die Kanzlei", die noch immer ihren berechtigten Platz haben. Und oft sind die Neustarts sogar ziemlich erfolgreich: "Euer Ehren", "ZERV", "Schneller als die Angst" und "Tina mobil" funktionierten gut bis sehr gut. Sicher, mit "Legal Affairs" und "Die Glücksspieler" waren auch zwei Flops darunter - doch generell wurde der Mut zu ungewöhnlichen Stoffen vom Publikum honoriert.
Dazu kommt, dass sich Das Erste nach wie vor auf seine Klassiker verlassen kann, allen voran auf den "Tatort", der einmal mehr auf ein quotenstarkes Jahr bei Jung und Alt blickt. Aber auch die Neuauflage von "Mord mit Aussicht" funktionierte richtig gut. Selbst der Vorabend ist inzwischen längst kein Sorgenkind mehr: Dort liegen neben den ohnehin beliebten Quizshows mittlerweile sämtliche Serien oberhalb von zehn Prozent Marktanteil - und insbesondere "Morden im Norden" hat sich mit im Schnitt 13 Prozent inzwischen mehr oder weniger unbemerkt zum Hit entwickelt.
Als guter Schachzug entpuppte sich aber auch die Idee, Sandra Maischberger an zwei Abenden pro Woche talken zu lassen, wenngleich damit vermutlich kein Innovationspreis zu gewinnen ist. Und doch: Die Doppelprogrammierung funktionierte nicht nur besser als die zusätzlichen Ausgaben der Talks aus den Dritten, sondern brachte jüngst sogar an einem Abend den Quoten-Sieg über Markus Lanz mit sich - in dieser Programmierung steckt also echtes Potenzial. Aber auch "Anne Will" blickt sonntags auf ihr bislang stärkstes Jahr zurück, allen voran beim jungen Publikun, wo der Polittalk aktuell sogar regelmäßig zweistellige Marktanteile einfährt.
Mahnmal im Nachmittagsprogramm
Doch nicht jede Neuerung funktionierte, wie der Blick auf den Nachmittag zeigt. Das schon nach wenigen Folgen aus dem Programm verbannte "Familien-Kochduell" mit Steffen Henssler sollte den Verantwortlichen des Senders ein Mahnmal sein - weil es die Frage aufwirft, ob es wirklich Sinn macht, die zur Disposition stehenden, aber noch immer ordentlich laufenden Telenovelas aus dem Programm zu nehmen. Echte Alternativen sind für die Daytime vorerst jedenfalls nicht in Sicht. Ausbaufähig sind zudem noch die Quoten am Sonntag, wo "Weltspiegel" und "Sportschau" die Plätze tauschten. Hier ist es für ein endgültiges Fazit allerdings noch zu früh.
Dass die "Sportschau" kein Selbstläufer ist, muss die ARD derzeit sogar auf dem Stammplatz am Samstag feststellen, wo das Interesse an der Bundesliga aus vielerlei Gründen in der vergangenen Saison massiv nachließ. Ein Erfolg ist der Klassiker aber freilich nach wie vor. Das gilt im Übrigen auch für sämtliche Samstagabendshows, wo zudem Barbara Schöneberger einen erfolgreichen Einstand bei "Verstehen Sie Spaß?" hinlegte. Dass die Schlagershows mit Florian Silbereisen erst wegen Corona und schließlich auch wegen dessen "DSDS"-Engagement länger pausierten, war aus Sicht des Senders jedoch unglücklich - zumal das ZDF mit Giovanni Zarrella in der Zwischenzeit Boden in diesem Segment gutmachen konnte.
Das Fazit: In Christine Strobls erstem Jahr als Programmdirektorin konnte das ARD-Hauptprogramm seine Position als größter ZDF-Verfolger beim Gesamtpublikum somit festigen - bei gleichzeitiger Erneuerung, etwa durch mehr Raum für innovative Serien. Man darf gespannt sein auf das zweite Jahr, in dem davon auszugehen ist, dass Strobl dem Ersten noch stärker als zuletzt ihren Stempel aufdrücken wird.