Der Mai war für RTL ein versöhnlicher Abschluss dieser TV-Saison: Unter freundlicher Mithilfe von Eintracht Frankfurt, dessen Europa-League-Sieg für Traumquoten sorgte, steigerte sich der Sender weit über den Mai-Wert des Vorjahres und auf deutlich zweistellige Werte. Dass man Letzteres überhaupt erwähnen muss, ist neu. Einstellige Marktanteile hat man bei RTL seit den 80ern gar nicht mehr gekannt, seit Juni 2021 verpasste man dann aber gleich in sieben von zwölf Monaten die 10-Prozent-Marke.
Alles in allem war es rein aus Quotensicht betrachtet also keine gute Saison für RTL, auch wenn die Marktführung bei den 14- bis 49-Jährigen nicht wackelte. Doch dass man zwischenzeitlich bis zu 1,8 Prozentpunkte unter dem entsprechenden Wert des Vorjahresmonats lag, muss jedoch die Alarmglocken schrillen lassen. Den Weg hin zu einem „seriöseren“ RTL ist das Publikum offensichtlich noch nicht mitgegangen – was sich am besten an der schlagzeilenträchtigsten Personalie ablesen lässt: Der Trennung von Dieter Bohlen.
Ohne ihn galt es den Samstagabend ganz neu aufzustellen – und das funktioniert augenscheinlich nicht, indem man die bisherigen Formate einfach neu besetzt. Beim "Supertalent" kam mit Podolskis Corona-Ausfall noch das Pech dazu, doch ganz generell ging das so spektakulär schief, dass der Marktanteil zwischenzeitlich auf unter 3 Prozent fiel. Bei "DSDS" wirkte die Besetzung und die gesamte Überarbeitung zwar stimmiger - dass aber trotz Florian Silbereisen teils nicht mal mehr eineinhalb Millionen Interessierte einschalteten und der Marktanteil zuletzt durchweg deutlich im einstelligen Bereich lag, kann niemanden zufrieden stellen, zumal es auch die in diesem Umfeld lange am späten Abend erfolgreichen Shows wie "Take me out" mit nach unten zog.
Wenn man sich über viele Jahre so sehr auf einen Juror konzentriert und dann plötzlich mit dieser Gewohnheit bricht, dann ist das eben schwierig. Doch während die Änderung hier einen guten Grund hatte, bricht man an anderer Stelle geradezu leichtfertig mit jahrelangen Gewohnheiten des Publikums. "Stern TV" ist so ein Fall: Das Magazin fand sich plötzlich nicht nur mittwochs, sondern auch sonntags und mit Specials an gefühlt jeder anderen beliebigen Stelle im Programm wieder, und das auch noch mit wechselnden Moderatorinnen und Moderatoren und auch unterschiedlichen Produktionsfirmen.
Doch während "Stern TV" immerhin seinen Mittwochsplatz recht sicher hat, ist das andere RTL-Primetime-Magazin "Extra" inzwischen völlig heimatlos geworden. Montags läuft es nur noch, wenn RTL nicht gerade eine Show in Überlänge zeigen will - dann läuft es manchmal dienstags, manchmal aber auch nicht, vielleicht taucht die Marke aber auch mal mittwochs zur Primetime auf. Zu diesem Abweichen von gelernten Sendeplätzen gehört auch, dass man manche Formate jetzt so überstrapaziert, dass sie - wie das "Sommerhaus der Stars" - an drei Abenden die Woche ran müssen. Dabei war doch ein Vorzug des Formats gerade auch, dass man früher nicht seinen gesamten TV-Konsum darauf ausrichten musste, weil es in verträglicher Dosis daher kam.
Probleme, die es nicht geben müsste
Auch andere Formate wie "Bauer sucht Frau" müssen nun doppelt ran, dafür ist für "Wer wird Millionär" nun mitten in der Saison über Monate hinweg plötzlich gar kein Platz mehr - obwohl es eines der wenigen RTL-Formate ist, das überhaupt noch ansehnliche Gesamt-Reichweiten einfahren kann. Stattdessen setzt RTL anscheinend alles daran, andere Formate mit Günther Jauch zu etablieren - die allerdings alle nicht nur konzeptionell, sondern auch quotenmäßig abfallen wie "Jauch gegen..." oder der "Gipfel der Quiz-Giganten". Es bleibt die große Frage: Warum will man Jauch überhaupt so unbedingt in ein anderes Format zwingen, statt ihn "WWM" moderieren zu lassen, so lange er noch will? RTL schafft sich damit Probleme, die es eigentlich gar nicht geben müsste.
Dass es eine Sendung wie "Jauch gegen..." nicht ganz leicht hat, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sie generell zu stark gedehnt ist - und dann auch noch durch "RTL direkt" unterbrochen wird. Die Bilanz des neuen spätabendlichen Nachrichtenmagazins fällt durchwachsen aus: Zwar liegt man beim jungen Publikum häufig vor dem direkten Konkurrenten "Tagesthemen", jedoch funktioniert es nur dann so richtig, wenn es nicht wie ein Fremdkörper im Programm wirkt - und das ist allzu häufig der Fall. Im April und Mai wurden im Schnitt rund 9 Prozent Marktanteil in der klassischen Zielgruppe erreicht. Das ist per se gar nicht so schlecht, doch dass RTL damit häufig den Audience Flow des Abends unterbrechen muss, wird auch für Sendungen danach zu Problem, für unterbrochene Sendungen sowieso.
Ansonsten bezog sich die Ausweitung der Info-Schiene vor allem auf die Daytime. "Punkt 12" dauert dort nun gleich drei Stunden. Das läuft okay, auch wenn die letzte Stunde sicher nicht gerade die stärkste ist. Die neue Nachmittags-Ausgabe von "RTL aktuell" hingegen fand kaum Publikum, ebensowenig wie "Explosiv Stories" - was vor allem daran liegt, dass weiterhin ein gutes Konzept für die Zeit dazwischen fehlt. Auch die derzeit dort laufenden "Retourenprofis" führten nicht aus dem Quotental.
Doch das sind angesichts der Probleme in der viel wichtigeren Primetime Nebenschauplätze, konzentrieren wir uns also wieder auf diese Hauptsendezeit. Im Show-Bereich sucht man dort bislang noch vergeblich nach dem nächsten großen Hit, mit dem man über Strecke gehen kann. "Der Preis ist heiß" bediente zwar erfolgreich den Nostalgie-Trend, hier sind aber kaum mehr als vereinzelte Einsätze drin. Mit "7 Tage, 7 Köpfe" ging eine andere Neuauflage eines Klassikers schief, nachdem Monate zuvor schon das ganz ähnlich gelagerte "RTL Top News" gescheitert war. Gut entwickelt hat sich "Lego Masters", gut läuft auch "Denn sie wissen nicht, was passiert" und natürlich Klassiker wie "Let's Dance" oder "Ninja Warrior Germany" (die weniger erfolgreichen Ableger mal außen vor), "Murmel Mania" hielt sich ebenfalls wacker. Hoffnungen setzt man zudem auf "I can see your voice", das künftig als "Zeig uns deine Stimme" läuft - allerdings lief die zweite Staffel schon schlechter als die erste und war allenfalls noch gutes Mittelmaß.
Im Fiction-Bereich hat man sich von allem alten Balast getrennt und hofft auf neue Impulse im Zusammenspiel mit RTL+. Dass das nicht so einfach wird, zeigte etwa der Flop des "König von Palma". "Sisi" lief zwischen den Jahren besser, dass die alten "Sissi"-Filme im Nachmittagsprogramm der ARD aber mehr Zuschauerinnen und Zuschauer hatten als die letzten Folgen der "Sisi"-Serie in der RTL-Primetime ist schon etwas ernüchternd. Die größte Enttäuschung war aber sicherlich die Neuauflage von "Balko" als 90-Minüter, die ebenso wie "Einsatz in den Alpen" komplett durchfiel. Trotzdem dreht man einen zweiten "Balko"-Film - RTL ist zu wünschen, dass den vielleicht ein paar mehr Leute entdecken.
Dass sich die Privaten mit Fiction schwer tun, ist aber nichts Neues und überall zu beobachten. Um so wichtiger wäre es also, auch in anderen Genres stärker zu punkten. Kürzlich machte man recht gute Erfahrungen mit "Buying Blind". "Unbreakable - Wir machen dich stark" sollte im Herbst allerdings als Musterbeispiel für die neue RTL-Ausrichtung im Reality-Bereich dienen. Nach einem Fehlstart zog RTL schon nach einer Folge wieder den Stecker, seither wurde nichts mehr davon gehört. Auch das zeigt: Die Neuausrichtung von RTL bleibt ein schwieriges Unterfangen. Dass das nicht von heute auf morgen gelingt und mit viel Trial & Error verbunden ist, ist nicht überraschend. So langsam würde es aber mal wieder Zeit für einen wirklich durchschlagenden Erfolg - auch abseits eines Überraschungssiegs der Eintracht.