In einer aus heutiger Sicht überholt wirkenden Fernsehwelt, bestehend aus rein linearen Programmen, ob nun werbefinanziert oder Pay-TV und einem Kalenderjahr geprägt von Fernsehsaison und mehr oder weniger Sommerpause, war der Mai über viele Jahre ein Fixpunkt im Terminkalender von Fernseheinkäuferinnen und -einkäufern aus aller Welt, die sich in Los Angeles einen Eindruck davon verschaffen wollten, welche neuen Serien und Formate die großen Hollywood-Studios im Angebot haben für die kommende Saison.

Wer, wie die beiden großen deutschen Privatsender-Gruppen, lange sogenannte Output-Deals mit den Studios hatte, kam, um zu schauen, was man schon lange im Voraus blind im Paket eingekauft hatte, um sich auf diesem Wege den einst so wichtigen Serien-Nachschub aus Hollywood zu sichern. Für Einkäuferinnen und Einkäufer aus vielen anderen Nationen hingegen galt es: Schnell sichten und für einzelne Serien bieten, um sich den nächsten potentiellen Serien-Hit fürs Programm zu sichern.

Doch das war in einer Welt, in der Hollywood im TV-Geschäft eine weitaus dominantere Rolle spielte als heute und das nicht nur, weil auch andere internationale Märkte plötzlich exportieren. Viele lineare Fernsehsender, nicht nur in Deutschland, haben, verbunden mit dem Wunsch nach mehr Unabhängigkeit, den Anteil an Eigenproduktionen bzw. lokalen Auftragsproduktionen schon vor Jahren erhöht, weil sich der Trend zu vertikalen Medienhäusern abzeichnete. Gemeint ist u.a. Produktion und Verwertung im eigenen Unternehmen, mit Konsequenzen für den Weltmarkt.

Disney, Paramount und NBC Universal besitzen inzwischen eigene, meist sogar international verfügbare Streamingdienste, das altehrwürdige Produktionshaus MGM wurde von Amazon übernommen. Damit stellten sich in den Jahren der Pandemie viele internationale TV-Einkäuferinnen und Einkäufer die Frage: Wie viele Produktionen werden künftig überhaupt noch frei verkauft in Hollywood - und damit verbunden: Braucht es die LA Screenings noch, wenn kaum noch Ware gehandelt wird?

Eine Frage, die sich noch nicht damit beantworten lässt, dass die LA Screenings in diesen Tagen immerhin wieder abgehalten werden. Denn was genau überhaupt zu erwarten ist, darüber wurde seit Wochen gegrübelt. Gibt es ein New Normal? Oder doch nur eine Abschiedstournee nach Pandemie-bedingter Pause, weil das Streaming-Zeitalter den freien Verkauf von Serien reduziert hat? Es sind weit weniger als sonst, aber immer noch hunderte Einkäuferinnen und Einkäufer, die diesen Tagen nach Los Angeles gereist sind, um auf die Suche nach Antworten zu gehen. 

LA Screenings 2022 © DWDL.de

Sie kommen aber auch, weil neben den Produkten - also den neuen Serien - sich in diesem Jahr mehrere US-Medienhäuser erstmals neu aufgestellt präsentieren wollen. Manche haben ihre Streamingangebote ausgebaut wie NBC Universal, andere wie Paramount (Ex-ViacomCBS) dazu noch ein Rebranding hinter sich oder gar eine Elefantenhochzeit wie Warner Media und Discovery, die sich der internationalen Fachwelt in Burbank erstmals als Warner Bros. Discovery präsentieren. Fast alle haben eingeladen: Die großen Hollywood-Studios zu eigenen Events und viele weitere Produktionsfirmen und Distributoren, die die Anreise der vielen Programm-Einkäuferinnen und -einkäufer traditionell mit kleinerer Präsenz und Einzelterminen für sich nutzen wollen.

Nur ein Global Player ist raus in diesem Jahr: Disney mag nicht, womit auch die abendliche Party auf dem Studiogelände entfällt, die am Sonntagabend über so viele Jahre hinweg so etwas wie ein inoffizieller Startschuss für die Screenings war. Auch anders: Haben die meisten Studios in der Vergangenheit ob der Vielzahl der Gäste an mehreren Tagen ihre Screenings wiederholt, gibt es diesmal mehrere Häuser die sich auf ein Screening an einem Tag fokussieren, etwa Warner Bros. Discovery. Paramount wiederum screent weiterhin mehrere Tage hintereinander, allerdings ohne Comeback des Caterings von In'n'Out-Burger.

Die LA Screenings, sie waren eben immer auch Klassenfahrt ins sonnige Kalifornien. Nicht wenige reisten also an, einfach weil es wieder ging und die Neugier auf den Umgang der Hollywood-Studios mit den früher so wichtigen internationalen Partnern überwog. "Fliegst Du hin?" war in den vergangenen Wochen eine oft gehörte Frage unter führenden Köpfen der Branche, die sonst Los Angeles im Mai fix im Kalender stehen hatten. Aus Deutschland sind wieder einige Dutzend Gäste vor Ort, wie uns die Studios von ihren Gästelisten berichten.

Es kommt, wer nicht gerade für diese Woche wichtige Stratege-Meetings angesetzt oder sich auf den letzten Metern Corona eingefangen hat. DWDL.de ist wie schon seit mehr als zehn Jahren wieder vor Ort unterwegs und wird berichten von den Screenings, die der Fachpresse offen stehen. Wichtiger aber sind die Eindrücke der Einkäuferinnen und Einkäufer - in diesem Jahr eben nicht nur bezogen auf ein vermindertes Angebot an neuen Serien - sondern von Stil und Tonfall bei der Frage, wie viel Handel die Hollywood-Studios überhaupt noch wollen, wo sie doch im Grunde alle selber streamen.

Nur ein Studio hebt sich da übrigens ab: Sony kultiviert geradezu die Tatsache, dass man ohne eigene Plattform (fast vergessen sind zwischenzeitliche Streaming-Ambitionen) unabhängig sei und weiterhin unverändert frei handeln will. Eins ist schon jetzt klar: LA Screenings wie in diesem Jahr, wird es nie wieder geben. Die kommenden Tage werden entscheiden, ob man z.B. auch bei Disney 2023 wieder all-in gehen wird, weil die Nachfrage groß genug bleibt - oder wir in diesen Tagen eine Abschiedstournee der Hollywood-Studios von dem Event für die internationalen Einkäuferinen und Einkäufer erleben.