Dass der kürzlich erfolgte Zusammenschluss der US-Konzerne Discovery und WarnerMedia reibungslos vonstatten gegangen sei, wäre selbst für Hollywood-Verhältnisse eine schamlose Beschönigung. Trotz einjähriger Vorbereitung knallte es intern gewaltig, insbesondere beim Nachrichtensender CNN, der nach dem Rausschmiss seines langjährigen Chefs Jeff Zucker führungslos in die Übernahme durch Discovery-Boss David Zaslav taumelte. Gerade mal zehn Tage, bevor der Merger am 8. April vollzogen wurde, erblickte mit CNN+ ein neuer Streaming-Service das Licht der Welt. Noch im April zog Zaslav den Stecker – zu teuer und zu unpassend für die künftige Streaming-Strategie von Warner Bros. Discovery.
Bei aller juristisch notwendigen Zurückhaltung vor Genehmigung der Fusion hatten Discovery-Vertreter dem damaligen WarnerMedia-Chef Jason Kilar laut Medienberichten signalisiert, dass sie Zweifel an CNN+ hatten. Öffentlich sprach Zaslav immer wieder über die kombinierte Stärke von HBO Max und Discovery+ in künftig einem einzigen gemeinsamen Angebot, das Konsumenten das volle Warner-Bros.-Discovery-Bouquet liefern werde. Dennoch investierte Kilar fast eine halbe Milliarde Dollar in die Plattform und peitschte den Launch ungebremst durch. CNN+ werde "für die Mission von CNN wahrscheinlich ebenso wichtig, wie der lineare TV-Sender es die letzten 42 Jahre war", twitterte Kilar am Starttag. Einen Monat später war CNN+ abgeschaltet und der WarnerMedia-CEO durch die Tür.
Der Mann, der die ebenso schnelle wie radikale Entscheidung traf, hatte monatelang daran gearbeitet, sein Image hollywoodgerecht aufzubessern. Als "Cable Cowboy" bei NBC Universal groß geworden, lautete Zaslavs Erfolgsrezept für seine Nonfiction-Fabrik Discovery, die Kosten niedrig und die Inhalte billig zu halten. Das machte ihn zum höchstbezahlten CEO der Medienbranche. Bevor ihm jedoch durch den Deal mit AT&T Prestigebetriebe wie Warner Bros. und HBO zufielen, charmierte er halb Hollywood, um seinen Respekt für große Filme und teure Kreative zu betonen. Fast hätte man vergessen können, dass der neue WBD-Konzern 55 Milliarden Dollar an Schuldenlast abbauen muss und den Investoren drei Milliarden Dollar an Synergien versprochen hat.
Offiziell ist zwar noch nicht beschlossen, wo Wiedenfels neben CNN+ noch auf die Kostenbremse treten wird. Doch in kalifornischen Branchenkreisen gilt als ausgemacht, dass die Kabel-TV-Sender TNT, TBS und truTV, die zuletzt hochwertige Serien wie "Snowpiercer" oder "Animal Kingdom" hervorbrachten, fortan auf fiktionale Eigenproduktionen verzichten müssen. Alle Neuentwicklungen sind dem Vernehmen nach bereits gestoppt. Beim Filmstudio Warner Bros. stehen offenbar die für die hauseigene Streaming-Plattform HBO Max produzierten Filme auf dem Prüfstand. Etliche Titel wie "Superintelligence" mit Melissa McCarthy, "Let Them All Talk" mit Meryl Streep oder "Zack Snyder's Justice League" waren in den vergangenen zwei Jahren ohne Umweg ins Kino direkt für die Plattform entstanden – als Antwort auf die exzessive Original-Movies-Strategie von Netflix.
Während für Warner unter Kilar die Priorität darin lag, mit möglichst hohem Volumen möglichst schnell zum ernsthaften Netflix-Herausforderer zu werden, stehen die Zeichen für WBD seit dem Abo- und Kurseinbruch des Platzhirschs im April eher auf Zurückhaltung. "Das offensichtlich einzige Ziel der alten WarnerMedia-Führung, um jeden Preis HBO-Max-Abonnenten zu gewinnen, wird vom neuen Gesellschafter revidiert", so Michael Nathanson, Analyst der US-Research-Agentur MoffettNathanson. Zaslavs Mannschaft konzentriere sich stattdessen darauf, Free-Cash-Flow und Return-on-Investment zu optimieren. So verbrachte Wiedenfels jüngst einige Wochen in Los Angeles, um auszuloten, welche Geschäftsfelder Potenzial haben und welche nicht. Nach eigenen Angaben hat WBD nicht vor, die derzeitigen Gesamtausgaben für Content – 23 Milliarden Dollar im laufenden Jahr – zu kürzen.
Mit Blockbustern wie zuletzt "The Batman", dem bislang erfolgreichsten Hollywood-Film des Jahres, die im US-Markt neuerdings schon 45 Tage nach Kinostart zu HBO Max kommen, sowie mit einem nach wie vor äußerst starken Serien-Output von HBO ist die Plattform ohnehin attraktiv bestückt. Während es nahezu unmöglich scheint, den Rivalen Netflix in puncto Quantität zu stellen, hat HBO Max bei der Qualität nicht selten die Nase vorn. Kein Wunder also, dass Casey Bloys, Chief Content Officer von HBO und HBO Max, als einer von wenigen früheren Warner-Managern in Zaslavs Führungsteam bleiben durfte. Seine volle Streaming-Stärke entfaltet der neue Konzern demnächst, wenn HBO Max mit der Fülle an Doku- und Reality-Formaten von Discovery+ fusioniert wird. In einem ersten Schritt sollen zunächst beide Abos im Paket angeboten werden, bevor sie dann auch technisch auf ein und dieselbe Plattform ziehen.
Deutsche Konsumenten müssen auf dieses Szenario noch etwas länger warten. Hierzulande steht erst einmal die Markteinführung von Discovery+ kurz bevor – in den kommenden zwei Monaten in Kooperation mit Sky. Bei Sky liegt bis 2025 auch der Output-Deal über HBO-Serien und Warner-Spielfilme, weshalb ein hiesiger Launch von HBO Max – oder wie immer die kombinierte Plattform dann heißen wird – erst danach erfolgen kann. Max Originals ab dem Produktionsjahr 2022 wiederum – Serien wie "Pretty Little Liars: Original Sin", "Justice League Dark" oder "Green Lantern" – werden ab Herbst/Winter für etwa drei Jahre auf RTL+ zu sehen sein.
Mindestens ebenso gespannt wartet die deutsche Branche auf die künftige lokale WBD-Führungsstruktur. Gerhard Zeiler, den Zaslav als President International von WarnerMedia übernommen hat, hat unlängst Priya Dogra als WBD-Chefin für die EMEA-Region berufen. Bis die beiden konkrete Namen in den einzelnen Ländern nennen, könnte noch ein Quartal vergehen. An den Spitzen der beiden zu fusionierenden Organisationen stehen hierzulande bislang Susanne Aigner (Discovery DACH und Benelux) und Sylvia Rothblum (WarnerMedia DACH).