Vom akuten Pflegenotstand kann Caro Lacher ein Lied singen. Das Arbeitsleben der mobilen Pflegekraft in Thüringen wäre deutlich eintöniger, wenn ihre prominenten Patienten nicht mit so skurrilen, tragikomischen Schicksalen um die Ecke kämen. Die "Pflegionärin", von Benita Sarah Bailey gespielt, versorgt Iris Berben, Maria Ehrich oder Thomas Thieme und ist die Titelfigur der gleichnamigen Short Dramedy für den MDR, die am 23. März in der ARD-Mediathek startet. Caro stammt aus demselben Kreativ-Stall wie Melanie und Lars, die von Lisa Bitter und Daniel Donskoy gespielten Eltern aus der ZDF-Instant-Fiction "Schlafschafe", die im vorigen Jahr das Phänomen der Verschwörungstheorien aufrollten.

Diese jüngere, schnellere, unkonventionellere Art, Serien zu erzählen, liegt Philipp Schall am Herzen. Erster Schritt: ein polarisierendes Gesellschaftsthema identifizieren. Zweiter Schritt: zügig loslegen, ohne erst zwei Jahre mit der Stoffentwicklung zu verbringen. Das nächste Projekt wartet schon auf seinem Schreibtisch. Dabei hat der Münchner Produzent dort seit Jahresbeginn mehr Verantwortung aufgetürmt. Schall ist nicht mehr nur Geschäftsführer der Produktionsfirmen Tellux Film und Tellux Next, sondern zusätzlich in die Holding der Tellux-Gruppe aufgestiegen. Damit steuert er ein weitverzweigtes Geflecht aus 15 Unternehmen – ein eher verschwiegenes Konstrukt.

Philipp Schall © Tellux Film "Buntheit und Vielfalt": Philipp Schall soll die traditionsreiche Tellux-Gruppe in die Zukunft führen
Anderen mittelständischen Produktionsgruppen wäre der eingeleitete Generationswechsel eine Pressemitteilung wert gewesen. Bei der Tellux lässt man traditionell lieber die Programme für sich sprechen. Der 44-jährige Schall, seit 2014 in der Gruppe tätig, sitzt nun an der Seite des langjährigen Tellux-Chefs Martin Choroba, 60 Jahre alt und 28 davon in Diensten der Firma. Ab wann Schall das 1960 gegründete Unternehmen allein leiten wird, steht noch nicht fest. Dafür fällt sein Bekenntnis zum Arbeitgeber umso klarer aus: "Für mich ist die Tellux in ihrer Buntheit und Vielfalt einzigartig. Sie ist seit 62 Jahren am Markt, hat ihr Spektrum aber immer wieder neu definiert und sich dabei auch verjüngt", so Schall im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de.

Was die Tellux-Gruppe von anderen Produzenten unterscheidet, ist vor allem ihre Gesellschafterstruktur: Rund 90 Prozent der Anteile gehören zehn verschiedenen Bistümern und Erzdiözesen der katholischen Kirche. Die restlichen zehn Prozent hält Erich Fürst von Waldburg zu Zeil und Trauchburg, nicht nur einer der größten privaten Grundbesitzer Deutschlands, sondern auch an den Verlagen von "Schwäbischer Zeitung" und "Allgäuer Zeitung" beteiligt. Ist die Tellux also so etwas wie ein kirchliches Sprachrohr? Von außen betrachtet, zeigt sich ein widersprüchliches Bild. In ihrer Satzung – zuletzt im Dezember neu gefasst – bekennt sich die Holding dazu, die katholische Kirche "in ihrem Öffentlichkeitsauftrag, insbesondere bei ihrem Verkündungsauftrag und der Vermittlung verbindlicher Werte und Normen in den Medien" zu unterstützen. Und weiter: "Die Programme der Tellux-Gruppe werden um des Menschen willen, nicht vorrangig wegen des materiellen Gewinns, hergestellt. Gesellschafter, Aufsichtsrat, Geschäftsführung und sämtliche Mitarbeiter sind daher verpflichtet, stets darauf zu achten, dass die Programme zur sozialen und individuellen Verträglichkeit beitragen und die Verbundenheit und die Gemeinschaft aller Menschen sowie ihr Zusammenleben fördern."

Die Gesellschafter der Tellux Beteiligungsgesellschaft mbH

Gesellschafter Anteil
Bistum Rottenburg-Stuttgart 32,35 %
Erzdiözese München und Freising 19,90 %
Erzbistum Köln 10,64 %
Erich Fürst von Waldburg zu Zeil und Trauchburg 10,09 %
Erzbischöfliche Vermögensverwaltung Berlin 7,57 %
Bistum Münster 5,40 %
Erzbistum Freiburg 4,91 %
Bistum Mainz 3,54 %
Erzbistum Hamburg 3,50 %
Bistum Dresden-Meißen 1,25 %
Deutsche Provinz der Jesuiten 0,84 %

Quelle: Handelsregister/Tellux-Gruppe

 

Dann folgt freilich ein Satz, der in der vorherigen Fassung von 2012 noch nicht stand, sondern erst vor wenigen Monaten hinzugefügt wurde – während der kirchliche Missbrauchsskandal bei einigen der Tellux-Gesellschafter hohe Wellen schlug: "Ebenfalls sind sie daher verpflichtet, sich wie in den Programmen auch bzgl. aller beruflich Tätigen der Tellux-Gruppe für Antidiskriminierung und den Schutz vor sexualisierter Gewalt einzusetzen." Das klingt weniger nach Sprachrohr als nach klarer Abgrenzung. Unter den produzierten Sendungen wiederum findet sich massenhaft Programm, das nichts mit Kirche oder Glauben zu tun hat: Serien wie "Schlafschafe" oder "Die Pflegionärin" etwa, diverse Münchner und Berliner "Tatorte", der BR-Klassiker "Löwengrube", Romanzen wie die ZDF-Herzkino-Reihe "Ein Sommer in..." oder das preisgekrönte Gaming-Sucht-Drama "Play". Andererseits dann einschlägige Formate mit Konfessionsbezug wie "Und was glaubst du?", "Der Kirche ein Dorf geben", "Die 10 An-Gebote mit Collien Ulmen-Fernandes" oder die RTL-"Bibelclips".

 

"Wir sind weder ein Zuschussbetrieb der Kirchen noch sonst wie in kirchliche Strukturen eingebunden"
Philipp Schall, Geschäftsführer der Tellux-Gruppe

 

Für Philipp Schall ist das alles kein Widerspruch, sondern Ausdruck der beschriebenen Vielfalt. "Wir sind weder ein Zuschussbetrieb der Kirchen noch sonst wie in kirchliche Strukturen eingebunden", sagt der Multi-Geschäftsführer. "Für die Bistümer in unserem Gesellschafterkreis sind wir gewissermaßen eine Beteiligung im Sinne ihres gesellschaftlichen Engagements, die wirtschaftlich nachhaltig sein soll. Unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit geht Hand in Hand mit unserer inhaltlichen Unabhängigkeit." Die Frage nach dem Unterschied zu anderen Produktionsfirmen mit anderen Gesellschaftern beantwortet Schall, der vor seiner Tellux-Karriere an der Münchner Neos Film beteiligt war, mit sanftem Nachdruck: "Logischerweise kämpfen alle Produzenten um Relevanz, keiner würde das Gegenteil behaupten. Die Tellux ist dabei allerdings extrem inhaltlich getrieben. Wir wollen nicht nur hochwertiges, sondern im wahrsten Sinne des Wortes gutes Programm machen – mit einem humanistischen Anspruch."

Nur zu gut weiß Schall, dass darauf die Frage nach dem schuld- und schandhaften Verhalten etlicher Kirchenfürsten folgt, ja, folgen muss. Nicht jeder in der Branche mag alle 15 Tellux-Töchter kennen, aber die meisten wissen natürlich um den katholischen Background. Es wäre also unrealistisch, das bedrückende Thema vom eigenen Business komplett fernzuhalten, aller wirtschaftlichen und inhaltlichen Unabhängigkeit zum Trotz. "Auch wenn wir nichts direkt damit zu tun haben, werden wir mitunter von Kunden und Partnern auf die Negativschlagzeilen der katholischen Kirche angesprochen", sagt Schall. "Ich glaube nicht, dass sich das auf unser Geschäft auswirkt. Aber natürlich bewegt und empört mich dieser schlimme Missbrauchsskandal persönlich als Mensch und als Christ. Ich finde es sehr wichtig, dass die nötige Erneuerung aus der Kirche heraus erfolgt."

Die Tochterfirmen der Tellux-Gruppe

Firma Sitz Anteil
ABC-Studio Audiovisuelle Produktionsgesellschaft
GF: Martin Choroba
Wiesbaden 100 %
Alpha Entertainment Film- und Fernsehproduktion
GF: Dr. David Hober, Philipp Schall
⇒ 50 % Medienhaus (Deutsche Bischofskonferenz)
Köln 50 %
APG - Allgemeine gemeinnützige Programmgesellschaft
GF: Dr. Matthias-Johannes Fischer
⇒ 51 % Medienhaus (Deutsche Bischofskonferenz)
Bonn 49 %
Astratel Radio- und Television-Beteiligungsgesellschaft
GF: Martin Choroba
München 100 %
Cross Media Medienproduktion
GF: Martin Choroba, Dr. Ernst Ludwig Ganzert
⇒ 50 % Eikon Media (Evangelische Landeskirchen, EKD)
Halle (Saale) 50 %
IFAGE Filmproduktion
GF: Andrea Haas-Blenske, Volker Schmidt-Sondermann
Wiesbaden 100 %
it Media Medienproduktion
GF: Johannes Quirin, Philipp Schall
⇒ 50 % Evangelisches Medienhaus Stuttgart
Stuttgart 50 %
Katholisches Filmwerk
GF: Harald Hackenberg
⇒ 51 % Medienhaus (Deutsche Bischofskonferenz)
Frankfurt 49 %
Mideu Films
GF: Ingelore König, Grit Wißkirchen
⇒ 60 % MDR Media
Halle (Saale) 40 %
Moviepool
GF: Johanna Teichmann, Martin Choroba
München 100 %
Provobis Gesellschaft für Film und Fernsehen
GF: Martin Choroba, Jens C. Susa
Berlin 100 %
Tellux Film
GF: Martin Choroba, Philipp Schall
München 100 %
Tellux-Film Dresden
GF: Volker Schmidt-Sondermann, Martin Choroba
Dresden 100 %
Tellux Musikverlag
GF: Martin Choroba, Alexander Faroga
München 100 %
Tellux Next
GF: Martin Choroba, Philipp Schall
München 100 %

Quelle: Bundesanzeiger/Handelsregister/Tellux-Gruppe

   

Was die Erneuerung des Traditionsbetriebs Tellux angeht, hat Schall bereits einige Duftmarken gesetzt. Ihm ist es gelungen, die Tellux Next als anerkannten Digital-Dienstleister zu etablieren, der das Kerngeschäft der klassischen Film- und Fernsehproduktion um interaktive Apps, Virtual-Reality-Anwendungen oder Social-Media-Formate erweitert hat. Zur Verjüngung und zu mehr Vielfalt trägt ebenso bei, dass die bisherige Tellux-Film-Produzentin Johanna Teichmann – verantwortlich für "Die Pflegionärin" – pünktlich zu ihrem 40. Geburtstag mit der Geschäftsführung der Schwesterfirma Moviepool betraut wurde und dass die beiden Produzentinnen Carolin Engstfeld (zuvor Splendid Studios) und Wiebe Mercier (zuvor Sony Pictures) seit einem guten halben Jahr ein neues Label namens Storytelle für "Geschichten aus der weiblichen Perspektive" aufbauen – angesiedelt in Köln bei der ebenfalls von Schall geführten Alpha Entertainment.

Die zahlreichen verschiedenen Labels und Firmennamen können für Außenstehende durchaus verwirrend wirken. Auf eine einheitliche Dachmarke setzt die Tellux-Gruppe bislang nicht. Und es steht auch nicht zu erwarten, dass der neue starke Mann daran etwas ändern will. "Im Lauf der Zeit gab es immer wieder Anpassungen der Struktur", sagt Schall. "Die Gruppe war mal größer, mal kleiner. Die größte Stärke liegt in der Vielfalt unserer Produzentenpersönlichkeiten und der unterschiedlich ausgerichteten Marken, die jeweils sehr eigenständig agieren." Zu den wichtigsten strategischen Vorhaben der kommenden Jahre zählt laut Tellux-Geschäftsbericht die Produktion von High-End-Serien, für die "lange und kostenintensive Entwicklungs- und Akquisitionsphasen einkalkuliert" werden müssen.

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