Thomas Helmer © Sport1 Thomas Helmer
Italiens Fußball hat der Welt den Catenaccio beschert, also jenes Spielsystem, das einem Türriegel gleicht. Eine Taktik, in der hinten sehr dicht gestanden wird, dass der angreifende Gegner schier verzweifelt, weil er kaum mehr weiß wohin mit dem Ball. All das dürfte weithin bekannt sein. Dass das italienische Fernsehen den Deutschen einen anderen erstaunlichen Erfolg, der nun seinen zehnten Geburtstag feiert, beschert hat, ist hingegen weit weniger bekannt: Der "Sport1 Fantalk" hat sich in seiner Entstehungsphase von ähnlich gearteten Sendungen aus Italien inspirieren lassen, erinnert sich Thomas Helmer, Moderator der ersten Stunde, im Gespräch mit DWDL.de. "Die Idee war ja, dass die Fans dabei sind und auch zu Wort kommen. Auf der Idee kaust du dann rum und dann heißt es: Probieren wir es aus zu einem Livespiel." Einem Livespiel, für das der Sender keine Rechte hatte und somit auch keine Bilder zeigen durfte. Das kannte Sport1 schon von der Heim-WM 2006, auch damals habe es schon "witzige Ideen" gegeben. "Ich weiß noch, wie wir mal mit Fredi Bobic bei gefühlt 40 Grad vor dem Argentinien-Spiel Steaks gegrillt haben und andere kuriose Dinge gesendet haben", sagt Helmer.

So also wagte man sich an die "Fantalk"-Premiere. Diese flimmerte Mitte Februar 2012, an einem Champions-League-Achtelfinal-Abend, an dem unter anderem Bayer 04 Leverkusen dem FC Barcelona mit 1:3 unterlag, über die Bildschirme. Schauplatz des ersten "Fantalks" dieser Art war eine Kultkneipe im Ruhrgebiet, die 11-Freunde-Bar in Essen. Die dortige Atmosphäre, erinnert sich Helmer noch heute, hätte am Anfang natürlich geholfen. Das Konzept ist einfach erklärt, klingt mitunter aber auch seltsam, wie auch Pit Gottschalk, Sport1-Chefredakteur, Chief Content Officer und Mitglied der Geschäftsleitung, zugibt: "Zugegeben, zunächst klingt die Idee verrückt: Man schaut Leuten beim Fußballgucken zu. Aber dann kommen die wichtigsten Zutaten, die der Fußball liefert." Und damit meint er pure Emotionen und den Fakt, dass es jeder besser wisse. "Nirgendwo gelingt das Rezept besser als mitten im Pott."

Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Sendung auch 2022 noch im Westen Deutschlands beheimatet ist – die nach dem Fußballmagazin benannte Bar hat man mittlerweile zwar hinter sich gelassen, sendet aber inzwischen aus einem nicht minder wichtigen Ort des deutschen Ballsports. "Das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund bietet uns dafür die perfekte Küche: Aktuelles Geschehen und gleichzeitig Traditionsbewusstsein. Die Leute lieben das", sagt Gottschalk zu DWDL.de.

Mehrere Abos für die Champions League nötig

Pit Gottschalk © Sport1 Pit Gottschalk
Das zeigt sich immer wieder auch in den Reichweiten. Wenn der Ball rollt, waren zuletzt teilweise an die halbe Million Zusehende dabei, die erfolgreichsten Ausgaben knackten einst sogar die Millionen-Marke. Es sei eben ein großes Bedürfnis nach einer Free-TV-Alternative vorhanden, wenn die Spiele der Königsklasse stattfinden, sagt Gottschalk. Seit Mitte 2018 ist der UEFA-Wettbewerb in Deutschland schließlich großteils im Bezahlfernsehen verschwunden, aktuell laufen die Spiele bei DAZN und Amazon. "Während man die Champions League live nur noch im Pay-TV verfolgen kann, bieten wir den Zuschauern die Möglichkeit, auch im Free-TV alles Wissenswerte aus den Stadien zu erfahren und dabei entweder vor Ort oder über unsere Social-Media-Kanäle mitzudiskutieren – mal heiter, mal hitzig. Inzwischen braucht man ja als Fußballfan sogar mehrere Abos, um alle Spiele der Champions League live sehen zu können", erklärt Gottschalk. 

Und mit was hält man Fußballfans über mehrere Stunden bei der Stange, während ihre Mannschaft um Siege kämpft? Die Antwort dürfte im Mix der anwesenden Gäste liegen und dieser habe sich seit dem Beginn vor zehn Jahren nicht großartig verändert. "Wir haben Fußballexperten, aber auch mal einen Comedian oder einen Gast aus einem anderen Bereich. Wenn ein Spiel lange 0:0 steht, sind die Emotionen nicht so präsent, aber es gibt immer viel zu reden, auch oft noch über Bundesliga-Themen, die gerade präsent sind. Und wenn Tore fallen und Fußball-Geschichte geschrieben wird, sind wir dabei", sagt Moderator Thomas Helmer. An "unvergessliche Momente" wie Dortmunds Last-Minute-Sieg gegen Malaga und dem damit einhergehenden Halbfinaleinzug vor knapp neun Jahren erinnert er sich noch gut. "Einen Moment vorher redest du noch über die Gründe fürs Ausscheiden und dann flippen wirklich alle aus." Kurios geht es zweifelsfrei des Öfteren zu, wenn der "Fantalk" läuft.

Fantalk © Sport1 / DFM Schütze
 

Fußballtrainer Peter Neururer, ein weiteres Urgestein der Sendung, färbte sich einst live on Air die Haare blau – in Anlehnung an die Vereinsfarben des VfL Bochum, mit dem er vor fast 20 Jahren mit seine größten Erfolge an der Seitenlinie feierte. Man mag sagen, ohne Neururer wäre es einfach nicht der "echte" "Fantalk". Menschlich top sei der Fußballlehrer, bestätigt auch Helmer und legt nach: Zuverlässig und sich nicht zu schade, mal nachzufragen, sei das 1955 in Marl geborene Fußball-Unikat auch noch.

 

"Die Atmosphäre gehört wie im Stadion dazu."  Thomas Helmer

 

Und so meisterte der "Fantalk" zuletzt auch eine seiner schwereren Phasen, nämlich die Zeit, in der es bei der Produktion vor Ort coronabedingt massive Einschränkungen gab, die kurzzeitig sogar zum Komplett-Ausschluss des anwesenden Publikums führten. "Natürlich ist es schade, wenn wir ohne Zuschauer senden müssen oder mit Beschränkungen. Die Atmosphäre gehört wie im Stadion dazu. Aber wenn man die Themen sieht, werden immer wieder Emotionen angesprochen und irgendwann geht ein Gast aus dem Sattel, womit man vorher so nicht gerechnet hat", sagt Helmer.

Das soll auch in Zukunft so bleiben. So bleibt der "Fantalk" in seinem elften Lebensjahr ein Faszinosum – ähnlich wie der Catenaccio, der sich nirgends auf der Welt so durchsetzte wie eben in Italien. Und auch der "Fantalk" scheint nicht für Sendeplätze abseits des Dienstag- oder Mittwochabends geeignet. Vor ein paar Jahren versuchte Sport1, die Idee auch auf den Samstagnachmittag auszuweiten. "Allerdings sprachen damals dann insbesondere programmliche Gründe gegen eine dauerhafte Umsetzung", erinnert sich Gottschalk. Bundesliga und zweite Bundesliga würden vom Sender am Wochenende "umfassend" mit anderen Highlight- und Talkformaten abgebildet.