Gängige Vorurteile über deutsche Comedy sollten sich in Großbritannien eigentlich erledigt haben, nachdem der "Independent" von einem "Triumph" schrieb und der "Telegraph" das Etikett "schauderhaft vergnüglich" vergab. Den meisten BBC-Zuschauern dürfte freilich gar nicht bewusst sein, dass sie die britische Adaption eines deutschen Formats gesehen haben. Für die Londoner Produktionsfirma Studio Hamburg UK ist "The Cleaner" jedenfalls ein so durchschlagender Erfolg, dass sie mit dem Auftrag für eine zweite Staffel ins neue Jahr starten konnte.
Dass der norddeutsche "Tatortreiniger" Schotty mit seinem skurrilen Humor das Zeug zum internationalen Formathit haben könnte, war lange Zeit nicht absehbar. Der vom NDR zwischen 2011 und 2018 ausgestrahlte Halbstünder mit Bjarne Mädel in der Titelrolle entwickelte sich zur Kultserie, bevor Autorin Ingrid Lausund alias "Mizzie Meyer" ihr Werk in voller Blüte beerdigte. Jetzt scheint es durchaus realistisch, dass Schotty nach dem britischen Counterpart Wicky weitere Kollegen im Ausland bekommt.
Die Frau, die für den ungeahnten Triumph verantwortlich ist, sitzt mit ihrem dreiköpfigen Team in einer gemütlichen Dachetage im Londoner Stadtviertel Soho, gleich ums Eck vom Oxford Circus. Vivien Muller-Rommel fing 2016 an, den Außenposten des öffentlich-rechtlichen Produktionskonzerns aus Hamburg aufzubauen. "Nach fünf Jahren intensiver Entwicklungsarbeit ernten wir jetzt mit dem 'Cleaner' die ersten Früchte und stehen kurz vor einer Reihe weiterer Beauftragungen", sagt die Studio-Hamburg-UK-Chefin beim DWDL.de-Besuch. Von Michael Lehmann, CEO der Studio Hamburg Production Group (SHPG), erhielt sie 2019 den Hinweis, dass man die englischsprachigen Remake-Rechte am "Tatortreiniger" zur Verfügung habe.
Im Detail ist die Lage, wie so manches beim "Tatortreiniger", etwas komplizierter. Lausund hatte die Formatrechte nie abgetreten, so dass bis heute nichts ohne ihre Zustimmung läuft. Eine Optionsvereinbarung mit einem US-Produzenten war 2019 ohne Ergebnis ausgelaufen. Der Autorin lag daran, dass bei allen weiteren Bemühungen die SHPG das Heft in der Hand hielt. Muller-Rommel machte sich auf den Weg zum damaligen BBC-Comedy-Chef Shane Allen. "Ich hatte drei Ideen im Gepäck, und Shane sprang sofort auf den 'Tatortreiniger' an. Wir gaben ihm ein paar Namen von potenziellen 'Schottys', die wir uns vorstellen konnten. Shane fand Greg eine super Idee und fragte, ob er uns bekanntmachen solle."
Als "The Cleaner" im September schließlich auf dem prestigeträchtigen Freitag-21:30-Uhr-Sendeplatz von BBC One anlief, zeichnete sich der Erfolg schnell ab. Zur TV-Premiere schalteten 1,9 Millionen Zuschauer ein; zusammen mit den Abrufen im BBC iPlayer brachte es die erste Folge bis Jahresende auf eine Gesamtreichweite von 5,5 Millionen, die zweite Folge auf 4,5 Millionen. Deutschen "Tatortreiniger"-Fans dürften die Geschichten bekannt vorkommen: Alle sechs Episoden sind teils engere, teils losere Adaptionen der Originaldrehbücher, hier gespickt mit prominenten Gaststars wie Helena Bonham Carter, David Mitchell, Donald Sumpter, Stephanie Cole oder Bill Skinner. Der 2,03-Meter-Hüne Davies gibt seinem Tatortreiniger Paul "Wicky" Wickstead staturbedingt mehr physische Präsenz als Mädels Schotty, funktioniert aber dennoch als gutherziger, einfach gestrickter 'guy next door'.
Muller-Rommel hat sich bei "The Cleaner" für BBC Studios entschieden, die die Serie bereits an die Streaming-Plattform BritBox in Nordamerika, Skandinavien, Südafrika und Australien verkauft haben. Ausgeklammert ist der deutschsprachige Markt, den Studio Hamburg im Haus behält. Zwar ist noch nichts offiziell, doch man darf wohl davon ausgehen, dass der NDR mit Blick auf die ARD-Mediathek den "Cleaner" früher oder später reimportieren wird. Umgekehrt hat Studio Hamburg Enterprises, das die 31 Folgen des deutschen "Tatortreinigers" unter dem internationalen Titel "A Licence to Clean" vertreibt, eine First-Offer-Last-Matching-Vereinbarung mit der BBC. Wenn alles gut läuft, könnte das Original also auch noch auf den britischen iPlayer kommen.
Entsprechende Feierlaune herrscht in Hamburg bei Muller-Rommels Chef Michael Lehmann. "Wir sind auf den Erfolg und die Fortsetzung von 'The Cleaner' extrem stolz", sagt der SHPG-Boss gegenüber DWDL.de. "Damit wird unserem 'Tatortreiniger' endlich die verdiente internationale Ehre zuteil. Vivien und ihr Team haben ganze Arbeit geleistet. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass wir jetzt plötzlich auch aus anderen Ländern Remake-Anfragen erhalten, nachdem es zuvor doch eher schwierig schien, diese besondere Programmperle im Ausland zu platzieren." Unterdessen hat die UK-Tochter rund zehn weitere Projekte in Entwicklung, darunter mehr Drama- als Comedyserien, teils als Co-Development mit der Konzernschwester Letterbox Filmproduktion sowie mit ZDF Enterprises. "Unser USP im britischen Markt ist sicher der kurze Weg nach Deutschland", glaubt Muller-Rommel. "Kreativ wie produktionell können wir echte Brücken zwischen den beiden Märkten bauen."