Seit heute Morgen 7 Uhr Moskauer Zeit gibt es hierzulande ein neues Fernsehangebot. Das russische Auslandsfernsehen RT, vormals unter dem Namen Russia Today bekannt, hat einen TV-Kanal in deutscher Sprache on Air gebracht. Mit Live-Nachrichten, Dokumentationen und Unterhaltungsformaten will RT „einen frischen und pragmatischen Blick auf das Zeitgeschehen“ ermöglichen und das deutschsprachige Publikum „mit der russischen Perspektive auf wichtige Ereignisse“ vertraut machen.

Mit Blick auf die Kanalpremiere von RT DE, die in einer Zeit höchster Anspannung in den deutsch-russischen Beziehungen erfolgt, lässt sich sagen: Das neue Nachrichtenfernsehen made in Moscow erfüllt die Erwartungen oder besser: Befürchtungen absolut. Was als „russische Perspektive“ angepriesen wird, ist von Kreml-Propaganda kaum zu unterscheiden.

Tatsächlich wird der deutsche RT-Ableger, der sich bis zum Vorjahr RT Deutsch nannte, aus dem russischen Staatshaushalt finanziert, aktuell sind es 30 Mio. Euro. RT mit all seinen Sprachenangeboten und Standorten (etwa RT America in Washington oder RT UK in London) erhält insgesamt 342 Mio. Euro (2020). Gern vergleicht man sich mit der ebenso aus Steuergeldern finanzierten Deutschen Welle (2020: 366 Mio. Etat). Allerdings ist das deutsche Auslandsfernsehen, anders als das russische, öffentlich-rechtlich mit staatsfernen Kontrollgremien organisiert.

Wegen offensichtlich mangelnder Staatsferne scheiterte RT denn auch im August mit dem Antrag auf eine Rundfunklizenz in Luxemburg. In Serbien hat es letztlich geklappt. Bei der für den bundesweiten Betrieb zuständigen Medienanstalt MABB ging bislang kein Antrag auf Lizenz zum Senden ein. Und so kommen die derzeit in der Moskauer RT-Zentrale produzierten News von RT DE jetzt eben via Satellit von Serbien und per Live-Stream in die deutschen Haushalte. Wobei das Morgenprogramm zwischen 5 Uhr und 11:30 Uhr deutscher Zeit von der Muttergesellschaft ANO „TV-Novosti“ produziert wird, während die Tochter in Berlin, RT DE Productions GmbH, für die Nachrichten am Abend sowie Dokus und Talk-Formate zuständig ist. Vom Frühjahr 2022 an soll dann auch aus einem Studio in Berlin-Adlershof gesendet werden. Es wird noch für den Sendebetrieb hergerichtet.

RT DE © Screenshot RT DE Seit diesem Donnerstag ist RT DE auf Sendung.

Pläne für einen deutschen RT-Sender gibt es bereits seit 2014, als das weltweite Nachrichtennetzwerk der Russen vor dem Hintergrund der Ukraine-„Krise“ auch in Deutschland mit einer Website und Videos auf YouTube aufschlug. Genauso lange steht RT DE im Verdacht, eine Art russische Behörde mit direkten Befehlsketten bis in den Kreml zu sein. So wiederholt der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht (ab S. 312) die Einschätzung, die russische Führung versuche über ihre Staatsmedien die öffentliche Meinung in Deutschland durch Propaganda und Desinformation zu ihren Gunsten zu steuern.

Auch das in diesem Frühjahr im Selbstverlag herausgebrachte Buch „Inside RT Deutsch: Russlands Medienarmee in Deutschland“ des TV-Journalisten Daniel Lange, der früher für Sat.1 arbeitete („Akte“) und dann Reportagen für die Russen drehte (etwa über den Berliner Straßenstrich) nährt den Verdacht; es wurde kurz nach Erscheinen auf Druck der RT-Anwälte aus dem Sortiment von Amazon genommen. „Bild“ taufte die Truppe, die sich am Berliner Tiergarten einmietete, „Putins Informationskrieger“.

Dass nun die Urteilsverkündung über einen Mord just vor der eigenen RT-Haustüre in Berlin die gestrige Nachrichtenlage bestimmte, hätte für die neuen Fernsehmacher, rein aufmerksamkeitsökonomisch betrachtet, nicht besser laufen können.

Mit dem vom Berliner Gericht als „Staatsterrorismus“ bezeichneten Auftragsmord an dem aus Tschetschenien stammenden Zelimkhan Khangoshvili legte RT DE heute Morgen los. Stefan Pollak, der als Haupt-Anchor sozusagen den Peter Kloeppel von RT DE gibt, erwähnte das Wort „Mord“ indes keinmal. Stattdessen bekam ein RT-Korrespondent namens Dominik Reichert ausreichend Gelegenheit, die „russische Perspektive“ auf das „Tiergarten-Urteil“ zu erläutern. Und so dauerte es keine fünf Minuten seit Sendestart, dass in Reicherts Bericht auch Präsident Putin sich mit einer Art Opfer-Täter-Umkehr zu Wort meldete – nicht live, sondern aus dem Archiv. So hatte Putin in einer Pressekonferenz 2019 von dem Getöteten als einem „gefährlichen Terroristen“ und „kaltblütigen Mörder“ gesprochen, der sich sorglos durch eine europäische Hauptstadt habe bewegen können.

RT DE will "Otto Normalbürger ansprechen"

Der erste halbstündige News-Block widmete sich des Weiteren der neuen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Sie hatte gestern mit Verweis auf das Urteil zwei russische Diplomaten des Landes verwiesen. Um Baerbocks Außenpolitik einzuordnen, befragte RT DE „unseren Schweizer Experten“. So darf der als Rechtsaußen bekannte Publizist Roger Köppel in einer MAZ Baerbocks „moralistisches Gehabe“ rügen: Mit ihren „moralisierenden Mackersprüchen“ gleich zur Amtseinführung gefährde sie wichtige Geschäftsbeziehungen zu Russland und China.

Roger Köppel bei RT DE © Screenshot RT DE Roger Köppel bei RT DE.

Mit einem Bericht über den tödlichen US-Drohnenangriff in Kabul vom vergangenen August (Pollack: „Die Angreifer werden nicht bestraft!“) endet die erste halbe Stunde Nachrichtenfernsehen auf RT DE so, wie sie begonnen hatte: mit der „russischen Perspektive“ auf Ereignisse, bei der die westliche Welt, vorsichtig formuliert, nicht gut wegkommt. Ob Afghanistan, Flüchtlinge, Brexit oder Corona – schon die Politologin Susanne Spahn hat in mehreren Studien (zuletzt hier) über russische Staatsmedien analysiert, dass Krisen gezielt genutzt würden, um die Gesellschaft zu polarisieren und Unzufriedenheit zu schüren.

Dinara Toktosunova © RT DE Dinara Toktosunova
Dabei hatte RT DE Anfang 2021 angekündigt, sein Profil ändern zu wollen. Mit neuem Personal und hohen Ansprüchen. Und eben einem TV-Sender. Der deutsche Kanal werde „höchsten journalistischen Standards“ entsprechen. Und: „Desinformation und hybride Kriegsführung“ würden nicht Teil des Programms. Die Führungsspitze wurde ausgetauscht. So fungiert seit dem Vorjahr Alexander Korostelev als Programmdirektor, Dinara Toktosunova führt die Geschäfte der RT DE Productions. Korostelev, früher als RT-Reporter unterwegs, wiederholte im Oktober in einem Interview mit „medium magazin“ die Stoßrichtung: RT DE wolle, „weg von den toxischen politischen Auseinandersetzungen“ zwischen Deutschland und Russland. „Wir wollen die Mitte der Gesellschaft erreichen, den Otto Normalbürger ansprechen.“

Und das versucht RT DE – neben dem Kerngeschäft News – auch mit Entertainment.

Immer bis zur nächsten vollen Stunde werden auf dem TV-Sender Dokus wie „Hollywood, die Propagandafabrik“ aus dem internationalen Reservoir von RT gezeigt; für die Abendschiene, die dann in Berlin entsteht, ist etwa das Wirtschaftsformat „Money Talks“ vorgesehen. Spätestens an Heilig Abend läuft dann die erste eigenproduzierte RT DE-Doku-Serie an, „Ausgewandert nach Russland“ mit 30 Porträts von hauptsächlich deutschsprachigen Europäern, die in Russland leben.

Oliver Brendel © RT DE Oliver Brendel
Verantwortlich dafür ist Oliver Brendel. Seit Juli firmiert er als „Head of Develoment“. Er ist von Haus aus Show-Spezialist. Weil er zum Beispiel am ProSieben-Hokuspokus „Uri Geller Live - UFOs & Aliens“ auf Produzentenseite beteiligt war, wurde quasi auch ihm 2008 der allererste „Goldene Günter“ von DWDL.de zuteil. Seither hat der 50plus-Jährige, der sich selbst als „bunter Hund“ bezeichnet, eine bewegte Karriere hingelegt. Zuletzt arbeitete er als Berater. So stampfte er im März innerhalb von zwei Wochen das zweistündige Live-Magazin „Center Dana“ auf dem bosnischen ATV wortwörtlich aus dem Kellerboden – das Studio befand sich in eben solchem.

Was ihn zu seinen „russischen Freunden“ führte, wie er sie nennt? „Es ist das allererste Mal in meinem Leben, dass ich daran teilhaben darf, dass ein völlig neuer Sender entsteht“, sagt er gegenüber DWDL.de, „das erste Mal geht es nicht um Kohle und Quoten. Bei RT DE kann ich mich komplett ausleben.“

Versuch der "Völkerverständigung"

Auf den Vorwurf angesprochen, sein neuer Arbeitgeber betreibe Propaganda und Desinformation, sagt Brendel: „Bei RT DE ist noch nie jemand auf mich zugekommen, mache irgendetwas inhaltlich in diese oder jene Richtung. Never ever!“ In den Meetings, in denen er sitze, gehe es darum: Was hast du für Ideen, Oliver? Was möchtest du machen? Was denkst du, was kostet das? Mit wem möchtest du zusammenarbeiten? „So kenne ich es auch von anderen Sendern.“

Brendel, der mit einer russischen Frau verheiratet ist, versteht seine Arbeit bei RT DE als Versuch zur „Völkerverständigung“. Es könne doch nicht sein, dass aus dem größten Land der Erde immer nur die schlimmsten Geschichten kommen: „Liegt nicht die Vermutung nahe, dass ein wenig tendenziös über Russland berichtet wird?“, fragt er zurück, „und ich verstehe wirklich nicht, warum das so ist.“

Stefan Pollak © RT DE Stefan Pollak
Ähnlich ratlos – oder sollte man besser sagen: naiv? – gibt sich auch News-Anchor Stefan Pollak im DWDL.de-Gespräch. Er hat zuvor hauptsächlich fürs Radio gearbeitet, zuletzt für „Radio Brocken“ im Harz. Und er sieht sich für den neuen Breaking-News-Job in Moskau gerüstet, seit er 2016 in seiner Feierabendshow bei Radio Gong 96,3 in München 10 Stunden live auf Sendung war, als ein Teenager im Olympiazentrum Amok lief. Die Pandemie raubte dem zweifachen Familienvater das wichtige Standbein Event-Moderation. Also ließ er sich von RT in diesem Sommer fest anstellen.

Pollak spricht von einem „weltoffenen Team“, das er vorgefunden habe. Seit er persönliche Einblicke bekommen habe, denke er, nein, das Bild von Russland, das deutsche Medien zeichneten, „stimmt mit der Realität nicht überein“. Er sei froh, dass er diesen beruflichen Schritt gegangen sei und „nicht weiter auf der in der westlichen Welt vorherrschenden Vorurteilswelle schwimme“.

Nun sind die „Vorurteile“ nicht unbegründet. Nicht nur der Tiergarten-Mord und die aktuellen Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze, auch die Vergiftung der Skripals und von Nawalny zeugen von einer eindeutig aggressiven Außenpolitik Russlands. Und so blickt auch die frühere Russland-Korrespondentin der ARD, Golineh Atai, mit Sorge auf die jüngste Informationsoffensive der Russen: „Wenn eine Chefredakteurin wie Margarita Simonyan sich als eine Art verlängerter Arm des russischen Verteidigungsministeriums begreift, dann ist ja wohl die Mission klar: Köpfe sollen gedreht und ein Bewusstsein für autokratische Handlungsmuster geschaffen werden. Für mich ist das ein höchst bedenkliches Ethos, mit dem russische Staatsmedien im Ausland Journalismus betreiben.“

Besagte Margarita Simonyan ist seit 2005 RT-Chefredakteurin. Als die Videoplattform YouTube Ende September die beiden Kanäle von RT DE löschte, sprach sie von einem „Medienkrieg” zwischen Russland und Deutschland. Offenbar hat RT mit dem heutigen Tag wieder eine Plattform auf YoutTube erhalten, um nun sein Fernsehprogramm zu streamen. Nach fünf Stunden Sendezeit war es damit aber wieder vorbei und der Kanal gelöscht. Der Sender RT DE ist über die Website weiter erreichbar.

Was eine Lizenz zur linearen Ausstrahlung von Deutschland aus betrifft, ließ Anna Belkina, Simonyans Stellvertreterin, vor dem Sendestart auf Nachfrage mitteilen: „RT erfüllt alle Anforderungen für die Erteilung von Rundfunklizenzen, um seine Inhalte in den Gebieten zu zeigen, in denen es tätig ist.“ Die Entfernung der YouTube-Kanäle sei „nicht gerechtfertigt“ und man hoffe, „dass sie wiedergutgemacht wird“.