Viel ist den TV-Anbietern ins Buch diktiert worden, was zu tun ist, um mit ihren VoD-Angeboten nicht nur die wachsende Zahl an Zuschauerinnen und Zuschauern zu bedienen. Auch die Werbewirtschaft will sich das Bewegtbild-Umfeld erschließen, das ihr den Zugang zu begehrten jungen Zielgruppen verheißt. Der Wechsel im Frühsommer hin zu einer gemeinsamen Währung für TV- und Online-Reichweiten war ein Schritt. Kreativere Werbeformen als die klassische Scharnier- und Unterbrecherwerbung der Fernseh-Ära sollten nun folgen.

Bei der Streaming-Plattform Joyn von ProSiebenSat.1 und Discovery heißt eine Lösung Branded Entertainment. Nach dem Startschuss für die Werbeform im Oktober mit "Macher-Stories" für den Kunden Hornbach soll von Dienstag an eine individuelle Kampagne der Marke "Wrigley’s Extra" die Generation Z bespaßen, also die ab 1995 Geborenen. Der Werbeauftritt im Joyn-Umfeld kommt als so genannte Dating Activity Show namens "Ready? Fresh? Date!" daher, als Miniserie mit den Social-Media-Sternchen Minicuta, Marc Eggers, Jonas Ems, Nathalie_bw, Jamoo, Jeyisbaee, Lukas White und Reneshko.

Vier Folgen à circa 15 Minuten haben die Mediaagentur Mediacom, ihr Content-Arm M Studio, das ProSiebenSat.1-Produktionshaus Studio 71 sowie der Münchner Vermarktungsstrang Seven.One Media vorbereitet. Unter der Regie von Matthias Bollwerk und in Zusammenarbeit mit Executive Producerin und Autorin Leonie-Isabel Franke von Studio71 werden dabei pro Folge jeweils zwei Social-Media-Stars zum Blind Date geschickt. Dabei sollen sie eine außergewöhnliche Situation gemeinsam meistern und hinterher bewerten, ob sie die Aktion näher zusammengebracht hat oder ob es ein Reinfall war.

Wie wird der Werbekunde eingebunden?

Laura Hannemann, Senior Consultant Brand Partnerships bei der Mediacom-Tochter M Studio, bezeichnet "Wrigley’s Extra" als "Enabler" der Story. Das Produkt soll als "authentische Marke" positioniert werden, "die diverse Kaugummi-Momente im Segment Dating aufgreift". Sprich: Wer kaut, der geht mit frischem Atem beim Daten auf Nummer sicher. Kirsti Künstel, Senior Brand Leader der Marke "Wrigley’s Extra", verspricht dem avisierten jungen Joyn-Publikum "relevanten Content" und "abwechslungsreiche Dating-Ideen". Auch der "Fun-Factor" solle nicht zu kurz kommen.

Zwei Folgen von "Ready? Fresh? Date!" sind ab sofort kostenlos in der Joyn-Rubrik "Originals & Exclusives" neben Eigenproduktionen wie "Das Internat" abrufbar. Zwei weitere Episoden folgen am kommenden Dienstag. Die vierteilige Show-Reihe wird vier Wochen "nativ eingebunden", wie die Platzierung im normalen Content-Angebot genannt wird. Nach der Kampagnenphase bleiben die Dating-Serie weiterhin als VoD-Stream auf Joyn verfügbar. Ein dauerhafter und exklusiver Werbeauftritt fürs Kaugummi also.

Die "Dating Activity Show Ready? Fresh? Date! powered by Wrigley’s Extra", wie der volle Name der Joyn-Produktion lautet, wird passend in Social-Media-Kanälen werblich begleitet – für "maximale Aufmerksamkeit" in der Gen Z, so verkündet es Mediacom. Die Mediaagentur platziert Werbung fürs native Bewegtbild-Werbeformat auf YouTube, Facebook, Instagram und TikTok. Darüber hinaus sollen die Content Creator aus der Show auf ihren Streaming-Auftritt selbst in ihren Posts und Storys hinweisen.

Sales und Produktion entwickeln Werbeformen Hand in Hand

Die strikte Trennung von Redaktion und Werbung ist natürlich passé bei Branded Content. Allgemein macht sich bei der Herangehensweise der ProSiebenSat.1-Gruppe an Werbeumfelder für junge Zielgruppen eine Strategie bemerkbar, bei der die Sales- und Produktionsexperten der Gruppe von Anfang an eng zusammenarbeiten. Im Bereich der Podcast-Vermarktung etwa unter der Leitung von Katharina Frömsdorf liegt native Werbung vorn: Die von Hosts wie Micky Beisenherz ("Apokalypse & Filterkaffee") selbst eingesprochenen Werbebotschaften sollen die Hörer weniger stören, wirkungsstärker sein und eher zum Kauf aktivieren. Und bei der neuen Streaming-Werbeproduktion "Ready? Fresh? Date!" zeigt sich Thomas Wagner als Chief Sales Officer der Seven.One Entertainment Group davon überzeugt, dass sie "perfekt zur jungen Zielgruppe von Joyn passt".

Die Chancen, mit mehr Kreation die Reklame im AVoD genannten werbefinanzierten Streaming für User akzeptabler zu machen, sind gut: Viele Haushalte überdenken ihr Medienbudget und sind offen für werbefinanzierte kostenlose Inhalte. Einem aktuellen Deloitte-Bericht zufolge werden 2022 weltweit mehr als 150 Millionen Abonnements (SVoD) für Streaming-Dienste gekündigt werden. Die globale Abwanderungsrate der Kunden soll demnach 30 Prozent betragen. Nach den Untersuchungen von Deloitte haben 25 Prozent der Verbraucher, die meisten davon aus der Generation Z, im vergangenen Jahr einen bestimmten Dienst abbestellt. Die Marktforscher von Goldmedia gehen davon aus, dass im Gegenzug der Anteil des werbefinanzierten Bewegtbildabrufs bis zum Jahr 2024 auf 37 Prozent des deutschen VoD-Marktes anwachsen dürfte.

Doch Tür und Tor ist der Werbung im Streaming-Umfeld nicht geöffnet. Auch für werbefinanzierte Dienste liegt die oberste Priorität darin, das Publikum bei der Stange zu halten. Jede Plattform muss den für sich besten Weg finden, Werbungtreibende einzubinden und zugleich die Zuschauer zufriedenzustellen. Hier muss der Blick in die USA sein: Die AVoD-Vorreiter Discovery+, Peacock und HBO Max liefern sich dort regelrecht ein Rennen um die geringste Werbeauslastung. Das bedeutet: Nicht mehr als vier bis fünf Minuten klassische Werbung pro Stunde, die im Videobereich als Pre und Post Roll Ads sowie unterbrechende Mid Roll Ads bekannt sind.

Die deutsche Media-Branche setzt nun im Streaming-Umfeld mehr und mehr auf werbliche Alternativen wie ausgewähltes Sponsoring und Branded Entertainment. In München glaubt man an Minicuta und sieben weitere Social-Media-Protagonisten, die im Rahmen einer Show im Auftrag der Werbung daten. Es bleibt abzuwarten, ob dem Joyn-Publikum Branded Entertainment à la "Ready? Fresh? Date!" schmeckt.