Auch wenn der Eindruck freilich ein wenig der deutschen Brille geschuldet sein mag: RTL meldet sich in der Fiction auf der großen Bühne zurück. Mindestens aber werden auf der MIPCOM in Cannes die Ambitionen sichtbar, die der Kölner Privatsender in diesem Bereich derzeit an den Tag legt. Da wäre etwa die aktuell im Dreh befindliche historische Kaufhaus-Serie "Torstraße 1" zu nennen, von der RTL und Beta Film am Sonntagabend einen ersten, vielversprechenden Trailer präsentierte. Oder auch das Justizdrama "Glauben" nach Ferdinand von Schirach, das sich sogar im Wettbewerb des diesjährigen Canneseries-Festivals befindet.
Und dann ist da freilich auch noch "Sisi", ein echtes Serien-Großprojekt, dessen Ausstrahlung noch in diesem Jahr erfolgen soll. Ihre Weltpremiere feierte die Produktion von Story House bereits am Montagabend in Cannes, unter lautstarkem Jubel des Publikums. Das ist keineswegs selbstverständlich, immerhin besitzen die legendären "Sissi"-Filme mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm auch in Frankreich Kultstatus. Dass die serielle Neuauflage mit Wohlwollen aufgenommen wurde, dürften RTL-Chef Henning Tewes und sein Fiction-Verantwortlicher Hauke Bartel dementsprechend mit Zufriedenheit zur Kenntnis genommen haben.
Natürlich drängt sich der Vergleich auf mit jenen drei Filmen, die bis heute regelmäßig im Fernsehen vor einem Millionenpublikum ausgestrahlt werden. Doch glücklicherweise ist die neue Serie weit genug weg vom Original, als dass ständige Vergleiche notwendig wären. Sicher, es geht um die Kaiserin Elisabeth und ihren Franz, gleichwohl setzt die RTL-Produktion eigene Akzente - und kommt, aller opulenten Kleider und amourösen Geschichten zum Trotz, spürbar entkitscht daher. Da fühlt man sich bisweilen mehr erinnert an "Downton Abbey" als an die "Sissi"-Klassiker aus den 1950er-Jahren.
Hilfreich ist, dass RTL bei der Wahl seiner "Sisi" bewusst auf einen großen Namen verzichtete, sondern mit Dominique Davenport auf ein unverbrauchtes Gesicht setzt. Sie ist in der Rolle der Kaiserin ein echter Glücksfall für die Serie. Aber auch Jannik Schümann macht als Kaiser eine gute Figur - auch wenn dessen Vielweiberei mitsamt Ausflügen ins Rotlichtviertel Wiens in den ersten beiden Folgen vielleicht ein wenig zu stark akzentuiert wird. Doch nach zwei Folgen lässt sich zumindest erahnen: Da steckt noch reichlich Musik in der Geschichte. Umso schöner, dass RTL noch vor der Ausstrahlung eine zweite Staffel in Auftrag gegeben hat.
Ebenfalls überzeugend: Désirée Nosbusch in der Rolle der Erzherzogin, der Mutter von Franz. Dass "Sisi" zeitgemäß daherkommt, ist indes auch auf die guten Bücher von Elena Hell und Robert Krause und Showrunner Andreas Gutzeit zurückzuführen, die Regisseur Sven Bohse packend in Szene setzt. Da wechseln sich romantische Bergszenen mit temporeichen Ausritten ab und zwischen der mit Zweifeln und Missgunst gepaarten Liebesgeschichte gibt es Raum für düstere gesellschaftliche Zwischentöne, die den Eindruck einer Zeit vermitteln, in der eben bei Weitem nicht alles Gold ist, was im Hofstaat glänzt.
Nun bleibt abzuwarten, ob das Publikum die neue "Sisi" ins Herz schließen wird. Immerhin: RTL wird mit der Ausstrahlung dem US-Riesen Netflix zuvorkommen, der derzeit ebenfalls an einer modernen Interpretation des Klassikers arbeitet. Das ist nicht ganz unwichtig, dürfte der Stellenwert des Großprojekts für den deutschen Sender doch um einiges größer sein, könnten Erfolg oder Misserfolg doch einen ersten Eindruck davon geben, ob RTL mit seiner neuen Serienstrategie, die nicht nur die Free-TV-Kanäle, sondern auch den TVNow-Nachfolger RTL+ beflügeln sollen, auf dem richtigen Weg ist. Klar ist schon jetzt: Nach Jahren ohne nennenswerte fiktionale Ambitionen ist der Mut nach Köln zurückgekehrt.