Er war anfangs kein Fan von Netflix, sagt Christian Schwochow. Er sitzt zusammen mit anderen Kreativen auf einem der beiden Panels mit denen der Streamingdienst seinen neuen Standort an der Spree einweiht. Dann jedoch wurde der NSU-Dreiteiler, an dem er mitwirkte und der ursprünglich für die ARD produziert wurde, von Netflix in die Welt exportiert. Mit der ZDF-Serie "Bad Banks", bei der er Regie führte, lief es dann ebenso. Das weckte dann die Faszination, ein größeres Publikum zu erreichen, erzählt er in der von Hadnet Tesfai moderierten Runde. Schwochow übernahm schon für einige Episoden die Regie von "The Crown" und hat gerade den Netflix-Film „München - Im Angesicht des Krieges“ abgedreht. Die Veröffentlichung ist für 2022 geplant.
Kurz vor der Veröffentlichung am 29. Oktober steht hingegen "Army of the Thieves". Bei dem Film war Matthias Schweighöfer als Regisseur und Schauspieler aktiv. Angesprochen auf seine Arbeit für Netflix, nachdem er für Prime Video schon "You are wanted" produzierte und spielte: Der kommende Film sei das am schnellsten entschiedene und gedrehte Projekt seiner Karriere. Man hört ehrliche Begeisterung heraus, auch weil Schweighöfer hier nicht stoppt. Selten zuvor redete sich ein im Kino erfolgreicher Schauspieler seinen Frust über das Kinogeschäft so offen und nachvollziehbar von der Seele.
"Ich hab so viele Kinotouren gemacht in meinem Leben für neue Filme. Und dann hoffst du, dass am Donnerstagnachmittag kein super Wetter herrscht und der Film deshalb ein Flop wird", erzählt Schweighöfer. Bei Netflix-Produktionen könne man sich sicher sein, dass Projekte ein großes Publikum rund um die Welt finden werden. Für ihn so viel entspannter als ein Kino-Release. Bemerkenswert dann sein Nachsatz: Er habe sich schon für so manchen Dreh den Rücken krumm gemacht und Verletzungen in Kauf genommen. "Ich habe wirklich alles gegeben - und dann hat der Kinofilm am Ende 35.000 Leute nach sechs Wochen erreicht. Da denkt man auch nur: Mal gucken, ob es das DVD-Geschäft noch reißt", sagt Schweighöfer, der 2022 auch in dem von Working Title für Netflix produzierten Film "The Swimmers" zu sehen sein wird.
Die deutschsprachigen Filme von Netflix liegen in der Verantwortung von Sasha Bühler. "Seit Freitag bin ich Berlinerin“, berichtet sie, die bislang aus London heraus die deutschen Produktionen betreut hat. Neben den Werken von Christian Schwochow und Matthais Schweighöfer, ging es um kommenden Filme einerseits von Edward Berger und andererseits Nina Maag von Bavaria Fiction. Maag schwärmt davon, durch Streamingdienste wie Netflix endlich eine neue Bandbreite an Geschichten erzählen zu können. Viele Details zu ihrem Projekt, dem Film "Mondsilberlicht" basierend auf der „Mondlichtsaga“ von Marah Woolf gibt es noch nicht. „Wie Twilight nur mit Wasserwesen“, fasst Maag den Pitch zusammen. Eine deutsche Hauptdarstellerin und internationalen Cast soll es geben. Gedreht wird im kommenden Frühjahr in Irland.
Für Edward Berger war die Entscheidung die Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues" mit Netflix zu realisieren, eine Entscheidung für einen Partner mit dem nötigen Budget. Eine Geschichte des 1. Weltkrieg zu erzählen, die noch dazu schon zuvor verfilmt wurde, brauche die Bereitschaft, es mit vollem Einsatz wissen zu wollen. Dass Netflix nicht US-zentriert produziert sondern in einzelnen Märkten mit Fokus auf deren Geschichten und Blickwinkel erzählen lässt, habe ihn überzeugt.
Neben den Filmen wurde auch über die Serienprojekte gesprochen: Anna Winger hat sich gerade erst exklusiv an Netflix gebunden, Jantje Friese sprach über das mysteriöse "1899" (DWDL.de berichtete). Am anderen Ende des Genrespektrum geht es bei Netflix bald um Sissi. "Wenn Jantje eingekauft wird fürs Rätseln, wurde ich eingekauft für ‚Soap‘ - also große Gefühle auf kleinen Raum. Das wird ein Familiendrama", sagt Autorin Katharina Eyssen über das Projekt "The Empress." Es ist auch ein Wettlauf mit Konkurrent TVnow, wo Sissis Geschichte parallel ebenfalls verfilmt wurde. Ein Umstand, der natürlich auf der Bühne in Berlin nicht zur Sprache kam.
Mit "How to sell drugs online (fast)" hat die btf drei Staffeln einer vielfach ausgezeichneten Serie vorlegt und produziert gleich mehrere neue Projekte für Netflix. "Wir beschäftigen uns sehr gerne mit Comedy und Bösewichten, haben wir gemerkt. Eigentlich sind wir gerne auf der Seite der Bösen, also mehr oder weniger", sagt Matthias Murmann und lacht. Das Toxische fasziniere ihn, auch bei der StartUp-Welt der kommenden Serie mit dem Arbeitstitel "Cable Cash" oder dem eben angekündigten Prequel zu „How to sell drugs online (fast)“.
Dass Netflix mit dem neuen Standort in Berlin im heimischen Markt ansprechbarer wird, begrüßen alle angereisten Kreative. Fast jeder hat wilde Geschichten im Gepäck, wie bisherige Projekte via Video-Call, Meetings an Flughäfen oder beim Coffee-to-go entstanden. In der Realisierung mancher Projekte jedoch seien Zeitzonen und wechselnde Zuständigkeiten durchaus herausfordernd gewesen, so die in Watte verpackte Kritik einiger. Umso wichtiger für die Kreativszene sei der personelle Ausbau am Standort Berlin.