Weniger als vier Monate ist es her, dass Sat.1 mit der inzwischen eingestellten Reality-Show "Promis unter Palmen" für Schlagzeilen sorgte. Direkt in der ersten Folge beleidigte Marcus Prinz von Anhalt die Dragqueen Katy Bähm homophob; eingeordnet wurden die entsprechenden Szenen damals nicht. Einzig der wenige Tage nach der Ausstrahlung des Eklats verstorbene Willi Herren maßregelte den Prinzen damals. Seines Todes wegen wanderte das schon produzierte Trash-TV-Material schließlich ungesendet ins Archiv. In den rund 15 Wochen, die nun vergangen sind, hat  Daniel Rosemann die Führung von Sat.1 übernommen - parallel zu seinen Aufgaben als ProSieben-Chef. Vor dem Start des nächsten großen Reality-Projekts des Senders sagte er, dass Reality eben nicht gleich Reality sei. Zwei Formate, neben "Promis unter Palmen" auch "Plötzlich arm, plötzlich reich", habe er aus dem Programm genommen, weil sie nicht für das stünden, für das Sat.1 stehe. Auch "Plötzlich arm, plötzlich reich" hatte vor seiner Absetzung für ordentlich Negativ-Schlagzeilen gesorgt.



Bei "Promi Big Brother" ist die Sache anders gelagert. Während sich Daniel Rosemann als Fan des Formats outete, sprach Sendersprecher Christoph Körfer jüngst bei einem Presseevent davon, dass die Show für Sat.1 vergleichbar sei mit einer Europameisterschaft. Gute Reality, fügte Rosemann an, basiere auf Spaß, dem Blick durchs Schlüsselloch und ist in seiner besten Variation live. All das trifft auf das nun 22 Tage lang in Köln umgesetzte "Promi Big Brother" zu. Rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen 44 Live-Sendungen und insgesamt rund 85 Stunden Live-Fernsehen (jeden Abend sowohl die eigentliche Live-Show als auch das begleitende Late-Night-Format) herstellen und dabei auch einen "guten Blick" darauf haben, was man senden wolle und was dazu die eigene innere Haltung sei. Ähnlich wie eben bei einer Fußball-Europameisterschaft entstünden jeden Tag neue Konstellationen und in letzter Konsequenz gehe es um die richtige Spieltaktik und Sieg sowie Niederlage. Rosemann sprach aber auch davon, dass es einen Werte- und Geschmackskompass brauche, der die Produktion der Staffel begleiten müsse und stellte klar: "'Big Brother' kann jederzeit einschreiten und wird es auch tun, wenn besagter Kompass nicht funktioniert oder im Haus Dinge passieren, die uns nicht gefallen und für die wir nicht stehen wollen. Das einfache an dieser Show ist ja: 'Big Brother' darf alles. Er darf auch 'Stop' sagen."

 

Bei kritischen und gesellschaftsrelevanten Themen muss das Warum und Wieso der Ausstrahlung klar werden und für alle verständlich sein. 
Rainer Laux, Produzent von "Promi Big Brother"

 

Rainer Laux ist langjähriger Produzent des Formats "Big Brother", seit 2014 verantwortet er hinter den Kulissen auch die Promi-Version. Laux war es aber auch, der das Sagen beim viel kritisierten "Promis unter Palmen" hatte. Er habe aus dem Format gelernt, sagt er exklusiv gegenüber DWDL.de: "Bei kritischen und gesellschaftsrelevanten Themen muss das Warum und Wieso der Ausstrahlung klar werden und für alle verständlich sein. Wenn eine solche Einordnung nicht gelingt oder nur ein Zweifel aufkommt, muss man auf die Bilder und die Geschichte verzichten", sagt er heute. Die Gesellschaft habe sich, nicht zuletzt wegen Corona, extrem schnell verändert. "Die Menschen sind aufmerksamer, sensibler und empfindsamer geworden. Dem wird allgemein Rechnung getragen. Zum Glück stehen gerade dem Reality-Markt dafür alle Möglichkeiten offen", so Laux. Ganz offenbar hat er diesbezüglich seine Meinung deutlich geändert. Noch vor weniger als vier Monaten hatte der TV-Macher gegenüber DWDL.de erklärt: "Der Zuschauer findet Eskalationen sowohl in der Fiktion als auch in der Reality gut, er wird dadurch unterhalten."

Vor dem Start der neuen "Promi Big Brother"-Staffel ließen insbesondere die beiden Sendungshosts, Marlene Lufen und Jochen Schropp, durchblicken, in den kommenden drei Wochen für solche Einordnungen und entsprechende Haltung stehen zu wollen. Nun ist ein Format wie "Promi Big Brother" nur bedingt mit Reality-Formaten wie "Promis unter Palmen" oder dem jüngst als Flop zu Ende gegangenen "Die Alm" von ProSieben vergleichbar. "Das eine ist ein tägliches Live-Format. Das andere ein vorproduziertes Format, das wochenlang im Schnitt war und dann einmal pro Woche gesendet wird", betont Rosemann. "Promi Big Brother" biete durch das taktische Spiel der Teilnehmenden ein zusätzliches Gewürz – etwas, das der "Alm" offenkundig fehlte. "Wir konnten sehen, dass wir auf der 'Alm' viele Freundschaften hatten", sagt der Doppel-Senderchef. "Vielleicht hat dadurch hin und wieder auch ein bisschen Gewürz gefehlt." Die Quittung: Vor einer Woche ging das Format mit kaum mehr als fünf Prozent Marktanteil in der Zielgruppe zu Ende. Rainer Laux zieht nun eine klare Trennlinie zwischen vorproduzierten Realityshows und "Promi Big Brother": "Wir überzeugen mit Aktualität, dem täglichen Reagieren auf die Ereignisse im Haus und das unmittelbare Einbeziehen der Zuschauerinnen und der Zuschauer."

Besondere Verhaltens-Hinweise seitens der Verantwortlichen an die Teilnehmenden habe es aber auch diesmal nicht gebraucht, verriet Rainer Laux gegenüber DWDL.de: "Wir haben die Bewohner:innen schon seit der ersten "Big Brother"-Staffel entsprechend auf ihre Vorbildfunktion, ob im wahren Leben oder gerade auch als Kandidat im Fernsehen, hingewiesen. Das machen wir bis zum heutigen Tag." Neun Kandidatinnen und Kandidaten stehen schon fest, am Donnerstag etwa wurde bekannt, dass Ex-"Geh auf's Ganze"-Moderator Jörg Draeger Teil des Casts ist. Acht Personen sind schon eingezogen ins neue Haus, das in eine Raumkapsel (der arme und sehr enge Bereich) und den letztlichen Planeten (quietschbunt und mit Tageslicht versehen) unterteilt ist. Vier weitere entdecken die "PBB"-Welt am Freitagabend in der Liveshow. Vermutlich ist damit noch nicht Schluss. Weder Lufen oder Schropp noch Daniel Rosemann wollten sich vor dem Staffelstart festlegen, wie viele Promis 2021 mitmachen. Während Rosemann sagte, er sei es schon von "The Masked Singer" gewohnt, zu schweigen, warf Moderator Jochen Schropp ein, es würden "mindestens zwölf" sein.

Emotionale Anknüpfungspunkte im Cast

"Im Cast soll es für möglichst viele Zielgruppen emotionale Anknüpfungspunkte geben – so bauen die Zuschauer:innen Sympathien oder auch Antipathien auf, man fiebert mit seinen Lieblings-Bewohner:innen und so entsteht das große Lagerfeuer zu Hause", erklärt Rainer Laux gegenüber DWDL.de und ergänzt: "Bestimmt hat so manche Zuschauerin oder mancher Zuschauer dadurch neue Lieblinge für sich entdeckt, wie zum Beispiel Werner Hansch im vergangenen Jahr. Als ältester Bewohner aller Zeiten wurde er für die junge Generation durch seine ehrliche Art mit seiner Spielsucht umzugehen vom Unbekannten zum vorbildhaften Helden."

Etwas komplizierter als früher gestalten sich 2021 derweil die Sendetermine der Endemol Shine Germany-Produktion: Sat.1 setzt auf so viele 20:15-Uhr-Sendungen wie noch nie. Wann muss man als Zuschauender also einschalten? Die Grundregel lautet: Montags, mittwochs und freitags startet die Live-Show um 20:15 Uhr, außer Sat.1 zeigt die Bundesliga – dann geht's um 23 Uhr los. An den anderen Tagen melden sich Marlene Lufen und Jochen Schropp ab 22:15 Uhr, am 14. August wird die spät ausgestrahlte Freitags-Show aber am Samstag um 20:15 Uhr "nachgeholt". Und an den letzten fünf Tagen der Staffel sind ohnehin alle Sendungen zur besten Sendezeit zu sehen. Wie schon 2020 ist die Staffel auch dieses Jahr wieder um eine zusätzliche Woche erweitert, läuft also drei Wochen.



Rainer Laux freut sich über diese Entwicklung: Die Verlängerung habe sich bewährt, sagte er zu DWDL.de. "Inhaltlich haben wir uns für unsere Promis und Zuschauer:innen schon 2020 einige Neuerungen ausgedacht, wie zum Beispiel einen neuen Nominierungs- und Exit-Modus. Hinzu kommt, dass wir den Geschichten, die unter den Bewohner:innen entstehen, mehr Raum geben konnten um sich weiter zu entwickeln." Und auch aus den Vorgängen hinter den Kulissen habe man Learnings aus 2020 mitgenommen, bestätigt der Produzent. "Wir hatten 2020 schon viele Positionen in Redaktion und Produktion doppelt besetzt und gelernt, wo wir uns noch verstärken müssen, um der längeren Laufzeit der Staffel, den früheren Anfangszeiten und der damit verbundenen zusätzlichen Sendezeit gerecht zu werden."

Fest steht somit: Reality wird auch in der Zeit nach "Promis unter Palmen" zum Sat.1-Programm gehören. In diesem Zusammenhang durchaus überraschend war die Aussage von Sat.1-Boss Rosemann auf die Frage eines Zuschauers, ob es irgendwann noch einmal eine normale "Big Brother"-Staffel geben werde. Das Original wird eigentlich - angesichts der jüngsten Staffel aus dem Frühjahr 2020 mit einem durchschnittlichen Zielgruppen-Marktanteil von 5,8 Prozent auf dem 19-Uhr-Sendeplatz - auf dem TV-Abstellgleis vermutet. Ganz abgehakt scheint es aber nicht, denn Rosemann erklärte: "Ich möchte nichts ausschließen."