Mit einer 0:1-Niederlage, ausgerechnet ein Eigentor von Deutschland-Verteidiger Mats Hummels entschied das Spiel, startete die deutsche Nationalmannschaft am Dienstagabend in die Europameisterschaft. "Ümmels! Merde" oder "Um Hummels Willen" folgten als Schlagzeilen in der Presse. Kurzum: Ein ordentlicher Auftritt, für den Durchbruch aber hat's nicht gereicht. Relativ ähnlich, vielleicht ein bisschen besser, kann man die bisherigen TV-Übertragungen im deutschen Fernsehen zusammenfassen, die sich drei Sender aufteilen: Wie gewohnt ARD und ZDF, erstmals im Pay-TV aber auch MagentaTV der Deutschen Telekom.
Spürbar anders sind sie geworden, die Rahmenberichte bei dieser EM, was nicht nur neuen Trends, sondern natürlich auch Corona geschuldet ist. Die Tatsache, dass ein paneuropäisches Turnier während einer Pandemie überhaupt möglich ist, mag zeigen, dass das Virus langsam ein Stück seines Schreckens verliert, dennoch merkt man den deutschen TV-Übertragungen an, dass nicht alles so ist wie immer.
Für Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens relativ neu ist zudem auch der Doppelkommentar bei wichtigen Spielen. Thomas Broich im Ersten und unter anderem Sandro Wagner im Zweiten unterstützen den Lead-Kommentator und sollen während der laufenden 90 Minuten für tiefergehende Analysen sorgen. Das hat, von leichten Tonproblemen abgesehen, beim Spiel Deutschland gegen Frankreich im Zusammenspiel mit Béla Réthy ganz gut geklappt, Broich hatte sich bereits in den zurückliegenden Monaten im Ersten als Glücksgriff erwiesen. Routinier Réthy wiederum verdiente sich bereits in den ersten Tagen dieser EM ein Extra-Lob. Direkt bei seinem ersten Einsatz im Turnier musste er die schrecklichen Szenen rund um den Dänen Christian Eriksen begleiten. Réthy schwieg – und erntete dafür Applaus. Ganz anders die UEFA, die an diesem Tag den kollabierten Spieler viel zu lange im Bild hatte.
Mehr ist eben nicht immer mehr
Das Erste bietet dieser Tage ein dem ZDF-"Sportstudio" recht ähnliches Konzept, eine Expertenrunde rund um Moderator Alexander Bommes, besetzt mit einem glänzenden Stefan Kuntz, dem in der Fußballwelt auch heute noch teils kritisch beäugten Kevin-Prince Boateng und Fußballspielerin Almuth Schuldt. Das ist solide Fernsehkost, präzisere Analysen als das Duo Delling/Netzer in früheren Jahren bringt aber auch die größere Runde nicht, und der Unterhaltungswert, für den Matthias Opdenhövel in früheren Jahren gemeinsam Mehmet Scholl sorgte, ist auch nicht erreicht. Insbesondere Boateng blieb bislang erstaunlich unauffällig und scheint seine Rolle noch nicht gefunden zu haben.
Immerhin: Das Erste ist bei ausgewählten Spielen mit einem weiteren Duo im Stadion - doch einen wirklichen Mehrwert bringen Jessy Wellmer und Bastian Schweinsteiger nur selten ins heimische Wohnzimmer. Schweinsteiger ist einfach Schweinsteiger, wenn auch inzwischen grau meliert. In Erinnerung bleiben eher seine herzlichen Sprüche (etwa eine von ihm initiierte Wette, dessen Verlierer den anderen Moderationspartner huckepack aus dem Stadion tragen muss) und seine modischen Auftritte - mehr jedenfalls als knallharte Insights rund um die spielenden Teams. Das Fernduell mit Lothar Matthäus verliert der ARD-Experte, Sympathiepunkte aber sind ihm sicher.
Neu auf dem Platz ist bei dieser EM unterdessen die Deutsche Telekom, die darüber hinaus auch die kommende Winter-WM 2022 und die Heim-EM 2024 begleiten wird. MagentaTV-Kunden sehen vier EM-Sender, zwei davon in Ultra-HD. Die superscharfe Bildqualität ist dabei eines der Hauptargumente für Magenta in diesen Tagen. Für die vier Wochen hat sich der Dienst eine namhafte Truppe zusammengestellt, an der Spitze mit Moderator Johannes B. Kerner, Experte Michael Ballack und den Kommentatoren Fuss, Platte und Hagemann. Die Telekom sendet die EM fast ausnahmslos aus München wo alle Beteiligten sitzen. Selbst als Thomas Wagner beim Deutschlandspiel O-Töne aus dem Stadion heranschaffen sollte, war dieser nur ein kleiner Teil der Übertragung. Hier steht MagentaTV also hinten an, bietet im Vergleich zu den Öffentlich-Rechtlichen aber dennoch ein ähnlich ordentliches Angebot, weil der starke Jan Henkel an seinem Taktik-Screen tiefer einsteigt als etwa sein ZDF-Kollege Peter Hyballa. An dieser Stelle werden auch die Taktik-Nerds zufrieden sein.
Schiedsrichter-Experte der Telekom ist derweil Patrick Ittrich – und speziell nach dem Eröffnungsspiel standen die Unparteiischen wegen einer Fehlentscheidung nach einer Ecke ja in der Kritik. Auch Ittrich, noch aktiv pfeifend, musste sich ziemlich winden angesichts der kritischen Fragen. Kein Wunder: Er hatte am ersten Tag erklärt, er wolle durch seine Experten-Tätigkeit vor allem zeigen, wie viel die Schiedsrichter auf dem Platz richtig machen und somit für besseres Verständnis sorgen. Da zeigt sich, dass noch aktiv Mitmischende zwar auf dem Papier gut aussehen, tief drin sind in der Materie, manchmal aber eben lieber ein Blatt vor den Mund nehmen.
Mag sein, dass sich MagentaTV manchmal in einer bunten Mischung verzettelt. Die Übertragungen sind mitunter eine Wundertüte – mit Henkels Analysen, dem immer souveränen Johannes B. Kerner, mit dem sowieso lockeren Wolff Fuss, aber eben auch mit Auftritten von Boris Becker oder Joachim Llambi – und teils sogar auf einem zweiten Feed kommentierenden Promis, wie Serdar Somuncu und Oli Pocher beim ersten Deutschland-Spiel.
Die großen Kuriositäten bleiben bei den diesjährigen EM-Übertragungen ansonsten weitgehend aus. Absurd wirkt allerdings vor allem, dass sowohl die ARD als auch das ZDF einige wenige Zuschauer, mit Abstand, in ihre Studios gelassen haben - was das soll, bleibt unklar, zumal wirkliche Partystimmung bislang auf sich warten ließ. Daran ändert auch die "Sportschau"-Band nichts, die im Ersten für den musikalischen Teppich sorgen soll. Mehrwert? Fehlanzeige. Auch der abschließende "Sportschau-Club" kommt noch etwas hölzern daher. Unterm Strich macht das ZDF mit seiner Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Vergleich somit die bessere Figur, weil hier vieles, insbesondere die Besetzung vor der Kamera, stimmiger wirkt.
Am Ende bleibt aber alles Fußball – und somit sind auch die begleitenden TV-Berichterstattungen Teil der wohl schönsten Nebensache der Welt. Fußball, eine Sportart, in der frühere Teammanager ihre Mannschaft mit Phrasen wie "Geht's raus und spielt's Fußball" auf den Platz geschickt haben und in der Sprüche wie "Das nächste Spiel ist das wichtigste" und "Das Spiel hat 90 Minuten" nach wie vor Gültigkeit haben. Insofern steht es um die EM-Sendungen im deutschen Fernsehen, bei allen kleineren Schwächen, also gar nicht so schlecht.