Im Februar 2021 war es dann also soweit: Sat.1 fiel aus der Top 3 der Privatsender heraus und musste Vox den Vortritt lassen. Anzeichen dafür gab es schon länger, im Januar war der Monatsmarktanteil bereits auf unter 7 Prozent gefallen. Inzwischen hat man diese Marke mit Mühe und Not wieder zurückerobert und auch Vox ließ man zuletzt wieder hinter sich - doch den jahrelangen Niedergang des ältesten deutschen Privatsenders kann man nun nicht mehr schön reden. In acht von neun Monaten der Saison lag Sat.1 unter den Vergleichs-Quoten des Vorjahres.
Dabei hat der Sender ein bemerkenswertes Fundament am frühen Morgen, auf dem er den Tag aufbauen könnte. Tag für Tag sorgt das "Frühstücksfernsehen" für herausragende Quoten, ein Rekordmonat jagt den nächsten, RTL ist meilenweit abgehängt, Sat.1 beim jungen Publikum klarer Marktführer. In diesen Morgenstunden ist die Sat.1-Welt noch in Ordnung. Doch schon die zwischenzeitliche Verlängerung um eine Stunde war Sat.1 auf Dauer zu teuer. Und so fängt um 10 Uhr die Misere an, alles in allem gibt der Sender im Rest der Zeit ein bisweilen so desolates Bild ab, dass man nun mal wieder einen "Neuanfang" ausgerufen hat. Das ist für Sat.1 nichts Neues, ähnliches geschah fast immer, wenn in den letzten Jahren und Jahrzehnten der Senderchef gewechselt hat. Nun soll es mit Daniel Rosemann der Mann richten, der auch ProSieben zu einer erheblich breiteren Aufstellung und neuer Relevanz verholfen hat.
Er gibt sich dafür drei Jahre Zeit - und die könnten auch nötig sein, denn tatsächlich muss man konstatieren, dass ProSieben konzernintern in den letzten Jahren in den meisten Bereichen an Sat.1 vorbeigezogen ist. Im Show-Bereich sowieso, im Informations-Bereich ebenfalls, selbst in Sachen Fiction sah man zuletzt alt aus. Früher war das mal eine Domäne von Sat.1 - in der vergangenen Saison musste man sie mit der Lupe suchen. Und wenn es sie dann mal gab wie mit der Miniserie "Du sollst nicht lügen", dann gingen sie sang- und klanglos unter. Vom festen Film-Sendeplatz hat man sich vor einiger Zeit verabschiedet, von der zwischenzeitlichen Neuausrichtung von Romantic Comedy hin zu Krimi-Reihen war zuletzt auch nichts mehr zu sehen. Dass damit auch linear Erfolge zu erzielen wären, kann man sich dafür jede Woche mehrfach bei den Öffentlich-Rechtlichen anschauen.
Bei Sat.1 hieß die vom inzwischen abgelösten Sat.1-Chef Kaspar Pflüger ausgegebene Marschrichtung stattdessen zuletzt "Lauter werden". Und das hat man ja tatsächlich ein Stück weit eingelöst. Weg vom Kuschelsender-Image zu kommen, war der Plan - was durchaus überraschend ist, wenn man doch bedenkt, dass es RTL gerade genau andersherum versucht. Die erhofften Schlagzeilen hat man tatsächlich bekommen, sie waren aber rufschädigend. Bei "Promis unter Palmen" etwa hatten weder Sender noch Produktionsfirma augenscheinlich irgendetwas aus der letzten Staffel gelernt, als man nur Glück hatte, dass die schlimmsten Mobbing-Ausfälle so spät kamen, dass sie dem Format nicht mehr viel anhaben konnten. Diesmal wurde in Folge 1 losgepöbelt - und erst ein Shitstorm führte zur Erkenntnis, dass das so nicht auf den Bildschirm gehört.
Inzwischen hat der neue Sat.1-Chef Daniel Rosemann "Promis unter Palmen" ebenso wie das später wegen Gefährdung des Kindeswohls unter Beschuss geratene Format "Plötzlich arm, plötzlich reich" abgesetzt. Man könnte sich länger darüber auslassen, aber über den Holzweg, auf dem sich Sat.1 mit Sendungen wie diesen befand, hat Peer Schader kürzlich schon alles Wichtige aufgeschrieben. Und tatsächlich waren viele andere Formate, die man unter der "Lauter werden"-Überschrift aufführen könnte, auch nicht mal ein wirklicher Erfolg. Die "Festspiele der Reality-Stars" etwa liefen schwach bis mäßig, das "Promi-Boxen" war allenfalls Mittelmaß, "Claudias House of Love" ein Totalausfall. "Promi Big Brother" um eine Woche auszudehnen und in die Primetime zu holen hat zwar letztlich Zuschauer gekostet, trotzdem hatte der Sender etwas mehr davon - um die Sache mal positiv zu betrachten.
Und wo wir bei positiven Nachrichten sind: Gut funktioniert hat unterdessen der Versuch, "Hochzeit auf den ersten Blick" in die Primetime zu heben, auch "Das große Backen" funktioniert wunderbar und ist ein Format, das auch zur neuen Ausrichtung von Sat.1 passt. "The Biggest Loser" und "The Taste" sind ebenfalls langjährige Formate, auf die man bauen kann, dazu natürlich "The Voice". Das hat zwar seinen Zenit lange überschritten, die Show beschert Sat.1 aber weiter starke Quoten. "The Voice Kids" wurde zudem erfolgreich auf den Samstagabend verfrachtet. Dort werden ohne Bohlen die Karten im nächsten Jahr ohnehin nochmal neu gemischt, man darf also gespannt sein, ob man die Erwachsenen-Version angesichts dessen am Sonntag belässt.
Eine zündende neue gute Idee bräuchte man unterdessen in absehbarer Zeit für Luke Mockridge. "Catch!" lief zwar gut, es hat sich früher aber ja schon gezeigt, dass es nicht auf Strecke funktioniert. "Luke! Die Schule und ich" ist hingegen ebenso wie die "Greatnightshow" freitags im einstelligen Bereich gefangen. Keine Frage, solide sind die Quoten - doch ein echter Erfolg sieht anders aus. Als Totalausfall muss Sat.1 unterdessen "Pretty in Plüsch" verbuchen, wo anscheinend weder die Beteiligten noch das Publikum verstanden haben, worum es eigentlich gehen soll.
An größeren Veränderungen im Programm hat Sat.1 zuletzt die US-Serien auf nur noch einen Abend reduziert - was angesichts der Tatsache, dass außer "Navy CIS" eigentlich nichts wirklich funktioniert, auch dringend notwendig war. Dienstags versucht man es nun stattdessen mit Reality-Dokus vom Schlage "112 - Notruf Deutschland". Auch das läuft meist solide, auch das bringt den Sender aber nicht voran. Immerhin konnte das Magazin "Akte" im Nachgang zuletzt steigende Quoten vorweisen. Der Weg zurück zu einer starken Marke im Magazin-Bereich scheint trotzdem noch ziemlich weit. Angekündigt war mal, als "Akte Spezial" auch Sondersendungen zu aktuellen Themen zu zeigen. Während aus dieser Ankündigung von ganz wenigen Ausnahmen nichts wurde, zog vor allem RTL, aber sogar auch ProSieben mit häufigeren Sondersendungen zu aktuellen Themen um 20:15 Uhr kurzerhand vorbei. Sat.1 würde mit einem ähnlichen Ansinnen jetzt nur noch wie ein Nachzügler wirken.
Und dann bleibt da ja noch die eine große Baustelle, die man seit Jahren nicht in den Griff bekommt: Der Vorabend. Fast alle erdenklichen Programmfarben hat man da in den letzten Jahren schon ausprobiert, zuletzt waren es die Gameshows, die dort aber auch nicht den erhofften Aufschwung brachten. "Buchstaben-Battle", "5 Gold Rings" oder "Rolling" hingen alle deutlich unter Senderschnitt fest. Da kommt es zur Unzeit, dass auch der Nachmittag in diesem Jahr Probleme macht, "Auf Streife", "Auf Streife - Die Spezialisten" oder "Klinik am Südring" ließen allesamt Federn. Zwar gab's zum Ende des Frühjahrs wieder einen kleinen Aufschwung, ob der von Dauer ist, muss sich aber zeigen. Dass Sat.1 in dieser Zeitschiene nicht von der Schwäche von RTL profitieren kann, sollte aber zu denken geben lassen - man stelle sich vor, RTL findet doch irgendwann ein Erfolgsrezept für den Nachmittag. An den Formaten zu arbeiten und ihnen einen etwas neuen Dreh zu geben, wie man es seit Jahren tut, könnte dann zu wenig sein. Trotzdem wird das für den neuen Sat.1-Chef allenfalls ein kleiner Nebenkriegsschauplatz sein. Zuerst muss es darum gehen, aus den verbliebenen Erfolgen und neuen Ideen überhaupt wieder ein großes Ganzes zu formen, damit man überhaupt wieder sagen kann, wofür Sat.1 eigentlich steht. Wenn das nicht gelingt, hätte Sat.1 die Zugehörigkeit zur Top 3 der Privaten vielleicht auch einfach nicht mehr verdient.