Im Detail wird sich RTL erst kommende Woche zu seinen Plänen für die nächste Saison äußern, schon jetzt kann man aber wohl sagen: RTL steht vor einem Neustart, wie man ihn sich vor noch einem Jahr kaum hätte ausmalen können. Eine neue Nachrichtensendung im Hauptabend, ein zusätzliches "RTL aktuell" am Nachmittag, die Verpflichtungen von Jan Hofer und Pinar Atalay - und was vielleicht für das größte Aufsehen in den letzten Wochen gesorgt hat: Kein Dieter Bohlen mehr. RTL geht damit auf den ersten Blick ein ziemliches Risiko ein, verzichtet man damit doch auf jenen Mann, der den Samstagabend über fast zwei Jahrzehnte gefühlt fast im Alleingang bestritt und dort über viele Jahre für herausragende Quoten sorgte.
Doch sieht man sich die Quotenentwicklung gerade in der vergangenen Saison an, dann zeigt sich auch: Die Entscheidung ist weniger harakiri als man auf den ersten Blick denkt - denn das Publikum hat sich an Bohlens Sprüchen offenbar langsam sattgesehen. "Das Supertalent" kam zum Finale kurz vor Weihnachten nur noch auf knapp über 11 Prozent Marktanteil und markierte damit einen neuen Tiefpunkt, "DSDS" war zwar erfolgreicher unterwegs, auch hier war es aber die bislang schwächste Staffel - und zwar auch wenn man die Finalshows mal ausblendet, denen Bohlen ja angeblich aus gesundheitlichen Gründen direkt mal fern blieb. Mit der Entscheidung, sich selbstbestimmt von Bohlen zu trennen und die Formate neu auszurichten, kam man wohl nur der Tatsache zuvor, dass das Publikum RTL diese Entscheidung schon bald per Fernbedienung ohnehin abgenommen hätte.
Dennoch bleibt es nun natürlich die spannende Frage: Wird RTL die Sendungen mit neuer Besetzung (bei der man ja auch abseits von Bohlen im Falle von DSDS in den letzten Jahren nicht gerade ein glückliches Händchen bewiesen hatte) nochmal neu aufladen und zum Erfolg führen können? Denn Ersatz drängt sich nun auch nicht unbedingt in großer Menge auf, obwohl RTL zuletzt im Show-Bereich deutlich aufgerüstet hat. Doch Shows wie "Big Performance" oder "I can see your voice" liefen allenfalls mäßig - und "Denn sie wissen nicht was passiert" stellte zwar unter Beweis, dass es zwar auch ohne Jauch und ohne Studiopublikum bestens funktioniert, kann aber auch keine allzu große Strecke füllen. "Murmel Mania" zeigte zuletzt dienstags, dass es nicht mehr als eine solide Idee für zwischendurch ist, keinesfalls aber der große Hit.
Besser lief's für den "König der Kindsköpfe", doch auch dieses Konzept dürfte schnell an seine Grenzen stoßen. Gar kein Problem hat man hingegen mit seinen Shows am Freitag: "Ninja Warrior" ist dort ebenso eine Bank wie "Let's Dance", "Lego Masters" nochmal zwei Nummern größer als Primetimeshow neu aufzulegen verfing ebenso wie die "Bin ich schlauer als..." -Reihe, die testweise auch schon an einem Samstagabend gut ablieferte. Verabschiedet hat man sich hingegen offenbar weitgehend von seinen Late-Night-Ambitionen: "Pocher - Gefährlich ehrlich" wird nicht fortgesetzt, "Täglich frisch geröstet" war auch mit der Festlegung auf Knossi als festen Moderator nicht zu retten - die zum Start in die letzte Saison so groß gefeierte Zusammenarbeit mit Stefan Raab ist also auch schon wieder Geschichte. Übrig ist am späten Abend derzeit noch Chris Tall, der mit seiner Show den Vorteil hatte, von "Let's Dance" profitieren zu können.
Reality-Bereich: Corona und Fehlentscheidungen sorgten für Probleme
Neben den Shows war die zweite große Domäne von RTL aus Quotensicht immer auch der Reality-Bereich. Dort litt man in der letzten Saison deutlich unter Corona - aber auch unter falschen Entscheidungen. Dass das "Sommerhaus der Stars" in den Herbst fiel, war vielleicht Corona zuzuschreiben. Dass man es viel zu lang auswalzte, dass es in extremes Mobbing kippte und durch die bloße Aneinanderreihung von Unflätigkeiten kaum noch als unterhaltendes Fernsehen durchging, müssen sich die Macher hingegen selbst zuschreiben. Im Januar wurde das Dschungelcamp aus Australien durch die Dschungelshow aus Hürth ersetzt. Die Quoten waren gut, aber natürlich nicht ansatzweise auf normalem Dschungel-Niveau. Auch hier war es aber die Entscheidung von RTL, anders als etwa die Briten kein gleichwertiges Camp anderswo aufzuschlagen.
Ansonsten wird bei RTL ja bekanntlich gekuppelt, was das Zeug hält. Auf "Bauer sucht Frau" kann man sich da weiter verlassen, "Schwiegertochter gesucht" blieb zum alliterationslosen Neustart, bei dem man sich auch sonst deutlich zahmer als in den letzten Jahren gab, hingegen noch blass, ebenso wie die in den Herbst verlagerte "Bachelorette". Immerhin: Auf den "Bachelor" konnte RTL zu Jahresbeginn wieder bauen, auch wenn der diesmal mit seinen Damen auf deutschem Boden bleiben musste. Als weniger gute Idee erwies sich hingegen meist die Zweitverwertung von eigentlich für TVNow produzierten Reality-Shows. Zur Querfinanzierung mag das sinnvoll erscheinen, wer nicht als Resterampe des hauseigenen Streaming-Dienstes gelten und sich damit die lineare Quote kaputt machen will, sollte das aber wirklich nur noch im äußersten Programmrand machen.
Wenn von einem Neustart von RTL die Rede ist, dann trifft das offensichtlich auch auf den fiktionalen Bereich zu. Von all den Primetime-Serien, die man zwischenzeitlich wieder im Programm hatte, ist nur noch "Cobra 11", dessen Zukunft ebenfalls noch nicht endgültig geklärt ist, (und die noch ungesendete letzte Staffel von "Sankt Maik") übrig. Ansonsten sind zwar einige Projekte, in der Regel gemeinsam mit TVNow, angeschoben und eine stärkere Eventisierung anvisiert. Nachdem die Serien-Massenware zuletzt nicht mehr funktionierte und man auch im Sitcom-Bereich leer gelaufen ist, blieb auch kaum ein anderer Weg als dieser Strategie-Schwenk. Immerhin auf die Soaps ist noch Verlass, wenn auch bei "Unter Uns" nur mit Abstrichen.
RTL wird zum Sondersendungs-König
Wenn man RTL in den vergangenen Saison eines attestieren kann, dann dies: Man hat sich locker gemacht. Hing man früher geradezu manisch am festen Sendeschema fest, scheint heute jeder Anlass recht, eine Sondersendung ins Programm zu heben. Dass RTL mit seinen Corona-Specials um 20:15 Uhr in diesem Jahr sogar Das Erste überholt hat, ist bemerkenswert - und zahlte sich auch aus Quotensicht häufig aus. Auch nachmittags ist man nun bereit, kurzfristig das Programm zu ändern, zu beobachten etwa anlässlich des Todes von Prinz Philip. Dass man auch damit deutlich erfolgreicher war als mit dem Regelprogramm, dürfte RTL nur in der Entscheidung bestärkt haben, den Informations-Bereich zum Kernstück des neuen RTL zu machen und so den Stremaing-Diensten etwas entgegenzusetzen, was diese nicht bieten können - sei es mit der neuen Jan-Hofer-Sendung in der Primetime oder dem neu gestalteten Nachmittag mit einer zusätzlichen "RTL aktuell"-Ausgabe.
Ganz nebenbei könnte man mit Letzterem vielleicht auch die nach wie vor größte Schwachstelle des Senders ein Stück weit in den Griff bekommen: Das Nachmittagsprogramm. Dort hat in den letzten Jahren nichts mehr funktioniert, auch nicht die neuen Geschichten über Polizei, Justiz und Notärzte. Das tiefe Quotental, in das RTL jeden Nachmittag fällt, hat auch seinen Anteil daran, dass RTL in keinem der neun Monate zwischen September 2020 und Mai 2021 das Quotenniveau des Vorjarhes erreichen konnte. Und auch das zeigt: Dass man nun eine so umfassende Reform angeht, scheint dringend notwendig. Im Mai hielt man sich schon nur noch knapp im zweistelligen Marktanteils-Bereich. Es blieb womöglich gar nicht mehr allzu viel Zeit, um die Reform noch aus der überlegenen Position des Dauer-Marktführers bei den 14- bis 49-Jährigen anzugehen.