"Schon der Zweite oder Dritte bekommt weniger Wahrnehmung. Für den Sportjournalismus potenziert sich all das zusätzlich. Sportjournalismus ist an vielen Stellen nochmal flüchtiger geworden als alles andere. Entscheidend bleiben aber Grundsätze wie 'You better check it twice' und mancher News einen neuen Dreh zu geben – für die Redaktionen, in denen ich arbeite, als Ziel und Aufgabe noch immer eine Selbstverständlichkeit trotz der zunehmenden Hektik", weiß der Reporter um den größer werdenden Zeitdruck, auf den er auch Studierende vorbereiten muss. Es sind "ganz gravierende Veränderungen", auf die er im (Sport-)Journalismus blickt. "Hintergründige Berichterstattung ist auch im Sport-Journalismus wichtig", sagt er mit Blick auf WDR-Formate wie "Sport inside" oder die Arbeit der Doping-Redaktion und nennt den Leitsatz "Tiefgang statt Tempo, bitte!" als Credo all seiner Vorlesungen.
"Heute wird viel mehr nach positiver Veränderung gestrebt als früher."
Michael Bracher
Moderationsideen geschrieben und Kaffee gekocht
Nein, vergleichbar sei die Situation heute mit der vor 25 Jahren, als TV-Sportjournalismus im werbefinanzierten Fernsehen gerade aus den Kinderschuhen herauswuchs, keineswegs. Bracher selbst erinnert sich an sein eigenes Praktikum in den 90ern bei Sat.1-"ran" und somit den damaligen Rechteinhabern der Bundesliga-Highlights im Free-TV. Gute Kontakte habe es gebraucht, um an die Stelle zu kommen. Nach drei Monaten wäre das Praktikum beendet gewesen – "es war nett und hat Spaß gemacht". Moderationsideen habe er in der Zeit schreiben dürfen, diese aber seien schnell wieder verworfen wurden. "Und ansonsten habe ich auch Kaffee gekocht."
Wer heute als Praktikant in einer der großen Redaktionen vorstellig wird, müsse derweil entweder studiert haben oder ein umfangreiches, selbstbeigebrachtes Skill-Set mitbringen - so auch bei DAZN. "Dieses Skill-Set ist so wichtig, weil Fernsehen mittlerweile so technisch ist. Es geht einerseits um den Nutzen für den Sender, aber auch darum, dass ein Praktikant sinnvoll eingesetzt werden kann. Ziel ist es: Wer bei uns am Ende eines Praktikums geht, hat massiv dazugelernt", sagt Bracher. Dazulernen heißt: Mit mindestens zwei Schnittprogrammen arbeiten zu können, die Fähigkeit zu haben, Kameras zu bedienen – am besten zwei oder drei Systeme. Zum Skill-Set gehören dann auch das Vorbereiten einer Story, das Schneiden, Texten und Vertonen. "Durch neue Medienhäuser wie DAZN steigt automatisch auch das Interesse, in den Medien arbeiten zu wollen. Ganz wichtig ist dabei die Allround-Qualität. Es bringt mir heute wenig, wenn jemand stark an der Kamera ist und super schneiden kann, er aber ein schlechter Texter ist", sagt Bracher.
"Wer sich bei uns bewirbt und direkt der nächste 'Icke' werden will, den nehmen wir nicht und wenn doch, dann bleibt er in der Regel nicht lange."
Alexander Rösner
Nachwuchsförderung liegt der Redaktion, deren erster Chef Reinhold Beckmann mit Ende 30 war, schon immer am Herzen. "Das zog sich fort über Johannes B. Kerner, Jörg Pilawa, Steffen Simon, Oliver Welke oder etwa Monica Lierhaus, die mit Ende 20 bei uns vor der Kamera stand. Schon damals war die klare Forderung, junges Fernsehen mit jungen Moderator:innen zu machen. Das führen wir gerne so weiter", sagt Rösner.
Unglaubliches statistisches Wissen
Verändert habe er sich, der "ran"-Nachwuchs, sagt Rösner. "Gerade durch den US-Sport geht es schon in die Richtung, dass bei uns auch Praktikanten aufschlagen, die echte, 'gelernte' 'ranNFL'-Fans sind und den Gamepass rauf und runter schauen." Diese Leute hätten, so Rösner, ein unglaubliches statistisches Wissen. Und nachwievor gelte, wer zum Fernsehen wolle, der müsse natürlich ein bisschen extrovertiert sein. Letztlich brauche jeder "ran"-Neuling eben eine Mischung aus allem. "Außerordentlich großes Wissen ist da ebenso eine Grundvoraussetzung wie eine Prise Humor, eine kreative Ader und ein Gespür für Themen auch abseits von Statistiken. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir – damals wie heute – mit 'ran' unsere Fans unterhalten wollen. Ich sehe im Verlangen von jungen Sportfans eine immer größere Tendenz, harte Facts auf stark unterhaltende Weise geboten zu bekommen."
Auch bei "ran" müssen schon Praktikanten drehen, schneiden und vertonen können. Ein junger VJ gehe mit seiner Kamera und seinem Laptop raus, schneide seinen eigenen Beitrag und vertone ihn selbst mit seinem eigenen Text. "Gute Beiträge werden dann auch gesendet", sagt Rösner. Früher, da habe es eben mal zwei oder drei Jahre gedauert, bis man die eigene Stimme On Air gehört habe. "Wer in diesem Bereich am besten ist, dem steht wirklich die Welt offen", verspricht Rösner.
"Ich sehe immer wieder Studierende vor mir, die sich in gewisser Weise - pardon dafür – überschätzen."
Stephan Kaußen
Das sind freilich nicht alle. Stephan Kaußen kann ein Lied davon singen, welche Erwartungshaltung oftmals bei den Studierenden mitschwingt. "Ich sehe immer wieder Studierende vor mir, die sich in gewisser Weise - pardon dafür – überschätzen. Letztlich sind es vermutlich 20 Prozent, die am Ende wirklich gute Chancen haben, in diesem Berufsfeld weiter zu kommen."
Der vorherrschende Zeitgeist habe viele Studierende verändert, überlegt Kaußen laut. Früher, da hätten Dozenten und Professoren eine fast natürliche Autorität gehabt, wie er es nennt. "Dieser Bonus ist mittlerweile weitgehend verloren gegangen, was vermutlich auch daran liegt, dass die jungen Leute besser mit modernen Technologien umgehen können als die etwas ältere Generation. Auf diese Kompetenz bauen manche dann ihre Einbildung, gebildet zu sein. Da ist dann ein subtiles Gefühl der Überlegenheit, wenngleich diese ja eher auf Technik als wirklichem Studium basiert", erzählt Kaußen. Wichtig sei es daher stets, sein eigenes Tun auch zu reflektieren. Manche aber hätten's freilich drauf, sagt der Hörfunk-Mann und meint damit nicht nur das Reflektieren, sondern auch das journalistische Handwerk und erzählt davon, wie er einst den heutigen "ran"-Moderator Christian Düren unterrichtete. "Ihm habe ich seine Entwicklung von Anfang an zugetraut. Ein anderer ehemaliger Student von mir ist Daniel Schüler, jetzt bei ntv. Sein Fleiß hat mich immer beeindruckt. Er hat seinem Nachnamen alle Ehren gemacht. Im Gegenzug ärgert es mich beispielsweise, wenn ich – auch das ist passiert – Studierende an einen Sender vermittle und die Hospitanz dann nicht klappt, weil es bitteschön keine Arbeit am Wochenende sein soll. Dass Sport mehrheitlich zwischen Freitag und Sonntag stattfindet, sollte schon jedem klar sein."
Augen auf bei der Berufswahl
Klar müsse aber sein, dass nicht jeder Sportjournalist auch der Typ dafür sei, irgendwann einmal vor der Kamera zu stehen, sagt Hebel – gerade mit Blick auf die Temperatur in sozialen Netzwerken. "Auch wenn es nicht so ist, muss ein Sportreporter damit umgehen, dass Leute meinen, man sei quasi öffentliches Gut und bewertbar – und das nicht immer auf einer Sachebene. Das muss man verarbeiten können. All diese Dinge führen auch dazu, dass Nachwuchsjournalisten und Nachwuchsjournalistinnen in meinen Seminaren an der Hochschule schnell lernen, dass das alles gar nicht so geil ist. Diese Hinweise zu geben, mache ich sehr gerne, weil mir dieser Beruf so wichtig ist, dass ich sicherstellen will, dass die richtigen Menschen aus den richtigen Gründen in diesem Bereich arbeiten." Früh darauf hinzuweisen, ist eine von Hebels Aufgaben. "Lieber sortieren wir die aus, die eigentlich nur ihre Sportlerkarriere repetieren wollen, die sie vorher nicht hatten."
Gegenseitige Befruchtung
Von letztlich hervorragend ausgebildetem Reporternachwuchs könnten dann auch die Redaktionen über die Maßen profitieren. "Gerade aber, wenn es um jüngere Sportarten geht, Football ist eine davon, braucht es auch junge Leute, die den Zeitgeist der Jungen kennen und die die Sprache der Zielgruppe sprechen. Wir dürfen nie vergessen, dass die Vielzahl unserer NFL-Fans zwischen 18 und 29 Jahre alt sind", sagt "ran"-Chef Rösner, nicht ohne zu betonen, wie wichtig es für eine Redaktion sei, auch erfahrene Kolleginnen und Kollegen an Bord zu haben. Zu allererst natürlich müsste der Nachwuchs das grundsätzliche Handwerk erlernen. "Wir müssen ihnen beibringen, wie sie täglich arbeiten." Danach aber, wenn sie in dieser Arbeit drin sind, "lernen wir von ihnen, wie der Zeitgeist funktioniert, aber auch wie die Generierung und Verbreitung von Inhalten auf diversen Plattformen funktionieren kann."
Es ist quasi eine gegenseitige Befruchtung, erklärt der "ran"-Boss anhand eines Beispiels. "Wir haben bei 'ran' eine Kritikkultur, bei der wirklich jeder, bis hin zum Volontär und Praktikanten, sagen darf, was und warum etwas aus seiner subjektiven Sichtweise heraus nicht so gut war. Dadurch bekommen wir älteren Redakteure mit, wie das junge Publikum tickt und wie etwas dort ankommt. Das hören wir uns genau an – und wertschätzen diese Meinungsäußerung auch. Es obliegt dann mir und unseren erfahrenen CvDs, die Kritik letztlich auch richtig einzuordnen."
Wer sich durchsetzt, dem steht die Welt offen, der hat heutzutage wesentlich größere Chancen als früher, da sind sich alle einig. "Die Möglichkeiten sind schlicht viel breiter. Es gibt ja viel mehr Nischenoptionen. Mit zwei ehemaligen Studenten, Maximilian Daum und Benedikt Brinsa, mache ich seit einem Jahr wöchentlich einen Podcast", sagt Dozent Stephan Kaussen. "Das ist im besten Sinne generationenübergreifend. Benedikt Brinsa macht das seit Jahren wahnsinnig gut. So jung, wie er die Bundesliga und mehr in der 'Sportschau' machen durfte und darf, das ist einmalig. Auch Lena Kesting, die heute prominent beim ZDF arbeitet, ist eine tolle Journalistin. Sie hat früh gemerkt, dass nicht unbedingt der Fußball ihr Feld ist. Das war gut und wichtig. Jetzt arbeitet sie in olympischen Kernsportraten und berichtet so etwa aus den Schwimmhallen dieser Welt und steht vor der Kamera. Toll, ihre Entwicklung zu sehen."
Es gibt sie also, diejenigen der gefühlt 20 Prozent, die mit großer Durchschlagskraft durchstarten. Denn im Sportjournalismus 2021 gilt, wie es Alexander Rösner formuliert: "Wer wirklich gut ist, bekommt in diesem Bereich sicher auch einen guten Platz."