Gut gefüllte Stände, dichtes Gedränge auf Empfängen und ein Stelldichein von Ein- und Verkäufern, Produzenten und Sendervertretern aus aller Welt – wenn zentrale Elemente des eigenen Geschäftslebens plötzlich wie die Definition eines weltweiten Superspreader-Events klingen, dann ist klar: In der internationalen Content-Distribution musste man sich in den vergangenen Monaten erheblich umstellen.
Bei Red Arrow brachte man etwa mit "FormatFest" und "FictionFest" an den Start und schuf einen Online-Screening-Hub. Beta Film führte seine Beta Upfronts statt am Rande der Berlinale nun digital durch – und das hatte auch Vorteile: Weil eine solche Veranstaltung niederschwelliger sei, habe man mehr Leute denn je erreicht, sagt Oliver Bachert von Beta Film. Ähnliches kann Fremantle von den im März digital abgehaltenen "London Screenings" berichten: "Wir konnten unsere Reichweite mit unserer virutellen Veranstaltung vergrößern und mit noch mehr Einkäufern sprechen als zuvor", so Jens Richter, der bei Fremantle den internationalen Programmvertrieb verantwortet.
Wo Messen an Bedeutung verlieren - und wo sie unersetzbar sind
Im Vorteil sind dabei nun alle, die am Markt etabliert sind entsprechend über langjährige Kontakte verfügen. "Wir profitieren von unserem Netzwerk und dem Vertrauen unserer Kunden, das wir uns über die vergangenen zehn Jahre erarbeitet haben. Das hilft uns definitiv, gut durch diese Zeit zu kommen“, erläutert Tim Gerhartz von Red Arrow. Auch Oliver Bachert stimmt zu, dass die Situation für etablierte Unternehmen einfacher ist – neue Kontakt zu finden sei aber unter den jetzigen Bedingungen eine größere Herausforderung.
Und hier zeigt sich eben, dass der Verzicht auf die persönlichen Treffen, wie sie auf Messen in geballter Form möglich sind, zwar vorübergehend kompensierbar, aber nicht dauerhaft ersetzbar ist. Julia Weber von Global Screen fehlen "die spontanten Begegnungen in Cannes und der persönliche Austausch, den man vor Ort bei einer Tassee Kaffe oder einem Drink am Abend hat. Auch das Kontakteknüpfen mit neuen Partnern und Kunden gestaltet sich auf den virtuellen Messen sehr viel schwieriger." Auch Oliver Bachert von Beta Film weist darauf hin, dass es das bei einer solchen Messe auch abseits fester Termine nebenbei stattfindende Networking fehlt und persönliche Treffen generell einen – wenn auch schwer greifbaren – Mehrwert haben.
Und noch ein ganz wichtiges Element fehlt, wenn man sich nicht mehr vor Ort auf Messen oder Festivals trifft, das den Unterschied zwischen einer zwar ganz guten Format-Idee und einem Verkaufsschlager ausmachen kann: Es lässt sich viel schwerer Buzz um neue Formate erzeugen. Wenn sich niemand mehr über den Weg läuft, stellt sich kaum ein Gefühl ein, dass es ein Format gibt, über das gerade alle sprechen, das alle haben wollen. Julia Weber von Global Screen sagt: "Auf einer physischen Messe wird ein Momentum kreiert, das ein digitales Event nicht in Gänze ersetzen kann. Physische Messen sind also nach wie vor der Ort, auf dem man neue Programme mit der größten Aufmerksamkeit einem breiten Publikum präsentieren kann."
Die MIP nach Corona - alles wie vorher? Wohl nicht ganz...
Oliver Bachert von Beta Film spürt bei allen Marktteilnehmern ein Bedürfnis, sich mal wieder physisch zu treffen. Die Frage ist nur, ob sich nach den Erfahrungen mit der Pandemie weiterhin Hunderte auf überfüllten Empfängen drängeln werden – oder ob man nicht häufiger auf den kleinen Rahmen setzt, etwa bei einem gemeinsamen Abendessen oder ähnlichem. Eine generelle Reduktion der MIP-Schlagzahl von zwei auf eine pro Jahr findet zumindest Julia Weber von Global Screen nicht sinnvoll: "Wir sehen, dass sich durch die Diversifizierung des TV-Marktes die Nachfrage nach Programm stark erhöht und es insgesamt ein sehr breites Angebot gibt, das auf einem jährlich stattfindenden Markt gar nicht Platz finden würde." Von dieser "stark erhöhten Nachfrage" berichten unterdessen alle von uns befragten Distributoren – und damit zu den guten Nachrichten: Trotz der äußeren Umstände laufen die Geschäfte offenbar inzwischen wieder richtig gut.
"Nachdem es während der ersten Welle fast überall Budget-Kürzungen gab und kaum neues Programm gekauft wurde, sehen wir seit Mitte/Ende letzten Jahres wieder eine steigende Nachfrage nach Programm", sagt Julia Weber, die berichtet, dass Global Screen "sehr erfolgreich ins neue Jahr gestartet" sei. Ähnlich klingt es überall: Es sei "über alle Genres hinweg wirklich gut gelaufen", sagt etwa Tim Gerhartz von Red Arrow Studios, "Unsere Geschäfte laufen sehr zufriedenstellend", heißt es seitens ZDF Enterprises, von stark laufenden Geschäften und einer allgemein guten Entwicklung des Content-Handelsmarktes weiß auch Oliver Bachet von Beta Film zu berichten.
Trotz allem: Die Geschäfte laufen gut
"2020 hat uns gezeigt, dass wir auch außerhalb der traditionellen Märkte und Festivals Geschäfte machen können", sagt Jens Richter von Fremantle. Dabei spielt Corona den Produzenten und Distributoren ja in mancher Weise durchaus auch in die Karten. Die Lockdowns in aller Welt sorgten dafür, dass mehr TV-Inhalte denn je konsumiert und nachgefragt wurden, zugleich mussten Sender und Plattformen den Ausfall von Sport-Ereignissen kompensieren – und obendrein kam dann auch noch, dass es insbesondere in Amerika zu deutlichen Verzögerungen bei den Produktionen kam, mehr noch als das in Europa und insbesondere auch in Deutschland der Fall war. Dass die großen amerikanischen Medienunternehmen dazu übergehen, ihre Produktionen zunehmend selbst auf eigenen Streaming-Angeboten zu verwerten statt zu verkaufen, macht die frei verfügbare Ware von europäischen oder unabhängigen Produzenten obendrein um so begehrter.
Zudem habe nicht nur die Qualität europäischer Serien zugenommen: "Die Akzeptanz von nicht englischsprachigem Content ist stark gestiegen, so dass auch Kunden in den USA gerne Programm aus Europa kaufen." Im fiktionalen Bereich sieht Oliver Bachert einen Trend hin zu nicht zu komplizierten, leichter konsumierbaren, Inhalten, die man als "Good Entertainment" zusammenfassen könnte. Zudem seien fokussiertere Produktionen für spitzere Zielgruppen gut nachgefragt - etwa im Young Adults-Bereich. Für diese beiden Strömungen sieht sich Beta Film mit Produktionen wie "Professor T.", "Katakomben" und "Wild Republic" bestens aufgestellt. Gut nachgefragt sei auch die spanische Produktion "La Fortuna" oder "Atlantic Crossing", das es sogar in den USA ins lineare Programm geschafft hatte. Und während weiterhin große Blockbuster-Produktionen ihre Abnehmer finden würden, hätten es Middle-of-the-Road-Geschichten, die in keiner Weise besonders herausragen, zunehmend schwer.
Das liegt nahe: In einer Welt mit immer mehr Anbietern, in denen man um Aufmerksamkeit kämpfen muss, reicht solides "Füllmaterial" eben nicht aus. Bei ZDF Enterprises spricht man allgemein von "Qualitätsinhalten", die gefragt seien. Dort liefen zuletzt vor allem "Ku'damm 63", die spanische Serie "ANA.all in." und die Scandi-Noir-Serien "Huss" und "Agatha Christie's Sven Hiersson" gut, Global Screen spürte hohe Nachfrage nach der Mini-Serie "Das Geheimnis des Totenwaldes", dem zweiteiligen TV-Event "Feinde - von Ferdinand von Schirach" und der finnischen Action-Crime-Serie "Fast". Fremantle nennt als Top-Formate die südafrikanische Serie "Reyka" über eine brillante Profilerin, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, die Serie "Cargo", die die internationale Flüchtlingskrise thematisiert, und das Doku-Event "Arctic Drift: A Year in the Ice" (hierzulande als "Expedition Arktis" zu sehen).
Red Arrow nennt als weitere Top-Formate noch die Gameshow "Blockout" aber auch den ProSieben-Neustart "Wer stiehlt mir die Show?", der als "Stealing the Show" international vermarktet wird. Mit "Secret Treasures of the Museum" hat man zudem noch ein neues dänisches Reality-Format in petto, in dem zwei Promis eine Ausstellung kuratieren. Für die Zukunft erwartet man dort zudem eine steigende Nachfrage nach sozialen Experimenten. Tim Gerhartz: "Das könnte eine Möglichkeit sein, zu verarbeiten, was wir während der Pandemie erlebt haben." Beispiele seien dabei "Old People's Home for 4 Years Olds" oder auch das britische Format "The Restaurant That Makes Mistakes", das von Demenzkranken geführt wird.