Sie hat die großen Ziele vor Augen, aber erreicht werden sie Schritt für Schritt. Bei „The Masked Singer“ wurde der Ausstoß an CO2 durch den Wechsel zu grünem Strom um 94 Prozent reduziert. Das Sat.1-„Frühstücksfernsehen“ produziert seit Kurzem ebenfalls mit grünem Strom; verringert den CO2-Ausstoß von 1300 auf nur noch 80 Tonnen pro Jahr. Erste Ergebnisse des 2019 angestoßenen Pilotprojekts „Sauber gedreht“. Es richtet sich an alle Produzenten im deutschen Markt, mit denen die konzerneigene Seven.One Entertainment Group kooperiert. Mitten im Corona-Jahr 2020 wurde das Projekt aus der Pilotphase geführt. Inzwischen haben auf Initiative des Konzerns alle großen Studios in Köln, Hamburg, Berlin und München auf grünen Strom umgestellt.
Nachhaltigkeit ist eines der Themen für das Annette Kümmel brennt, wie im Videocall mit ihr schnell deutlich wird. Seit Anfang 2020 wirkt die erfahrene Fernsehmanagerin und Medienpolitikerin bei der ProSiebenSat.1 Media SE als Chief Sustainability Officer (CSO). Ein Titel, der in der Außenwirkung sehr wertvoll wirkt. Ihn mit Leben zu füllen ist Kümmels Aufgabe. Mit „Sauber gedreht“ ist sie sichtlich zufrieden, schiebt aber gleich hinterher, dass es ihr und dem Konzern bei Nachhaltigkeit um viel mehr geht als allein um CO2-Reduzierung: „Unser Ansatz ist ein sehr breiter – in Bezug auf die komplette Bandbreite von Environmental, Social und Governance. Wir wollen Soziales, Ökonomie und Ökologie zusammenbringen und nachhaltiges Wirtschaften als Selbstverständnis im Konzern verankern.“
In den vergangenen 15 Monaten habe sie bei diesem Vorhaben ein unglaubliches Engagement aus der ganzen Gruppe zu spüren bekommen. Unter den Mitarbeitern habe sich Begeisterung darüber breitgemacht, dass ProSiebenSat.1 „Haltung zeigt“, obwohl Corona viel ausgebremst hat. Doch Annette Kümmel vermag der Krise und dem Stillstand der Geschäftswelt Positives abzugewinnen: Die geplante neue Reiserichtlinie, die unter anderem auch einen geringeren CO2-Ausstoß innerhalb der Gruppe zur Zielsetzung hat, konnte bereits vorzeitig im Juni 2020 in Kraft treten. Sie gilt seither für alle, vom Redaktionsmitarbeiter oder Produktionsassistent bis hin zum Vorstandssprecher.
Aber wie arbeitet das Team Corporate Sustainability innerhalb der ProSiebenSat.1-Familie jetzt konkret? Annette Kümmel: „Einerseits geben wir Impulse und beraten, verstärken Ideen oder treiben sie voran. Andererseits ist es unsere Aufgabe, Kollegen, Vorhaben und Projekte aus dem Unternehmen zusammenzubringen und zu fokussieren.“ Man habe mit Einrichtung des Ressorts eine Haltung dokumentiert, die dazu führe, dass Know-how und Engagement sichtbar würden, betont sie. Kollegen haben nun einen Ansprechpartner, an den sie sich wenden könnten: „Das ist natürlich sehr wertvoll für unser Haus, weil ein großer Wissensschatz zum Tragen kommt, den wir ohne die Corporate-Sustainability-Strategie eventuell gar nicht gehoben hätten.“
Ansprechpartnerinnen und -partner definieren, Initiativen fördern
Und das geht über den Umweltschutz hinaus. So hat ihr Bereich im vergangenen Jahr auch das Mitarbeiterengagement unterstützt und „strukturell gepusht“, wie Kümmel ausführt. Als Beispiel dafür nennt sie das LGBTIQ-Netzwerk PROUD, das es seit Mitte 2020 im Konzern gibt. Am 8. März hat ProSiebenSat.1 zum Weltfrauentag das neue Frauennetzwerk „fempowerment“ gestartet. Diese und andere Impulse im Konzern wie das „Green Team“ werden mit dem Corporate Sustainability Office verknüpft, indem Mitglieder in die jeweiligen Projektgruppen entsandt werden. Regelmäßiger Austausch mit der CSO und anderen Führungskräften oder dem Vorstand sei selbstverständlich. „Wir geben unseren Mitarbeitern Raum für Eigeninitiative. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden dann Teil unserer Gesamtstrategie. Eine Win-Win-Situation“, glaubt die Managerin.
Ein neues Selbstverständnis, das sich für den Arbeitgeber bezahlt macht: „ProSiebenSat.1 ist jung und divers. Unser Durchschnittsalter liegt bei 37 Jahren, 52 Prozent unserer Mitarbeiter sind unter 35 – also sehr nah dran an der ‚Fridays for Future‘-Generation, der die Dringlichkeit von Klimathemen sehr bewusst ist und bei der Nachhaltigkeit längst Teil ihres Lifestyles geworden ist“, betont Kümmel.
Die Mitwirkenden sind so unterschiedlich wie die Handlungsfelder, die bei ProSiebenSat.1 strategisch „Sustainability“ zugeordnet werden. So wurde ein Sustainability Committee aus Führungskräften sowie Fachexperten aus relevanten und operativen Konzernbereichen eingerichtet. Dazu gehören Manager aus den Bereichen Communications, Compliance, Procurement & Real Estate sowie Finance. Darüber hinaus gibt es jeweils Vertreter des European Employee Boards sowie für jedes Segment und die großen Konzerntöchter. Weitere wichtige Stakeholder sind der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung – insbesondere, wenn es um Fragen der Inklusion geht.
Nachhaltigkeitsmanagement wird zum eigenständigen Beruf
Kümmel: „Die Grundhaltung im Unternehmen, gemeinsam am Ball zu bleiben und zusammen etwas zu schaffen, ist immens wichtig. Das funktioniert nur gemeinsam mit den Kollegen aus den operativen Bereichen.“ Langjährige Mitarbeiter des Konzerns, die sich stetig weiterbilden, engagieren sich – aber auch sehr junge Kollegen und Studienabgänger. „Frische Impulse, gepaart mit Erfahrung und Historie: Wir sind eine ganz gelungene Mischung“, zeigt sich Kümmel überzeugt. Um Nachwuchs sorgt sie sich nicht: „Nachhaltigkeitsmanagement wird inzwischen sowohl als Fortbildung, Ausbildungsberuf und auch als Studium angeboten. Das Thema gewinnt nicht nur an Relevanz, sondern auch an Bekanntheit. Das sehen wir an Bewerbungen für Werkstudentenstellen oder von Young Professionals, die wir erhalten“, berichtet die Nachhaltigkeitschefin des TV-Konzerns.
Wichtig ist Kümmel bei sich selbst wie bei ihren Mitarbeitern „die Haltung und die persönliche Überzeugung“. Gäbe es ein Jobprofil, so würde es in den Worten von Annette Kümmel so aussehen: „Das Wichtigste, was gegeben sein muss für die Wirkung nach innen ebenso wie für die Interaktion nach außen, ist die Glaubwürdigkeit. Ohne ernsthafte Zielsetzung läuft man sehr schnell Gefahr, ins Green- oder Pinkwashing abzudriften.“ Einerseits sei der Job reines Business, strategisches und unternehmerisches Denken seien also gefragt. Ebenso müsse man „ein wirklich guter Kommunikator“ sein. Ihr Fazit: „Es ist sehr bereichernd, wenn man etwas zum Positiven verändern und gerade in Corona-Zeiten für Good News sorgen kann.“
Für das Wirken von Annette Kümmel als CSO ist ihre umfassende Kenntnis des Konzerns essenziell, ebenso ihre Netzwerke innerhalb des Unternehmens und in der TV-Branche. Seit 1991 ist sie bei der Gruppe tätig, anfangs in der Sat.1-Rechtsabteilung, dann als Referentin Medienpolitik und von 1998 bis 2001 als Geschäftsführerin der Sat.1 (Schweiz) AG. Bis Ende 2019 verantwortete Kümmel rund 20 Jahre die Medienpolitik bei der ProSiebenSat.1 Media SE. Beinahe fließend war der Übergang zu ihren Aufgaben als Chief Sustainability Officer ab Januar 2020. Bereits zwei Jahre zuvor hatte sie mit Kollegen eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie für den Konzern entwickelt, ab Anfang 2019 umgesetzt und ein Jahr später im Ressort Corporate Sustainability verankert.
Sustainability wird nächstes Gattungsthema
Seit Herbst 2020 ist Kümmel zusätzlich als erste Vaunet-Vorstandsvorsitzende für die private Rundfunkbranche im Einsatz. Für die ganze Bewegtbildbranche steht ihrer Auffassung nach neben Medienpolitik und Vermarktungsthemen mit Sustainability das nächste große Gattungsthema an. „Wir müssen nicht die Ersten und Besten sein. Wir wollen mit unserer Arbeit bei ProSiebenSat.1 vielmehr branchenweit Impulse setzen – ebenfalls ein Punkt, den uns die UN-Richtlinien vorgeben – Kollaboration zur Erreichung der Ziele“, hebt Annette Kümmel hervor. Sie spricht von der Wirkmacht, wenn ihre Münchner noch eine Schippe drauflegen und beispielsweise den CO2-Rechner fest in Produktionskalkulationen implementieren. Mithilfe des Tools können Produzenten am Ende jeder Berechnung sofort sehen, wie „grün“ ihre geplante Produktion ist.
Erfreut zeigt sich die Branchenkennerin darüber, dass die RTL-Mediengruppe in Köln eine ähnliche Richtung eingeschlagen und im Herbst die Position des Directors Sustainability eingerichtet hat. Kümmel: „Nachhaltigkeit ist kein Thema, bei dem man sich Konkurrenz macht. Im Gegenteil. Klima, Umweltschutz oder Diversität brauchen viele Unterstützer. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir uns noch mehr zu branchenübergreifenden Initiativen zusammenfinden.“