"In 18 Jahren bin ich noch nie zu spät gekommen, weil ich immer rechtzeitig losgefahren bin", sagt Dieter Bohlen an diesem Freitagvormittag. Es sollte nur wenige Minuten dauern, bis Deutschlands oberster Castingdirektor im knallgelben Camp-David-Hoodie die erste Spitze gegen seinen neuen Jury-Kollegen Michael Wendler setzt. Der hatte es nämlich nur mit Verspätung zum Pressetermin geschafft, den RTL auf jenem modernen Schiff verortete, das Corona-bedingt als Schauplatz für die Castings der neuen Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" dient.
Deren Ausstrahlung plant der Kölner Sender Anfang kommenden Jahres. Wann genau, sagt Unterhaltungschef Kai Sturm, wisse er selbst noch nicht. Auch zur Zahl der Liveshows gibt es bislang keine Entscheidung. Sicher ist dagegen, dass Dieter Bohlen seine neuen Jury-Kollegen kritisch beäugt. Im Frühjahr, als Xavier Naidoo für RTL endgültig untragbar geworden war, hatte sich Bohlen, angesprochen auf einen möglichen Einstieg des Schlagerbarden, noch zu einer hämischen Bemerkung hinreißen lassen. "Was soll der denn in der 'DSDS'-Jury?", fragte er damals auf seinem Instagram-Kanal - nicht ahnend, dass Wendler nur wenige Monate später tatsächlich in der Jury sitzen würde.
Darauf angesprochen, versucht Bohlen die Aussage am Freitag etwas herunterzuspielen. Er habe gesagt, Wendler würde niemals neben ihm sitzen, stellt er klar und gibt den Unschuldsengel, schließlich hat RTL zwischen ihn und Wendler noch Maite Kelly und den jungen Chartstürmer Mike Singer platziert. "Also", sagt Bohlen zufrieden, "ich habe mein Wort gehalten." Daraus, dass er dennoch lieber zusammen mit guten Bekannten über den Rhein geschippert wäre, macht der "Pop-Titan" keinen Hehl. Gleichzeitig zeigt der Entschluss von RTL und UFA, ihm die drei Neuzugänge offensichtlich mehr oder weniger vor die Nase zu setzen: Es geht zwar noch nicht ohne Bohlen, aber vieles wird inzwischen ohne ihn entschieden.
An Selbstbewusstsein mangelt es dem 66-Jährigen trotzdem nicht. Als ein Journalist von ihm wissen möchte, was das Erfolgsgeheimnis von "Deutschland sucht den Superstar" ist, muss Dieter Bohlen nicht lange überlegen. "Ich glaube: Ich", prahlt er und holt alsdann zum Monolog aus. Viele Ideen von "DSDS" seien von ihm, auch wenn 99 Prozent seiner Vorschläge abgeschmettert würden. "Ich bin vielleicht nicht der Schlaueste, nicht der Kreativste, aber der Fleißigste." Und überhaupt sei die Show nach all den Jahren nur deshalb noch hier, "weil ich mir echt Mühe gegeben habe", fabuliert der Musikproduzent. Dass er danach noch pflichtgemäß das Team würdigt, geht bei so viel Eigenlob beinahe unter.
Schlagerstars und Rheinromantik
Wo er schon mal dabei ist, bekommt natürlich auch die Konkurrenz noch einen Seitenhieb verpasst. "Bei allen anderen Formaten ist es so, dass die Gewinner danach Taxi fahren als Belohnung", ätzt Bohlen. "Wir machen dagegen immer noch Nummer Einsen." Das liegt freilich auch daran, dass die Castingshow eigentlich längst in "Deutschland sucht den Schlagerstar" umbenannt werden müsste. Fast scheint es, als hätten die Macher entnervt aufgegeben, ihre Siegerinnen und Sieger in die Heavy Rotation der Popradios zu bringen. Auftritte bei Silbereisen und Kiewel sind im Zweifel erfolgversprechender, weil deren Zielgruppe noch Platten kauft.
Irgendwann lässt sich Bohlen sogar zu der Aussage hinreißen, dass Corona "einige Vorteile" hatte. Tatsächlich wäre "Deutschland sucht den Superstar" ohne die Krise wohl kaum auf einem Schiff gelandet. Kurios ist jedoch, dass Bohlen selbst die wachsende Zahl der Arbeitslosen als Glücksfall betrachtet, schließlich hätten sich erst dadurch viele Menschen wieder an ihre Liebe zur Musik erinnert. "Da geht's ja um was", schwärmt er über all die arbeitslosen Sängerinnen und Sänger, die in den vergangenen Tagen an Bord gegangen sind, um ihr Talent unter Beweis zu stellen. "Bei einigen hatte ich das Gefühl, dass sie um ihr Leben singen."
Nach fast einer Stunde ist die große Bohlen-Show vor der Presse beendet und fast wäre unbemerkt geblieben, dass Michael Wendler irgendwann doch noch das Schiff betrat. Seine Bedenken, sagt er zwischendurch, hätten sich "echt in Luft aufgelöst" und es sei "nicht ein einziges böses Wort verloren worden". Letztlich bleibt Wendler an diesem Vormittag ebenso blass wie Maite Kelly, die von "unglaublichen Magic Moments" spricht, und Mike Singer, der wie ein Lehrling wirkt und ohnehin alles "super spannend" findet.
Keiner der Juroren versprüht auch nur ansatzweise so viel gute Laune wie Dieter Bohlen. Aus gutem Grund, wird er während der zweiwöchigen Kreuzfahrt doch schnell bemerkt haben, dass seine neuen Mitstreiter ihm so schnell nicht den Rang ablaufen werden.