Das Oktoberfest 2020 ist wegen des Coronavirus abgesagt worden. Ganz auf die Wiesn verzichten müssen die Menschen allerdings nicht. Zeitsprung Pictures und Violet Pictures haben für Das Erste die sechsteilige Eventserie "Oktoberfest 1900" produziert, die nun noch vor der TV-Ausstrahlung in der Mediathek zu sehen ist. Einen gleichwertigen Ersatz für die Wiesn ist die Serie zwar nicht, sie liefert aber einen faszinierenden Einblick in die Anfänge des heute größten Volksfests der Welt.
Wobei das Wort "Anfänge" in diesem Zusammenhang relativ ist: Das Oktoberfest gibt es bereits seit 1810, aber erst um 1900 entwickelte es sich zu dem großen Fest, das es heute ist. Damals waren die Wiesn nicht nur ein Bierfest, sondern auch eine Art Weltausstellung. Präsentiert wurden dort technische Neuerungen, gleichzeitig sind auch, und das ist heute wohl in großen Teilen der Bevölkerung unbekannt, Völkerschauen veranstaltet worden. Auch darum geht es in "Oktoberfest 1900", im Mittelpunkt steht aber der Nürnberger Großbrauer und Gastronom Curt Prank (Mišel Matičević), der sich über Strohmänner fünf nebeneinanderliegende Bierbuden-Plätze sichert, um dort eine große Bierburg für 6.000 Menschen zu errichten. Das drängt andere, kleinere Traditionsbrauereien an den Rande der Existenz.
Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten. In der Realität hieß der Nürnberger Wirt Georg Lang und plante, ebenso wie Prank in der Serie, eine große Bierburg als Revolution auf dem Oktoberfest. "Der hat das Oktoberfest zu der Geldmaschine gemacht, die es heute noch ist", sagt Produzent Michael Souvignier von Zeitsprung Pictures im Gespräch mit DWDL.de. "Den ganzen Machtkampf, den wir erzählen, hat es wohl in so ähnlicher Form gegeben." Neben Matičević sind in weiteren Rollen noch Martina Gedeck, Francis Fulton-Smith, Klaus Steinbacher oder auch Mercedes Müller zu sehen.
"Das war, als würde man auf Gold stoßen"
Als die Serie noch in einem sehr frühen Stadium war, sah sich Souvignier zusammen mit Alexis von Wittgenstein von Violet Pictures die gesamte Geschichte der Wiesn an. "Die Recherche über das Oktoberfest war sehr ergiebig. Das war, als würde man auf Gold stoßen", sagt Sovignier. Alexis von Wittgenstein ergänzt: "Als wir mit den Recherchen gestartet sind, haben mich viele Sachen baff gemacht. Ich bin zwar in München geboren und aufgewachsen, aber über vieles wusste ich einfach nicht Bescheid." Am meisten habe ihn die Tatsache überrascht, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier in München damals bei fünf Litern täglich lag. "Man hat dann eine Flugschrift herausgegeben mit der Bitte, dass Schwangere doch bitte ihren Konsum auf einen Liter pro Tag begrenzen sollen. Bier war damals im armen Teil der Bevölkerung ein Nahrungsmittel-Ersatz."
Als federführender Sender der ARD saß der BR mit im Boot. Bettina Ricklefs, Programmbereichsleiterin Spiel-Film-Serie beim BR, sagt gegenüber DWDL.de, mit der Serie wolle man auch zeigen, wie stark sich das Oktoberfest damals kommerzialisiert hat. "Was wir nicht wollten, war ein Abfilmen von Trachtenumzügen und Blaskapellen, sondern wir wollten einen modern erzählten Serienkosmos erschaffen." Herausgekommen ist dabei eine opulent inszenierte Serie, bei der die Verantwortlichen viel Liebe in Set und Kostüme gesteckt haben, um das Oktoberfest aus dem Jahre 1900 möglichst genau wiederaufleben zu lassen. Bei dem düster-bedeutungsschwangeren Sound am Beginn der ersten Folge könnte man noch den Eindruck bekommen, man sei versehentlich in einen "Harry Potter"-Film geraten. Wenn die Protagonisten dann aber im bayerischen Dialekt loslegen, weiß der geneigte Zuschauer direkt wieder, wo er gelandet ist.
Gedreht wurde bereits im vergangenen Jahr in NRW, Bayern und Prag, wobei die Oktoberfest-Szenen in der tschechischen Hauptstadt entstanden sind. Corona hatte auf die Serie keine Auswirkungen. Aber natürlich sollte die Ausstrahlung jetzt rund um das Oktoberfest stattfinden. "Vielleicht ist die Serie für die, die sich auf das Oktoberfest gefreut haben, ein kleiner Ersatz", sagt Alexis von Wittgenstein. Gleichzeitig verweist der Produzent darauf, dass an dem Oktoberfest Existenzen hängen. Die haben es durch den Ausfall in diesem Jahr jedenfalls nicht leichter.
Wiesn-Wirte gehen auf die Barrikaden
Viele Freunde haben sich ARD und die Produzenten unter den Wiesn-Wirten mit der Serie allem Anschein nach aber nicht gemacht. Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner und die Wirte-Sprecher Peter Inselkammer und Christian Schottenhamel ließen via "Bild" wissen: "Ein Oktoberfest nur auf ein machtbesessenes Milieu zurückzudrehen, um Publikum zu generieren, ist total daneben und unverfroren. Es hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun." Die Wirte ärgern sich über die aus ihrer Sicht negative Darstellung in der Serie. Michael Souvignier erklärte dazu bereits, dass es sich um eine fiktionale Serie handele und die Zuschauer sicher unterscheiden könnten zwischen Fiktion und Realität.
Den Wiesn-Verantwortlichen muss man den Unterschied zwischen Fiktion und Realität offenbar noch erklären. Oder dass der BR nicht ihr Haus- und Hofsender ist, so wie sie ihn offenbar sehen. Und es könnte für sie sogar noch dicker kommen: Bettina Ricklefs sagt gegenüber DWDL.de, dass man gedanklich bereits an einer Weiterentwicklung von "Oktoberfest 1900" arbeite. "Wir arbeiten natürlich an Konzepten, wie eine zweite Staffel aussehen könnte", sagt sie. Letztlich werden aber die Zuschauer entscheiden, ob es weiter geht oder nicht. An Ideen für eine Fortsetzung, daran sind sich Produzenten und Sender-Verantwortliche sicher, mangelt es nicht.
"Oktoberfest 1900" ist seit dem 8. September in der ARD-Mediathek zu sehen, dort bleibt die Serie bis Ende 2020 verfügbar. Das Erste zeigt die sechs Folgen am 15. und 16. September sowie am 23. September jeweils um 20:15 Uhr. International wird die Serie ab dem 1. Oktober bei Netflix laufen.