Es gibt kaum ein TV-Format, in dem die Menschenverachtung der Macher so sehr zur Schau gestellt wurde. "Schwiegertochter gesucht" hat in den letzten Jahren immer wieder für Kritik gesorgt. In der Sendung haben RTL und Warner Bros. Menschen bloßgestellt, die es nicht besser wussten und auf der Suche nach ein bisschen Aufmerksamkeit und der großen Liebe waren. Statt das ernst zu nehmen, hat man sie mit Hohn und Spott übergossen - und das immer unter dem Deckmantel der vorgetäuschten Ernsthaftigkeit. Wie es bei der Produktion tatsächlich zugeht, ist spätestens seit 2016 bekannt. Damals schleusten Jan Böhmermann und die btf einen Kandidaten in die Sendung - der musste sogar schriftlich bestätigen, dass er nicht geistig behindert ist.
Nein, ein Ruhmesblatt war diese Sendung im RTL-Programm noch nie. Doch mit neuen Personen in Verantwortungsbereichen folgt nun der große Umbau. Kai Sturm leitet seit Anfang 2019 gemeinsam mit Markus Küttner die RTL-Unterhaltung - und Sturm hat das Format nun einmal auf links gedreht. Dazu gehört nicht nur ein leicht überarbeiteter Look und ein Intro auf Speed, es sind vor allem die inhaltlichen Veränderungen, die den Unterschied ausmachen.
RTL und Warner Bros. haben nicht nur die Alliterationen gestrichen, die in den vergangenen Jahren ja zum Großteil auch nur dazu dienten, sich über die Kandidaten lustig zu machen. Tatsächlich geht man die Sache mit den neuen Folgen deutlich ernster an. Hier haben die Macher Schrauben, die in den vergangenen Jahren zu sehr angezogen wurden, spürbar zurückgedreht. Alle Kandidaten können sich vernünftig artikulieren, was für "Schwiegertochter gesucht"-Verhältnisse keine Selbstverständlichkeit ist.
Badesalz, Badeschwamm & Bloßstellungen
Dass RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm im Februar noch extra betonen musste, dass in der neuen Staffel auch ein Kandidat dabei ist, der "super aussieht und ein toller Typ ist", sagt einiges über die Kandidatenauswahl der vergangenen Jahre. Das soll aber nicht heißen, dass "Schwiegertochter gesucht" im Jahr 2020 eine Art gehobenes Kuppelfernsehen ist. Es gibt sie noch, die Fremdscham-Momente. Etwa dann, wenn drei potenzielle Schwiegertöchter dem jungen Meik ein Geburtstagsständchen singen oder Heiko und Helga sich gegenseitig Badesalz, Badeschwamm, Kochlöffel und Engel schenken. Das ist hier und da immer noch befremdlich, von den Bloßstellungen früherer Tage ist man damit aber weit entfernt. Die Kandidaten werden nicht mehr gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben.
Überlebt hat die Neuaufstellung ausgerechnet Vera Int-Veen. Sie stand in den vergangenen Jahren wie keine andere für die Verachtung, die die Macher der Sendung, also auch sie selbst, den Kandidaten entgegenbrachten. 2010 rechtfertigte sich die Moderatorin in einer Talkshow gegen Kritik an der Sendung und erklärte, die Kandidaten wüssten worauf sie sich einlassen - und alles sei eben so, wie man es zeige. Das war zumindest sechs Jahre später, als Böhmermann den Fake-Kandidaten einschleuste, nachweislich nicht so. Dass nun ausgerechnet diese Vera Int-Veen dabei ist, wenn die Sendung "authentischer" werden soll, hinterlässt einen faden Beigeschmack.
Neustart - aber Vera ist weiter mit dabei
Dennoch hat sich auch die Rolle der Moderatorin verändert. Sie fungiert inzwischen nicht mehr als Off-Sprecherin, diesen Part übernimmt nun ein Mann. Vera konzentriert sich auf die Interaktion mit den Kandidaten. Das nimmt teilweise kuriose Züge an. Etwa dann, wenn sie mit einer der Frauen in einem Boot sitzt, um diese zu Kandidat Philipp zu bringen. Fast könnte man annehmen, als nächstes heuert sie beim "Traumschiff" an - und im Hintergrund läuft, daran hat sich bei "Schwiegertochter gesucht" auch 2020 nichts geändert, irgendein schnulziger Take-That-Song. Bei einem anderen Kandidaten heißt es, Vera würde die Frauen "standesgemäß" abholen. Standesgemäß bedeutet in diesem Fall: In einem Sightseeing-Bus in Budapest, später geht es im VW-Bulli an den Balaton. Das Narrativ, Vera würde nun alles selbst orchestrieren und eine Art Liebes-Botschafterin sein, funktioniert nach den Erfahrungen in den vergangenen Jahren jedenfalls nicht annähernd so gut wie beispielsweise mit Inka Bause bei "Bauer sucht Frau".
Ob ein Neuanfang mit dieser Konstellation gelingt, muss sich zeigen. In jedem Fall ist es mutig von RTL, so sehr an einem etablierten Format zu schrauben. Denn auch wenn die Quoten zuletzt zurückgingen, auch 2019 sahen im Schnitt noch mehr als drei Millionen Menschen zu. Ob es in der Primetime ebenfalls so viele sein werden? Künftig läuft "Schwiegertochter gesucht" ja nicht mehr am Sonntagvorabend, sondern immer dienstags um 20:15 Uhr. Auch das ist kein Selbstläufer, erst recht nicht mit den Veränderungen im Rücken.
Vergrault man die treuen Fans?
Der Relaunch birgt einige Gefahren. So ist anzunehmen, dass den treuen Zuschauern aus der Vergangenheit das neue "Schwiegertochter gesucht" zu harmlos ist - und sie deshalb nicht mehr einschalten. Darüber hinaus ist es eine Herkulesaufgabe, den anderen Zuschauern verständlich zu machen, dass es sich hier um ein Format handelt, dass mit dem aus den letzten Jahren nicht mehr viel gemeinsam hat. Viele von ihnen dürften wohl davon ausgehen, dass sich lediglich der Sendeplatz geändert hat. Und so wird es eine entscheidende Staffel für "Schwiegertochter gesucht": Gelingt der neue Anlauf oder war es wirklich die Menschenverachtung, die das Format so lange erfolgreich gemacht hat? Eins ist jedenfalls sicher: Die altbackenen Alliterationen vermisst niemand.
RTL zeigt die neue Staffel von "Schwiegertochter gesucht" ab sofort immer dienstags ab 20:15 Uhr.