Seit Juni ist Hanna Herbst als Chefin vom Dienst verantwortlich für die journalistischen Inhalte in Jan Böhmermanns neuer Show, die irgendwann im Herbst im ZDF-Hauptprogramm starten soll. Und obwohl noch keine einzige Sendeminute des "Neo Magazin Royale"-Nachfolgers produziert ist und die frisch aus Wien zugezogene Journalistin sich noch in der Phase des Ankommens befindet, hat sie es zumindest schon mal in der Twitteria auch nördlich der Alpen zu Ruhm gebracht. Ein harmloser Herbst-Witz vorige Woche über ein Pappschild, das FDP-Chef Christian Lindner in Solidarität für Hongkongs Oppositionelle hochhält ("We Stand With Hongkong"), brachte zuerst Lindners Internetkamarilla samt der üblichen "Nicht mit meinen Zwangsgebühren"-Riege in Rage, dann die Angegriffene selbst ("menschenverachtende Partei"). Die Sache eskalierte. Resultat: @HHumorlos alias Hanna Herbst machte ihren Account mit 55.000 Followern öffentlich zeitweise dicht.
Das war ein erstes heftiges Willkommen in Deutschland für eine Frau, die von sich sagt, sie sei, auch wenn man das vielleicht nicht glaube, "sehr harmoniebedürftig", und der das Lob vorauseilt, im österreichischen Journalismus komme man nicht an ihr vorbei. Wer ist also diese Hanna Herbst, an der auch Jan Böhmermann nicht vorbeikam?
Bei unserem Skype-Gespräch ist ihr jüngster Rumble in the Social Media Jungle noch fern. Sie schwebe gerade auf einer "Köln-Wolke". Seit bekannt wurde, dass sie für Böhmermann arbeite, sei alles "so überraschend wohlwollend". Die Stadt habe ihr einen guten Start geboten – "abgesehen von den Behörden und dem unfassbar schwierigen Wohnungsmarkt". Bereits im Januar ging die Suche los. Mit ihrem Lebensgefährten, dem Dramatiker Leon Engler, haust sie derzeit noch in fremdem Mobiliar – die Österreicher haben in der Corona-Zeit zwar ihre Grenzen für Menschen wieder durchlässig gemacht, jedoch nicht für den Transportwagen der Herbsts.
Ein weit größeres Abenteuer als der Umzug liegt wenige Tage zurück und ist bei Hanna Herbst noch lebendig: der Bachmannpreis. Mit dem Prosa-Debüt "Es wird einmal", einer Geschichte, die den Abschied von einer Vaterfigur feiert, schaffte es die Teilzeit-Literatin in diesem Juni bis in die letzte Runde des berühmten Wettlesens von Klagenfurt. Wie es für sie war? "Oh Gott", habe sie zwischendurch gedacht, "warum habe ich das getan? Warum habe ich euch meinen Text wie Schakalen zum Fraß vorgeworfen?" Doch die Selbstzweifel waren im nächsten Moment verflogen. "Wenn, dann richtig starten als Schriftstellerin und nicht nur so ein bisschen."
"Schakale" brauchte Hanna Herbst nicht zu fürchten. Jury und Kritik waren überwiegend angetan von ihrer Performance bei den 44. Tagen der deutschsprachigen Literatur. Insbesondere auch von dem Videoporträt "Herbstmanöver", das sie und Leon Engler selbstgedreht haben. Das dazugehörige Lied, von ihr mit Versen voller Selbstironie selbst und gut eingesungen, wurde zu ihrem Erstaunen über den Tag des Bachmannpreises hinaus in den österreichischen Radios gespielt. Um sich nun aber in ein John-Irving-Leben zu romantisieren, wo ein Roman sieben Jahre auf einer einsamen Insel vor sich hin wachsen darf, dafür ist Hanna Herbst dann doch zu sehr Realistin – und zu sehr Journalistin.
Foto: Ingo Pertramer
Anfang Juni wurde sie, die in Mainz geboren und mit acht von den Eltern nach Salzburg verbracht wurde, 30 und ist doch schon ein ausgebuffter Medienprofi. Ihr Motto offenbar auch in diesem Metier: Wenn, dann richtig starten als Journalistin und nicht nur so ein bisschen. Binnen zwei Jahren arbeitete sie sich von der Praktikantin zur stellvertretenden Chefredakteurin von "VICE Österreich" hoch, wo sie die Politik- und Videoberichterstattung verantwortete. 25 war sie da und schon mit ersten Preisen aus der Branche bedacht. Ihre Themen sind in der Wikipedia-Kurzfassung: Rechtsextremismus, Sexismus, Rassismus, Menschenrechte.
Die thematische Überschneidung mit ihrem neuen Chef, der sich spätestens seit der Auseinandersetzung um sein Erdogan-Gedicht stark politisiert hat, ist also groß. Oder mit Hanna Herbsts eigenen Worten formuliert: "Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem politischen Verständnis der Sendung im ZDF sehr nahe bin, somit auch Jan Böhmermann."
"Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem politischen Verständnis der Sendung im ZDF sehr nahe bin, somit auch Jan Böhmermann."
Böhmermann, Böhmermann, Böhmermann – die Fixierung der Außenwelt auf ihren Gönner aus Köln-Ehrenfeld findet Hanna Herbst "schwierig". Es sei "ein interessanter Job und ein tolles Team", worauf sie sich da freue. "Das ist nicht an Jan Böhmermann festgemacht", sagt sie über ihren Sprung aus dem "Germknödelland" in den attraktiveren deutschen Medienmarkt. Man sei bestimmt schon die fünfzehnte, die offiziell wissen wolle, wie Böhmermann und sie beruflich zueinander gefunden hätten. Eine "wirklich unspektakuläre Geschichte" sei das, winkt sie genervt ab. Beide seien im Internet aktiv und der eine habe sich ja schon immer für Österreich interessiert. "Man weiß voneinander, dass man existiert." Punkt.
Ein Rückblick auf Hanna Herbsts Vor-Existenz in der Alpenrepublik lässt erahnen: Nein, leicht und bequem hat sie es sich und den Ösis nicht gemacht und vice versa. Die FPÖ-nahe Presse, vulgo der "Wochenblick", überzog die junge Vize-Chefredakteurin des eher links-orientierten Online-Magazins mit Tiraden und Titulierungen der Sorte "Hass-Hanna", wahlweise auch "hübsche Hass-Hanna". Und das zu einer Zeit, als der damalige Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache fest im Sattel saß und sich angesichts einer ominösen russischen Oligarchin vor versteckter Kamera zu Medienallmachtphantasien verstieg. Straches "Ibiza-Gate" im Mai 2019 erlebte Hanna Herbst gleichwohl nur aus der Distanz.
Im August zuvor hatte sie bei "VICE" mitsamt der Redaktion gekündigt, weil sie die von der Zentrale in Berlin geplanten Umstrukturierungen nicht mittragen wollte. Mit 28 einen festen Job freiwillig aufgeben, das spricht für Leichtsinn oder kompromisslose "Ihr könnt mich mal"-Attitüde. Die darauffolgende einjährige "Bildungskarenz" – eine Art staatlich gefördertes Sabbatical, das es so nur in Österreich gibt – verbrachte sie in Indonesien. Sie lernte Sprachen ("Selamat Siang!"). Und sie schrieb nebenbei "Postkarten" mit "Bussis aus der Ferne", in denen sie ihre Beobachtungen der österreichischen Politik mit den Lesern des Online-Magazins "Moment" teilte. "Post von Hanna" erhielt übrigens auch ein gewisser "Lieber Heinz-Christian", dem sie Tipps für einen "würdigen Rückzug" gab.
Ein Talent für spitzen Witz kann man Hanna Herbst nicht absprechen, auch wenn ihr merkwürdiges, aus einer Unüberlegtheit entstandenes, alliterierendes Twitter-Alias @HHumorlos anderes suggeriert. Auf die Unterschiede der Humorwelten dies- und jenseits der Alpen angesprochen, antwortet Herbst, dass ihr der österreichische Humor schon sehr entspreche. Er habe eine "so viel feinere Klinge" als der deutsche: "Das geht manchmal so tief unter die Gürtellinie, im Besten wie im Schlimmsten. Ein richtiger Spaß." Wenn sie dagegen an deutschen Humor denkt, fallen ihr erstmal Mario Barth und Dieter Nuhr ein: "Überhaupt nicht lustig." Nach einer Autorisierungsrunde Überlegen zählt sie dann doch noch "sehr lustige Deutsche" auf, Helge Schneider zum Beispiel "und natürlich auch das 'Neo Magazin'".
Hanna Herbst kann aber auch ganz schön unlustig. Laut und fordernd, eine angry young woman, zumal wenn es gegen Sexisten, Frauenbelästiger und Me Too-Kritiker geht. Ihr Gerechtigkeitsempfinden sei "stark ausgeprägt", erklärt sie. "Wenn ich Strukturen nicht gutheiße, dann sage ich das auch." So stritt sie auf dem Höhepunkt des Weinstein-Skandals mit der in Österreich fast wie eine Nationalheilige verehrten Schauspielerin und Männerversteherin Nina Proll ("Vorstadtweiber", ORF/ARD) live im Privat-TV Puls 4. Der Chefredakteur der "Wiener Zeitung", Reinhard Göweil, musste seinen Hut nehmen, nachdem auch Herbst ihre Recherchen zu Belästigungsvorwürfen gegen ihn publik gemacht hatte. Im Jahr drauf, 2018, initiierte sie das Frauenvolksbegehren mit und brachte ihr sehr ernstes Buch "Feministin sagt man nicht" (Brandstätter) heraus, das sie "vor allem für junge Frauen und Männer" geschrieben hat, die sich bisher noch nicht mit dem Thema Feminismus beschäftigt haben.
Ob es Jan Böhmermann gelesen hat? Sie weiß es nicht. Egal. Schon stänkerten sie nach Bekanntwerden des ZDF-Deals in den österreichischen Foren, Böhmermann habe sich da einen "feministischen Aufpasswauwau" geholt. "Ziemlich schwierig" stellte sich einer "die Arbeit zwischen Pimmelwitz-Böhmermann (…) und Feministin Herbst" vor: "Wird wohl etwa so harmonisch werden wie zwischen Harald Schmidt und Oliver Pocher."
Diese Ego-Paarung, als Late Night "Schmidt & Pocher" im Oktober 2007 im Ersten auf Sendung gegangen, war bekanntlich nicht von Dauer. An diesem Vergleich ist allerdings einiges falsch. So drängt es Hanna Herbst mitnichten vor die Kamera, auch wenn sie Talent und – Vorsicht, das könnte sexistisch rüberkommen – Optik dazu hätte. (Ein Stadtmagazin wählte Herbst 2015, neben Mavie Hörbiger und Gabalier-Ex Silvia Schneider, zu den "18 schönsten Frauen Wiens"). Aber nein und ausgeschlossen: Lieber fiele sie tot um, als das Rampenlicht zu suchen, sagt Herbst. "Nicht mal Posaune halten im Hintergrund kommt für mich infrage." Es sei sowieso nie über eine Kamerapräsenz gesprochen worden.
"Wenn es die Message übermittelt, ist gegen einen Penis-Witz nichts einzuwenden"
Außerdem, fährt sie fort: Wenn sie das Gefühl hätte, die Sendung oder Jan Böhmermann wären sexistisch, hätte sie dort nie angefangen zu arbeiten. Bis jetzt habe sie das betriebliche Miteinander "als sehr wertschätzend" empfunden. Im Übrigen: "Der Feminismus geht nicht per se gegen Penis-Witze. Wenn es die Message übermittelt, ist gegen einen Penis-Witz nichts einzuwenden."
Jan Böhmermann, dem im bisherigen "Neo Magazin Royale" auf ZDFneo immer wieder Neues zu Klöten, Pimmeln und Eiern aus Stahl eingefallen ist, erreicht dieser Herbst-Flausch derzeit im Urlaub. Erst ab August geht die Arbeit konzentriert los an der ZDF-Sendung, die noch keinen offiziell bestätigten Namen hat und von der auch unklar ist, wer sie produziert. Dann wird auch Herbsts vertraglich geregelte Kapazität als CvD von 70 auf 100 Prozent hochgeschraubt.
Das Schweigegelübde, das sich das Team Böhmermann bezüglich der neuen Show auferlegt hat, es gilt auch für Hanna Herbst. Ob sie bei der btf angestellt ist oder bei dieser geheimnisvollen Produktionsfirma "Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld", die Jan Böhmermann mit der ZDF-Tochter Gruppe 5 gegründet haben soll? Ob die Sendung tatsächlich "ZDF-Magazin" heißen wird, in Anlehnung an den bis in die tiefschwarze Wolle gefärbten Moderator Gerhard Löwenthal ("Die Milch wird sauer, das Bier wird schal, im Fernsehen läuft der Löwenthal")? Ob sie den von "Neo Magazin Royale" zuletzt mit #Hohenzollern oder #coinmaster eingeschlagenen investigativeren Kurs fortführen werden? Dazu möchte Hanna Herbst wenig bis gar nichts sagen. Es werde noch geplant und überlegt.
Was fix ist: Drei offene Stellen sind zu besetzen, zwei davon für den journalistischen Bereich, den Hanna Herbst leitet. Zumindest dieses Detail ist ihr zu entlocken: "Die Leute, die bisher bei Jan Böhmermann für die Unterhaltung zuständig waren, sind weiter dabei." Deswegen habe sie keine Zweifel, "dass die Sendung weiterhin lustig sein wird". Ebenso wenig zweifelt sie daran, dass sich das mit dem "überraschenden Wohlwollen" ihr gegenüber ändern wird, "wenn die Sendung losgeht und wir ein paar Leuten auf die Füße treten. Darauf bin ich eingestellt".
Wie es ist, sich mit der FDP anzulegen, das weiß sie jedenfalls schon.