Es ist schon paradox: Gefühlt ist ProSieben ein großer Gewinner der zurückliegenden Saison - man denke nur an Hits wie "The Masked Singer" oder "Germany's next Topmodel". Doch in der Quoten-Entwicklung spiegelt sich das nicht wider: In acht von neun Monaten lag der Sender unter dem Wert des Vorjahresmonats - und in keinem einzigen gelang in der Zielgruppe der Sprung in die Zweistelligkeit. Letzteres schaffte ProSieben in der Vor-Saison immerhin noch in drei Monaten. Um die Gründe für das unterm Strich eher ernüchternde Abschneiden zu finden, muss man einen Blick auf das Fundament werfen, die Fiction.
Jahrelang konnte sich ProSieben auf seine US-Serien verlassen, doch spätestens nach dem Aus von "The Big Bang Theory" ist damit endgültig Schluss. Ohne den quotenstarken Vorlauf tut sich selbst das Spin-Off "Young Sheldon" mit bisweilen einstelligen Marktanteilen schwer - ganz zu schweigen von den "Simpsons", die ihre besten Zeiten in der Primetime hinter sich haben und mittlerweile mit mageren Quoten im Sommerprogramm versendet werden. Mittwochs funktioniert allein "Grey's Anatomy" noch ordentlich, doch danach brechen die Marktanteile Woche für Woche regelrecht ein.
Dazu kommt die Daytime, die ProSieben über viele Jahre hinweg mit unzähligen Wiederholungen Traumwerte bescherte. Doch das System funktioniert zunehmend schlechter: Für "The Big Bang Theory" ging es hier binnen Jahresfrist um eineinhalb Prozentpunkte nach unten, "Two and a half Men" fiel gar von mehr als 13 auf nur noch 10,5 Prozent. Am Vorabend wiederum mussten die "Simpsons" Verluste hinnehmen. Das alles sind Zahlen, mit denen man in Unterföhring freilich gut leben kann - und doch fehlen diese Prozentpunkte letztlich, um in der Endabrechnung auch mal wieder in der Zweistelligkeit zu landen.
Wie gut, dass sich ProSieben tagsüber auf seine Magazine verlassen kann, allen voran "taff", das sich trotz des schwächeren Umfelds weiter in glänzender Verfassung präsentiert und regelmäßig mehr als 13 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen erzielt. Hier, aber erst recht in der Primetime wird deutlich, dass eigene Inhalte für den Sender wichtiger geworden sind. "Mehr ProSieben von ProSieben auf ProSieben", die von Senderchef Daniel Rosemann ausgegebene Parole, erweist sich als richtige Strategie - und führte sogar dazu, dass ProSieben im April sogar Primetime-Marktführer war.
Der Grund dafür ist schnell gefunden: Neben den "Topmodels", die noch einmal besser lief als in den Jahren zuvor, ist es ProSieben gelungen, mit "The Masked Singer" einen weiteren Hit zu etablieren, der eben nicht nur im Sommer funktioniert, sondern auch im hart umkämpften Frühjahr. Mehr als fünf Millionen Zuschauer und fast 37 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe belegten beim Finale noch einmal eindrucksvoll die Stärke der Musik-Rateshow. Doch auch abseits davon mangelt es ProSieben nicht an Show-Erfolgen: Auf "The Voice", "Schlag den Star", "Joko und Klaas gegen ProSieben" oder "Das Duell um die Welt" kann sich der Sender regelmäßig verlassen.
Eigenproduzierte Fiction trifft nicht den Nerv
Tatsächlich dürfte ProSieben in der zurückliegenden Saison so viele Shows auf so vielen Sendeplätzen wie noch nie gezeigt haben - demnächst soll es die neue "Herz! Schlag! Show!" aus Ermangelung an US-Fiction gar am Montagabend richten. Doch selbst all diese Erfolge halfen letztlich nicht, um ProSieben unterm Strich nach vorne zu bringen. Das hängt auch damit zusammen, dass eben nicht alles funktionierte. Während man mit "Wer schläft verliert" noch einen überraschenden Erfolg feierte, gingen "Renn zur Million... wenn du kannst", "Die Liveshow bei dir zuhause", "Alle gegen Einen" und "Schlag den Besten" baden.
Dazu kommt, dass "Das Ding des Jahres" in der dritten Staffel einbrach und auch die vielfach gelobte Suche nach der "Queen of Drags" ein eher kleines Publikum ansprach. Im Bereich der fiktionalen Eigenproduktionen erwiesen sich "Check Check" und "Frau Jordan stellt gleich" zur besten Sendezeit nicht als wettbewerbsfähig und auch die beiden Spielfilme "Schattenmoor" und "9 Tage wach" erzielten bei den 14- bis 49-Jährigen nur einstellige Marktanteile. Ganz offensichtlich trifft ProSieben hier noch nicht so recht den Nerv seines Publikums - ein klarer Arbeitsauftrag mit Blick auf die kommende Saison.
Potenzial besteht indes auch am späten Abend, wo es ProSieben schaffte, mit "1:30" und "Balls" zwei Shows zu etablieren, die als Anhängel an erfolgreiche Formate gut funktionierten. Bei "Late Night Berlin" wiederum fällt das Fazit durchwachsen aus: Die Quoten der Show mit Klaas Heufer-Umlauf entwickelten sich eigentlich gut und lagen immer häufiger im zweistelligen Bereich - bis Corona kam. Seit Mitte März tat sich "Late Night Berlin" zunehmend schwer. Dass die Sendung dennoch wichtig ist, zeigte jedoch die Nachricht, dass sie es online auf mehr Sehminuten brachte als im linearen Fernsehen - das gab's bei einer ProSieben-Eigenproduktion noch nie.
Was also bleibt von der vergangenen Saison? ProSieben ist mit seinen Eigenproduktionen stärker aufgestellt als zuvor, doch sinkende Quoten in der Daytime und bei der Fiktion werfen den Sender regelmäßig zurück. Große Veränderungen am Nachmittag sind allerdings vorerst nicht zu erwarten - am Ende muss es wohl die Primetime richten. Die Rückkehr in die Zweistelligkeit dürfte sich dadurch als schwieriges Unterfangen erweisen.