Es ist ziemlich paradox: Das lineare Fernsehen hat in den vergangenen rund zweieinhalb Monaten einen echten Reichweiten-Boost erlebt. Nicht nur die Nachrichtensendungen waren wegen der Coronakrise sehr gefragt, auch Unterhaltungsformate und fiktionale Stoffe erzielten sehr hohe Zuschauerzahlen. Im Lockdown ließ es sich offenbar gut Fernsehen schauen. Gleichzeitig klagten die TV-Vermarkter über drastische Werberückgänge. Da halfen auch die Appelle, antizyklische Buchungen würden sich langfristig auszahlen, nichts. Offenbar sind Marketing- und Werbebudget nach wie vor Posten, die in den Chefetagen vieler Unternehmen in Krisen schnell mal zusammengekürzt werden. 

Die Krise auf dem deutschen Werbemarkt lässt sich auch mit ganz konkreten Zahlen untermauern. So ist der Brutto-Werbemarkt im April tief ins Minus gerutscht. Das Fernsehen liegt laut Nielsen bei derzeit minus 4,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr - und kommt dabei noch vergleichsweise gut weg (DWDL.de berichtete). Wie hoch die tatsächlichen Verluste sind, ist kaum zu beziffern. Rabatte und Gegengeschäfte werden in den Nielsen-Zahlen wie immer nicht berücksichtigt. ProSiebenSat.1 gab zuletzt aber beispielsweise an, dass die Werbeeinnahmen alleine im April um mehr als 40 Prozent zurückgegangen sind. Die Sendergruppe hat, ebenso wie die RTL Group, ihre Jahresprognose zurückgezogen. 

Matthias Dang© Mediengruppe RTL
Inzwischen gibt es weitreichende Lockerung von den zuletzt strengen Corona-Maßnahmen. Doch welche Auswirkungen hat das auf die Werbeeinnahmen der TV-Sender? Bei den Vermarktern traut man sich nach wie vor nicht, eine Prognose abzugeben. "Darauf hätten wir auch gerne eine Antwort", sagt Matthias Dang (Foto), Geschäftsführer Vermarktung, Technologie und Daten der Mediengruppe RTL, gegenüber DWDL.de auf die Frage, wie sich der Werbemarkt in den kommenden Monaten entwickeln werde. Die Dynamik bei der Informationslage spiegele sich auch in dem täglichen Geschäft wieder, so Dang. "Wir spüren, dass mit der langsamen Rückkehr zur Normalität auch Advertiser ihre Werbeaktivitäten wieder aufnehmen." Das ist derzeit aber offenbar nur ein vorsichtiges Herantasten und kein großes Comeback. 


Thomas Wagner© ProSiebenSat.1
SevenOne-Media-Geschäftsführer Thomas Wagner (Foto) hat vor allem die Hoffnung, dass sich die Lage zum traditionell starken Jahresende hin erholt. Das hänge aber natürlich davon ab, wie die aktuelle Öffnungs- und Erholungsphase verlaufe. Es gebe aber durchaus "erste positive Signale", sagt Wagner. So würden immer mehr Unternehmen die Chance erkennen, die "gestiegene Performance" des Fernsehens in der aktuellen Situation zu nutzen. Das heißt: Antizyklisches Werben wird nach und nach tatsächlich Realität. Ob sich das aber auch in der breiten Masse der Unternehmen durchsetzt, bleibt abzuwarten. 

Auch Öffentlich-Rechtliche betroffen

Hart getroffen hat die Coronakrise auch die Öffentlich-Rechtlichen, die zwar weiter mit den Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag planen können, denen aber die sportlichen Großereignisse fehlen. ARD-Werbung Sales & Services und ZDF Werbefernsehen hatten fest mit der Vermarktung von Fußball-EM und Olympischen Sommerspielen gerechnet. 2020 werde nun für alle ein wirtschaftlich schwieriges Jahr, sagt Uwe Esser, Geschäftsleitung TV bei AS&S, im Gespräch mit DWDL.de. Auch für die werbungtreibenden Unternehmen sei die Situation nicht leicht, weil die Krise auch dort zu Problemen geführt habe. "Das muss sich jetzt erst wieder finden. Das braucht Zeit und Vertrauen", sagt Esser, der hoffnungsvoll ist, 2020 mit einem blauen Auge davonzukommen - um dann im nächsten Jahr "wieder ein paar Gänge hochschalten" zu können. 

Hans-Joachim Strauch© ZDF Werbefernsehen/Steffen Henkel
Auch für das ZDF Werbefernsehen wäre 2020 unter normalen Umständen dank EM und Olympia eine extrem wichtiges Jahr gewesen. Das verschiebt sich nun auf das nächste Jahr - und macht 2020 schwierig. "Eine Prognose, wie sich der TV-Werbemarkt entwickeln wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr schwierig", sagt Hans-Joachim Strauch, Geschäftsführer des ZDF Werbefernsehens. Die Entwicklung würde stark davon abhängen, wie sich Gesamtwirtschaft und Konsumklima entwickeln würden, so Strauch. "Selbstverständlich gibt es aber auch Branchen, die von der aktuellen Situation profitieren, was auch positive Effekte auf Werbeeinbuchungen bei uns hat. Dazu zählt beispielsweise die E-Commerce-Branche, die ihre TV-Werbeinvestitionen im ZDF seit der Krise stark ausgebaut hat." 

Joanna Jarosz© ServusTV / Neumayr / Leo
Bei Sky Media blickt man indes wenig optimistisch auf den Sommer. Sky war in den zurückliegenden Wochen durch die Absage zahlreicher Sport-Veranstaltungen sehr vom Coronavirus getroffen. "Die zahlreichen Gespräche, die wir mit unterschiedlichen Marktteilnehmern führen, und die Prognosen lassen darauf schließen, dass sich der Werbemarkt ab September wieder etwas erholen wird", sagt Sky Media Sales-Chef Ralf Hape gegenüber DWDL.de. Das wäre rechtzeitig zum Start in die neue Bundesliga-Saison - sollte die tatsächlich stattfinden wie geplant. Der Wiedereinstieg in die aktuelle Saison habe aber auch gezeigt, dass der Werbemarkt schnell und flexibel reagiere, wenn Highlights zurückkehren, sagt Hape. Auch bei ServusTV geht man von einer schwierigen Situation in den kommenden Monaten aus. Vermarktungschefin Joanna Jarosz (Foto) sagt, man verspüre zwar eine positive Stimmung."Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass die nächsten Monate weiterhin verhalten und herausfordernd sein werden."

Neben Sky war Sport1 zuletzt auch stark getroffen von den Auswirkungen der Coronakrise. Wenn geplante Übertragungen nicht stattfinden, fehlen schließlich auch die Werbekunden. Die fehlenden Veranstaltungen machten sich zuletzt auch sehr deutlich in den Quoten des Senders bemerkbar (DWDL.de berichtete). Stefan Obstmayer, COO und Mitglied der Geschäftsleitung der Sport1 GmbH, sagt, durch erste Lockerungen und eine vorsichtige Rückkehr zur Normalität erlebe man positive Tendenzen im Werbemarkt. Durch den Wiedereinstieg der Bundesliga und den Start der Darts Superleague habe man wieder mehr Relevanz - also erhofft man sich auch wieder steigende Werbeeinnahmen. Obstmayer: "In Summe hoffen wir auf eine weiterhin leichte Verbesserung des Werbemarkts gerade mit Blick auf das werbestärkste letzte Tertial des Jahres. Klar ist aber auch: Die Krise wird uns noch länger beschäftigen."

"Wir müssen davon ausgehen, dass die nächsten Monate weiterhin verhalten und herausfordernd sein werden."
ServusTV-Vermarktungschefin Joanna Jarosz

Susanne Aigner© Discovery
Discovery-Chefin Susanne Aigner (Foto) will unterdessen keine Prognose für die nächsten Monate abgeben. Sie sagt: "Es ist noch zu früh, um zu wissen, wie sich die Corona-Krise explizit auf Jahresziele und Jahresumsätze auswirken wird. Das hängt stark davon ab, ob und in welchem Maße sich die Wirtschaft im zweiten Halbjahr wieder erholen und entwickeln kann." Dieser Meinung ist man auch bei El Cartel Media. Geschäftsführer Stephan Karrer sagt, die Entwicklung des Werbemarkts hänge davon ab, wie schnell die Pandemie überwunden werden könne und wie groß die Auswirkungen auf Konjunktur und Arbeitsmarkt seien. "Wir bei El Cartel Media sind auf jedes Szenario vorbereitet", so Karrer. 

Julia Schörner© Disney
Julia Schörner (Foto), Director und Head Disney Media Sales & Partnerships, sagt gegenüber DWDL.de, die Herausforderungen in den kommenden Monaten seien "nicht von der Hand zu weisen". Dennoch habe man das Glück, sich in einem Markt zu bewegen, der sich dynamisch verhalte und viel Potenzial habe. "Ich sehe große Chancen für den TV-Sektor, die wir definitiv nutzen werden." Auch für Visoon-Chef Franjo Martinovic ist die Krise derzeit im Werbemarkt "allgegenwärtig". Man habe sich bislang aber "wirkungsvoll gegen die Krise gestimmt". Durch das diversifizierte Portfolio, Visoon vermarktet neben dem Nachrichtensender Welt unter anderem auch noch die Kanäle von Viacom, sei man gut durch den Sturm gesteuert, so Martinovic. Der Visoon-Chef verweist auch noch einmal auf gestiegene Reichweiten im TV. "Ich sehe in der aktuellen Situation daher auch eine große Chance für unsere Zukunft im TV, denn das Preis-Leistungsverhältnis und die Innovationskraft sind hervorragend."

Neben ein wenig Hoffnung herrscht bei vielen von DWDL.de befragten Vermarktern aber auch eine gehörige Portion Ungewissheit. Schon zu Beginn des Jahres erwarteten sie kein boomendes Geschäft (DWDL.de berichtete), die Coronakrise hat die Prioritäten nun völlig neu geordnet. Es geht jetzt bei vielen nur noch darum, mit einem blauen Auge durch die Krise zu kommen. Ob das gelingt, kann niemand mit Sicherheit sagen. Nachholen, da sind sich die Experten einig, werden wohl nur wenige Unternehmen die zuletzt gestrichenen Werbeausgaben. Nun gilt es, zumindest wieder das Vor-Krisen-Niveau zu erreichen. Selbst das wird keine einfache Aufgabe sein. 

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