Im Februar war die Welt in Deutschland noch in Ordnung. Das Coronavirus war irgendeine neuartige Krankheit in China, von einem Lockdown war die Republik gefühlt noch sehr weit entfernt - und fernab von alledem startete Sat.1 eine groß angelegte Operation: Die Neuauflage von "Big Brother" sollte den schwachen Vorabend endlich aufmöbeln und die Quoten im 19-Uhr-Slot steigen lassen. Dort hatte zuvor "Genial daneben - Das Quiz" über Monate hinweg schwach performt. Doch schon nach wenigen Tagen zeigte sich: Dieser Weg wird kein leichter sein, "Big Brother" ist kein Selbstläufer mehr.
Die Verantwortlichen handelten schnell und versuchten der Show den dringend nötigen Schwung zu verpassen. Nur: Es gelang ihnen nicht. Auch der Einzug von mehr oder weniger bekannten Personen wie Menowin Fröhlich hatte höchstens kurzzeitig Auswirkungen auf die Quoten. Am heutigen Abend steigt das große Finale, wobei man das Wort "große" hier wohl in Anführungszeichen setzen muss. Sat.1 hat die Liveshows längst in den späten Abend verbannt, dort können sie weniger Schaden anrichten. Denn nicht nur die Tageszusammenfassungen blieben unter dem Senderschnitt hängen, auch die wöchenltichen Entscheidungen interessierte nur sehr wenige Menschen.
Bewohner-Bewertungen haben nicht getragen
Aufhänger der Staffel war es ja, dass Zuschauer die Bewohner über eine App bewerten können. Den Teilnehmern wird dann angezeigt, wie viel sie "wert" sind. Eine entsprechende Kampagne zum Start sorgte für ein kleines Shitstürmchen - es sollte die größte Aufregung rund um "Big Brother" bleiben. "Das Bewertungssystem war eine neue Formatierungsidee, die uns alle überzeugt hat und ein komplett neuer Ansatz war, von dem wir uns viel versprochen haben. Aber: Leider hat das auch dafür gesorgt, dass der Cast eher eingeschüchtert wurde und gehemmt war aus sich heraus zu gehen", sagt Rainer Laux.
Doch auch Pflüger räumt ein, dass die Bewertungen in der App nicht den gewünschten Effekt auf die Bewohner hatten. Er sagt: "Wir mussten auch lernen, dass diese Form der interaktiven und konstanten Bewertung den Umgang der Bewohner miteinander verändert hat – und in weiterer Folge das Bedürfnis der Zuschauer nach unverstellter und ungebremster Emotionalität nicht ausreichend erfüllen konnte". Das sei eine Erfahrung, so Pflüger, die man mitnehmen und bei der Entwicklung zukünftiger Programme berücksichtigen werde. Dennoch bezeichnet er die Produktion in Zeiten von Corona als "Herkulesleistung" und dankt dem Team von Endemol Shine Germany für ihre Arbeit.
"Ein Livestream ist kein Quotengarant."
Rainer Laux, Executive Director bei Endemol Shine Germany
Auch die sehr aktive "Big Brother"-Community bemängelte bereits kurz nach dem Start zahlreiche Dinge. Während der Cast meist wohlwollend aufgenommen wurde, hagelte es Kritik am fehlenden Livestream, den fehlenden Tageszuammenfassungen am Wochenende und der schnell aufkommenden Langeweile im Haus. Auch vom angeblich "größten Digital-Paket in der Geschichte von Sat.1" war bisweilen wenig zu spüren. Rainer Laux zeigt sich mit den Resonanzen auf den Social-Media-Kanälen zufrieden und sagt außerdem: "Ein Livestream ist kein Quotengarant. Auch in Zeiten von Livestreams waren da keine Hundertausende Zuschauer drin, sondern eher 1000 – dies hat also keinen Einfluss auf die Quote im TV."
Langzeittrend: Big Brother Tageszusammenfassungen
Laux verweist auf diverse Versuche, "Big Brother" im Laufe der Staffel Schwung zu verleihen. So habe man etwa den Cast verstärkt, Spiele eingeführt und Zuschauerboxen ins Haus geschickt. "Dann kam Corona, und plötzlich liefen im gleichen Slot Nachrichten und Sondersendungen parallel und die Sehgewohnheiten der Zuschauer änderten sich. Eine solche Situation hat es als Konkurrenz noch nie gegeben." Doch ein Blick auf die Quoten zeigt: Schon vor Corona kämpfte "Big Brother" auf verlorenem Posten, die Quoten waren von Beginn an im Keller. Corona hat die Situation höchstens noch etwas verschärft, ist aber keinesfalls der Grund für das schlechte Abschneiden des Formats. Laux’ Fazit: "Wir haben in der schwersten Zeit und unter den ungewöhnlichsten Bedingungen 'Big Brother' 100 Tage lang produziert. Es kamen Herausforderungen auf uns zu, mit denen wir niemals gerechnet haben und ich bin unfassbar stolz auf mein Team, wie sie diese gemeistert haben. Es war definitiv emotional die intensivste Staffel!"
"PuP" macht vor, wie Reality 2020 funktioniert
Das Scheitern der Normal-Staffel führt nun ganz unweigerlich zu der Frage, ob "Big Brother" fernab von Promi-Versionen in Deutschland überhaupt noch funktioniert. Fest steht: In naher Zukunft wird sich wohl kein Sender noch einmal an das Format trauen. Inzwischen erscheint es immer abwegiger, im Jahr 2020 zehn überwiegend unbekannte Personen in ein Haus zu sperren und zu hoffen, dass dort täglich etwas Spannendes passiert. Wie man es anders macht, hat ausgerechnet Sat.1 zuletzt in Perfektion vorgeführt. Bei "Promis unter Palmen" setzte man auf bekannte Persönlichkeiten, die wussten, wie man sich vor TV-Kameras inszeniert.
"Promis unter Palmen" sorgte zwar auch für reichlich Kritik, aber die Inszenierung, die dem Format innewohnt, findet sich inzwischen in etlichen Formaten wieder - die Zuschauer haben sich daran gewöhnt, sodass eine reguläre "Big Brother"-Staffel für viele wohl vor allem eins ist: langweilig. In den vergangenen Jahren hat hier einfach eine Verschiebung von Prioritäten stattgefunden: mehr Inszenierung und mehr Extremes und immer weniger echte Menschen, die vermeintlich nicht "liefern".
Für Rainer Laux war das erste Halbjahr 2020 dadurch aber immerhin nicht nur von den "Big Brother"-Problemen gekennzeichnet - er verantwortete schließlich auch die Produktion von "Promis unter Palmen" und damit einen der größten Sat.1-Realityhits der letzten Jahre. "Der Erfolg zeigt: Der Zuschauer mag Formate, bei denen es von 0 auf 100 geht", sagt Laux. Im Gegenzug könnte man sich die Frage stellen: Wie ist das bei "Big Brother" möglich? Ist es das überhaupt?
Alte Probleme am Vorabend
"Anders als ‘Big Brother’ ist ‘Promis unter Palmen’ eine Show mit Reality-erfahrenen Promis, die ihre Sendezeit gezielt einsetzen und bewusst mit der Kamera spielen, um dem Zuschauer etwas bieten zu können", so der Produzent über den Quotenerfolg der Show. Auf die Frage nach der umstrittenen Mobbing-Folge, die man auch bei der FSF sehr kritisch sieht, hält sich Laux zurück und bleibt sehr dicht an dem Wortlaut, den auch schon der Sender wählte. Man schreibe den Promis nicht vor, wie sie sich als erwachsene Menschen zu verhalten hätten. Kein Teilnehmer sei zu Schaden gekommen und die Sicherheit am Set sei stets gewährleistet gewesen.
Mobbing hin oder her: Schon heute arbeiten Sat.1 und Endemol Shine Germany an einer neuen Staffel, die 2021 gezeigt werden soll (DWDL.de berichtete). Alles andere wäre nach den Quoten auch eine große Überraschung gewesen. Für die neue Staffel habe man bereits "eine schöne Auswahl" an Kandidaten zusammen, so Laux gegenüber DWDL.de. Auch vom 2021er-Cast verspreche man sich viel. Die Zukunft von "Big Brother" ist, fernab der Promi-Version, derzeit aber unklarer als je zuvor. Daran wird auch das Finale am Abend nichts mehr ändern. Die Zuschauer haben entschieden: "Big Brother", 1 Stern. Maximal. Am Sat.1-Vorabend übernimmt nun ausgerechnet wieder das Format, das schon vor "Big Brother" schlecht lief: "Genial daneben - Das Quiz".