„Ich saß im Zug zurück nach Köln und alle paar Minuten klingelte mein Telefon. Wenn ich aufgelegt habe, kamen eMails mit weiteren Absagen“, erinnert sich Marco Laufenberg an jenen Tag Mitte März, als er von einer TV-Aufzeichnung mit Mario Barth in Berlin auf dem Weg nach Hause war. Eigentlich ist das nicht so lange her und ist doch aus einer anderen Zeit, noch vor all den umfassenden Maßnahmen zur Verlangsamung der Corona-Pandemie.
Nachdem zunächst Großveranstaltungen mit mehr als tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern abgesagt wurden, traf es Mitte März auch kleinere Zusammenkünfte von Menschen, mit entsprechenden Auswirkungen auf TV-Shows und ihr Studiopublikum. Darf überhaupt noch produziert werden und wenn ja wie? Wie so oft in der Corona-Krise, für die niemand einen Plan hatte, waren die Auskünfte zunächst so vielfältig wie irreführend. Aber binnen Tagen wurde klar: Publikum in Fernsehstudios wird es vorerst nicht mehr geben.
Laufenberg fuhr an jenem Tag mit Aufträgen in Berlin los, kam ohne Jobs in Köln an. Er ist einer von nicht einmal einem dutzend Warm-Uppern, die in den größten Fernsehshows und auf den Showbühnen Deutschlands normalerweise im Vorfeld für die nötige Temperatur sorgen, stimmungstechnisch. Eine der Disziplinen hinter der Kamera übrigens, in der sich das deutsche Fernsehen nicht vorm internationalen Wettbewerb verstecken muss. Ein Besuch bei britischen oder amerikanischen TV-Aufzeichnungen ist mitunter ernüchternd.
Es ist aber auch irgendwo logisch: In einem Land, in dem pure Begeisterungsfähigkeit und ausgelassene Spontaneität nicht gerade zur DNA gehören, braucht es mehr Entertainment-Handwerk, um das Eis zu brechen als die oftmals eher pragmatischen Warm-Ups anderer TV-Nationen, bei denen das Publikum schon in der Warteschlange vorm Einlass im begeisterten Präsenz-Modus ist. Um das Defizit in Deutschland auszugleichen, gibt es die „alten Zirkuspferde“, wie sich Christian Oberfuchshuber (Foto), der sonst bei Formaten wie „Genial daneben“, „Germany’s Next Topmodel“, „Gefragt - gejagt“ oder „Nuhr im Ersten“ arbeitet, auch selbst bezeichnet.
Er verlor seit Beginn der Corona-Krise ebenso Aufträge wie sein Kollege Rene Travnicek, dessen zwei Kinder sich in den letzten Wochen immerhin über mehr Warm-Ups zuhause freuen konnten. Nur das gewohnte Feedback vom Studio-Publikum fehle, wie er selbst schmunzelnd erzählt. Ja, Optimismus ist bei diesen Unterhaltungshandwerkern eine Berufskrankheit, die in diesen Zeiten sicher hilft. Und doch ist die Lage ernst. Laufenberg suchte Mitte März unmittelbar den Kontakt zu seinen Kollegen. Wettbewerber, die sonst als Einzelkämpfer unterwegs sind, wollten gemeinsam aufmerksam machen.
„Viele Kolleginnen und Kollegen trifft die Krise, aber für manche Gewerke gibt es wenigstens noch ein paar Aufträge. Also Kamera, Maske etc. Wir waren ohne Publikum aber sofort raus - von jetzt auf gleich nichts mehr. Und wenn Du da als freiberuflicher Künstler auch nicht mal eben so zum Amt gehen kannst, wird das ein großes Problem. Deshalb haben wir uns zusammengetan und gemeinschaftlich ein Schreiben an Sender und Produktionsfirmen aufgesetzt“, erzählt Initiator Marco Laufenberg. „Wir machen keinen Hehl daraus, dass uns das alle sehr hart trifft“, heißt es unter anderem in dem offenen Brief an die Branche. Er ist unterschrieben von fünf weiteren Kollegen.
Die Hoffnung, die sie alle mit dem Brief verbanden: Dass bereits budgetierte Sendungen, die vorerst ohne Publikum produziert werden, das eingeplante Geld fürs Warm-Up nicht einbehalten. „Wir boten auch an, bei Produktionen andere Aufgaben zu übernehmen. Wir sind bei den Produktionen ja stets nah dran“, sagt Laufenberg (Foto). „Uns ging es um die Botschaft: Wir sind hier, wir waren eingeplant und wollen gerne etwas tun für unser budgetiertes Geld.“
Die Reaktionen bei den Produktionsfirmen waren vielfältig. „Teilweise wird mir die Möglichkeit gegeben, mich bei meinen gebuchten Aufträgen anderweitig zu betätigen, entweder als Gästebetreuer oder Mädchen für alles. Wobei ich hierbei auch Wert darauf lege, niemand anderen dadurch den Job wegzunehmen“, sagt Kollege Christian Oberfuchshuber noch vergleichsweise gelassen. Mit einer improvisierten Show von zuhause, die er über seine Social Media-Kanäle ausspielt, vertreibt er sich die Zeit. „Die Solidarität der meisten Produktionsfirmen und Sender ist aktuell noch sehr groß, aber auch hier offenbaren einige Verantwortlichen ihr wahres Gesicht.“
Und wer enttäuschte? Darüber spricht niemand. Man will es sich schließlich nicht verscherzen. Ein großes Ärgernis in den ersten Wochen der Krise sei aber die Nicht-Kommunikation einiger Produktionsfirmen gewesen, denn „selbst eine fehlende Absage hat Konsequenzen. Das Land NRW hat einen Fördertopf für Menschen in der Künstlersozialkasse, aber um diese Hilfe zu beantragen, muss ich den Ausfall von eigentlich zugesagten Aufträgen nachweisen können“, sagt Laufenberg. Namentlich nennt er lieber die Positivbeispiele: „Endemol Shine, für die ich bei ‚Big Brother‘ arbeite, wollten wissen, wann ich am Set sein könnte, weil denen der Schiedsrichter ausgefallen ist. Hab mir schnell meine Haarbürste geschnappt und bin losgefahren. Die Geste fand ich unfassbar toll und solidarisch.“
Aber das bleibt der Tropfen auf den heißen Stein. 28 gebuchte Tage im April sind bei Christian Oberfuchshuber, der seine schrillen Anzüge immerhin für die eigene Online-Show mal zum Lüften aus dem Schrank holt, ausgefallen. Von der Rückkehr des Studiopublikums ist das deutsche Fernsehen noch lange entfernt. Wie geht man on air um mit leeren Rängen, wenn nicht nur die Dramaturgie mancher Show sondern auch das Empfinden als TV-Zuschauer an gewissen Stellen Applaus und Publikums-Reaktionen erwartet? Wenige Shows probierten es in den ersten Tagen schlicht mit Stille. Manche war dann jedoch sogar im doppelten Sinne zum Einschlafen. Als auch die kurzzeitige Zwischenlösung mit Family & Friends keine Option mehr war, mussten Reaktionen vom Band her.
"Ich hatte das große Glück, dass ich bei ‚Let‘s Dance’ oder beim Finale von ‚Deutschland sucht den Superstar“ mit meinem Musiksampler, welchen ich auch in meinen Warm-Up-Einsätzen nutze, bis zu zwölf verschiedene Appläuse einspielen konnte, um somit eine studioähnliche Atmosphäre zu erzeugen. Das funktionierte so gut das ich für weitere TV Formate angefragt wurde“, berichtet Rene Travnicek (Foto). Auch bei „Denn sie wissen nicht was passiert“ ist er derzeit im Einsatz. Eine möglichst passende Reaktion auf die Geschehnisse - das ist nicht nur fürs Sendesignal wichtig. Gerade Barbara Schöneberger und Thomas Gottschalk und mit Abstrichen auch Günther Jauch lassen sich in ihrer Bühnenpräsenz gerne tragen vom Publikum. Akustisch ins Leere zu spielen, würde der Dynamik schaden.
Einmal die Woche tauschen sich die Warm-Upper seit Beginn der Krise aus. „Eine Videokonferenz, wobei die erste halbe Stunde bei den sieben größten Quatschköpfen der Nation drunter und drüber geht, was auch echt gut tut“, sagt Laufenberg. Man berichtet sich von den gesammelten Erfahrungen, auch weil man sich gegenseitig darauf verständigt hat, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Die Geduld wird strapaziert. „Das fühlt sich gerade alles noch ein wenig an wie unfreiwilliger Urlaub. Aber wie in jedem normalen Urlaub denke ich daran, wann man wieder arbeiten darf“, sagt das einsatzbereite Zirkuspferd, Christian Oberfuchshuber.
Er gehört zu den Optimistischen in der Runde. „Ich hoffe, dass in kleinen Gruppen ab Juli so langsam wieder alles anrollt.“ Kollege Rene Travnicek ist deutlich skeptischer: „Meine Einschätzung ist, dass ich nicht vor Februar nächsten Jahres wieder vor Publikum werde auftreten dürfen.“ Marco Laufenberg hofft auf wieder mehr Fernsehproduktionen in den kommenden Wochen, aber bleibt ähnlich pessimistisch: „Wir waren die ersten die raus waren und sind die letzten, die wieder reinkommen.“
Eine Zuversicht nehmen aber alle aus den Erfahrungen der vergangenen Wochen mit: Auch wenn es in der Not mal ohne Publikum geht, ist das kein Dauerzustand. Marco Laufenberg macht sich keine Sorgen, dass Shows auch nach der Krise aus Kostengründen ohne Publikum fortgeführt werden könnten. Die Stimmung sei spürbar eine andere und insbesondere wenn es um Comedy geht, reiche auch kein Einspielen von Applaus: „Ein Gag ohne Lacher ist kein Gag.“ Und ein spontaner, angemessener Szenenapplaus lasse sich auch nicht einspielen. Er ist sich sicher: „Erst das Publikum macht eine Bühne zur Bühne.“