"The Masked Singer" (Endemol Shine für ProSieben)
Eine Formatadaption schafft es in die denkwürdigsten TV-Formate des deutschen Fernsehens 2019? Ja, weil es nicht allein der enorme Quotenerfolg der Rateshow ist, der die Branche in diesem Jahr beeindruckt hat. Anders als Fox in den USA hat sich ProSieben in Deutschland dazu entschieden, aus "The Masked Singer" eine Live-Show zu machen. Eine mutige Entscheidung, die belohnt wurde: Die wöchentliche Live-Show ermöglichte eine Social Media Integration, wie es vorab aufgezeichnet nicht machbar gewesen wäre und machte die Show in einer Zeit der individualisierten TV-Nutzung zu einem selten gewordenen TV-Lagerfeuer.
"The Masked Singer" beweist damit, wie viel Handwerk auch in der Adaption einer internationalen Formatidee stecken kann. Das wurde mit von Woche zu Woche steigenden Einschaltquoten belohnt - ein absoluter Ausnahmeerfolg, der im März in die zweite Staffel gehen wird. Sich ans Fernsehjahr 2019 zu erinnern - es wird ohne "The Masked Singer" schwierig. Auch weil das Format bekanntlich heiß umkämpft war: Auch die Mediengruppe RTL Deutschland hätte "The Masked Singer" gerne nach Deutschland gebracht, aber EndemolShine Germany hat, zum bekannt gewordenen Ärger der Kölner, am Ende ProSieben den Zuschlag gegeben.
"How to sell drugs online (fast)" (btf für Netflix)
Wenn Sie bei dieser Serie nicht mitkommen, sind Sie vermutlich kein Kind der 90er: Die deutsche Netflix-Serie “How to sell drugs online (fast)” erzählt die Geschichte eines Schülers, der gemeinsam mit seinem besten Freund von seinem Jugendzimmer aus mal eben Europas größten Online-Drogenhandel gründet – und das alles, um das Herz seiner Ex-Freundin zurückzuerobern. Zu den Besonderheiten zählt ohne Zweifel die Inszenierung: Laut, schnell und bunt haben die Regisseure Lars Montag und Arne Feldhusen die Geschichte in Szene gesetzt und damit immer wieder den klaren Bruch zur deutschen Spießigkeit gewagt, die der Handlungsort mit sich bringt.
Man spürt in nahezu jeder Szene die Handschrift der Kölner bildundtonfabrik, die hinter dieser Produktion steht. Es ist gelungen, eine typisch deutsche Serie zu machen, die letztlich dann doch nicht typisch deutsch daherkommt. Fiktional erstmals authentisch umgesetzt: Die textbasierte Kommunikation der jungen Generation. In atemberaubender Geschwindigkeit fliegen Social-Media-Profile, Instagram-Bilder oder Messenger-Nachrichten durchs Bild, und am Ende dürfte so manch erwachsener Zuschauer realisieren, dass Pornos im Netz noch die geringste Gefahr für den Nachwuchs darstellen. Mit “How to sell drugs online (fast)” haben die beiden Showrunner Matthias Murmann und Philipp Käßbohrer, der zusammen Sebastian Colley und Stefan Titze auch Drehbuch schrieb, die wohl unkonventionellste Serien-Produktion des Jahres geliefert.
"Joko & Klaas - 15 Minuten live" (Florida Entertainment für ProSieben)
In diesem Jahr war viel von der Magie die Rede, die mit Live-Fernsehen einher gehen kann. Und keiner hat das so eindrücklich unter Beweis gestellt wie Joko und Klaas. Ausgangspunkt war ihre neue Show „Joko und Klaas gegen ProSieben“, in der diese in verschiedenen Disziplinen vom Sender gestellte Aufgaben erfüllen müssen. Das ist solide Unterhaltung – doch der eigentliche Clou: Gehen sie als Sieger aus der Sendung hervor, erhalten sie am darauffolgenden Abend um 20:15 Uhr 15 Minuten Live-Sendezeit, die sie völlig frei und ohne Rücksprache mit dem Sender gestalten dürfen.
Weder Sender noch Zuschauer wussten also, was sie hier erwartet. Viele dürften mit großem Blödsinn gerechnet haben – und fanden sich unversehens in den eindrücklichsten 15 TV-Minuten des Jahres wieder. Denn nach quietschbuntem Vorspann und kurzer Begrüßung überließen Joko und Klaas die Bühne drei Personen, die wirklich etwas zu sagen hatten: Der Kapitänin eines Rettungsschiffs aus dem Mittelmeer, einem Sozialarbeiter aus dem Bereich der Obdachlosenhilfe und einer Schriftstellerin, deren Wohnort sich zu einem „Nazi-Dorf“ wandelte. Die Wucht, die diese Erzählungen hatten, rührten nicht zuletzt daher, dass sie völlig unerwartet kamen und damit ein Publikum erreichten, das nicht gezielt danach gesucht hatte. Dass auch noch die Quoten hervorragend waren, dürfen die Sender durchaus als Ansporn nehmen, ihr Publikum künftig vielleicht wieder etwas häufiger zu überraschen.
"Prince Charming" (Seapoint Productions für TV Now) / "Queen of Drags" (Redseven Entertainment für ProSieben)
Das deutsche Fernsehen war 2019 so queer wie nie zuvor: Im Herbst haben Mediengruppe RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 mit "Prince Charming" und "Queen of Drags" zwei Formate gestartet, die jeweils auf ihre Art und Weise das Fernsehen bereichert haben. "Prince Charming" erweiterte das Guilty-Pleasure-Genre der Datingshows um eine schwule Variante, bei "Queen of Drags" schaffte ProSieben eine sicher von "RuPauls Drag Race" inspirierte aber letztlich doch eigenständige Drag-Show - und brachte die Drag-Kultur zur besten Sendezeit. Mehr Sichtbarkeit geht nicht.
"Prince Charming" lief zunächst nur im Streamingdienst der Mediengruppe RTL Deutschland, doch nach TV Now wird Vox die Sendung im kommenden Jahr ins Programm nehmen. Bemerkenswert war bei "Prince Charming" die Vielfalt des Teilnehmerfelds: Auch wenn sich einige Teile der Community nicht vertreten sahen, war das Teilnehmerfeld weitaus breiter und diverser als bei vielen Hetero-Datingshows. Dass schließlich nur ein gewisser Schlag Menschen vor der Kamera daten will, haben Homos und Heteros gemein. Eine zweite Staffel ist bestellt und auch bei ProSieben ist eine zweite Staffel von "Queen of Drags" nicht ausgeschlossen. Das deutsche Fernsehen wird in dieser Dimension vielfältiger.
"Andere Eltern" (Eitelsonnenschein für TNT Comedy)
So deutsch, aber so anders: Mit der charmanten Serie "Andere Eltern", die vom Cast weitgehend improvisiert wurde, bescherte uns TNT Comedy in diesem Jahr die leider etwas übersehene aber deswegen nicht weniger wunderbare Innovation der deutschen TV-Comedy in den vergangenen zwölf Monaten. Die Serie im Stil einer Mockumentary verfolgt die Gründung einer Kindertagesstätte in Köln-Nippes durch einige mehr oder weniger engagierte Eltern mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Erziehung bzw. letztlich auch dem Leben im Allgemeinen.
Bei der von Eitelsonnennschein produzierten Comedyserie trifft aktueller Zeitgeist auf eine authentische Umsetzung, die "Andere Eltern" zum manchmal regelrecht schmerzhaften Spiegel macht, der uns Charaktere und Haltungen präsentiert, die jedem schon einmal begegnet sind. Eine liebevolle Abrechnung könnte man es nennen, die nebenbei auch noch ein erfrischend ernüchterndes Bild von Köln zeichnet, ohne den obligatorischen Dom-Schwenk damit auch der Letzte verstanden hat, dass die Geschichte in Köln spielt. Nah dran am Leben, innovativ gefilmt und mit einer zweiten Staffel belohnt.