Montagmorgen, kurz nach 8. Während in anderen Redaktionen die Woche gemächlich beginnt, herrscht in den ZDF-Räumlichkeiten im Düsseldorfer Stadtteil Golzheim schon viel Trubel. Kein Wunder, schließlich geht die "Volle Kanne" in einer Stunde auf Sendung. Und wie so oft sind es die Kleinigkeiten, die Stress verursachen. Die amerikanische Konditorin Cynthia Barcomi bangte am Abend zuvor um ihren vorbereiteten Teig, weil ihr das Hotel keinen Platz im Kühlschrank gewähren wollte, und als die Uhr bereits halb 9 schlägt, wundern sich die Ersten, wo denn eigentlich Hannes Jaenicke bleibt.

Als der Schauspieler doch noch eintrifft, wirkt alles sehr vertraut. Aus gutem Grund: Jaenicke ist Stammgast in der "Vollen Kanne" und weiß längst, wie der Hase am Frühstückstisch läuft. Dadurch bleibt Zeit, um in der Maske die unzähligen Autogrammkarten zu begutachten, die andere Gäste hinterlassen und mit freundlichen Grüßen versehen haben. Schon längst ist hier kein Platz mehr für alle Karten; zu viele Promis sind in dem Düsseldorfer Studio ein- und ausgegangen. Trotz der frühen Uhrzeit kommen sie gerne, denn die Stimmung ist gut und die Aufmerksamkeit hoch, auch wenn das Salär mit 200 Euro brutto nicht üppig ausfällt.

Dass die "Volle Kanne" überhaupt in Düsseldorf produziert wird, ist eher einer glücklichen Fügung geschuldet: Als Ende der 90er Jahre Studiokapazitäten im nordrhein-westfälischen Landesstudio frei wurden, entschied sich das ZDF kurzerhand dazu, seine neue Servicesendung hier zu produzieren. Ein wenig wirkt die "Volle Kanne" wie eine Exklave - weit entfernt vom Mainzer Sendezentrum. Das erklärt womöglich auch, weshalb ein großer Teil der Mannschaft schon so lange dabei ist. So wie Ingo Nommsen, der den einsamen Moderations-Rekord hält.

Alles wirkt vertraut und routiniert an diesem sommerlichen Morgen. Weil das Wetter gut werden soll, haben die Techniker schon drei Stunden vor der Sendung damit begonnen, das Außenset aufzubauen - sehr zur Freude der Nachbarn im angrenzenden Wohngebiet, die ab 9:05 Uhr mit den Beiträgen über die Lautsprecheranlage beschallt werden. Einmal habe einer der Anwohner zum Gegenangriff ausgeholt. Regelmäßig drehte er die Musik auf oder mähte den Rasen, wenn die "Volle Kanne" aus dem Garten sendete, der eigentlich als Außenbereich der Kantine dient.

Mit Susanne fing alles an

Als Hannes Jaenicke eintrifft, hat Ingo Nommsen die Maske längst verlassen. Er steht bereits im Garten und geht noch einmal seine Moderationen durch. Die thematische Bandbreite reicht an diesem Vormittag vom Untervermieten der eigenen Wohnung über Schlafhilfen bis hin zu Reisetipps für die italienische Adriaküste. Dazwischen soll er die Konditorin zu ihrem Galette-Rezept befragen und mit Jaenicke über bedrohte Vogelarten und Greta Thunberg sprechen. Wer hier Moderator ist, muss sich irgendwie für alles interessieren – oder das vermeintliche Interesse zumindest gut verkaufen. 

Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sich die Redaktion so schwer damit tut, eine weitere Moderatorin zu verpflichten, die neben Nommsen und Nadine Krüger durch die Sendung führt. Seit einiger Zeit läuft bereits die Suche, noch jedoch ohne den gewünschten Erfolg, weil das Anforderungsprofil größer ist, als das mancher beim schnellen Einschalten der Sendung denken mag. Vorerst steht Ingo Nommsen also weiterhin drei von vier Wochen im Monat für die "Volle Kanne" vor der Kamera – doch wer ihn einen Morgen lang hinter den Kulissen bei der Arbeit beobachtet, wird feststellen, dass der 48-Jährige ohnehin die Idealbesetzung ist. 

Ingo Nommsen© ZDF/Jens van Zoest
Von den 20 Jahren, die es das Magazin nun schon gibt, ist er seit fast 19 Jahren an Bord. Und das, obwohl die Sendung ursprünglich den Namen "Volle Kanne, Susanne" trug – in Anlehnung an die erste Moderatorin Susanne Stichler. "Das ging so weit, dass mich Menschen beim Kaufen mit 'Hallo Susanne' ansprachen", erinnert sich Nommsen (Foto) im Gespräch mit DWDL.de. Dass er der Sendung so lange treu bleiben würde, hätte er selbst wohl am wenigsten gedacht. "Ich glaube, ich durfte die erste Woche moderieren, ohne überhaupt einen Vertrag zu haben. Erst hinterher erfuhr ich, dass meine Sendungen in die Marktforschung gegeben wurden – und dann hieß es: Ab Januar geht’s los."

Geblieben ist er bis heute und ein Ende, so scheint es, ist nicht in Sicht. "Ich kann mich in allen Facetten des Entertainments ausleben, mit Michael Bolton und Helene Fischer meiner Musikleidenschaft nachgehen, habe Gäste von Politik bis Ballermann – das ist ein großes Geschenk", sagt Nommsen. "Noch schöner wäre es für mich nur, wenn da auch ein Publikum säße." Doch dafür ist in dem kleinen Studio im Düsseldorfer ZDF-Landesstudio kein Platz. Mit im Schnitt rund 700.000 Zuschauern ist die Quote dafür umso größer. Selbst als die ARD mit "Live nach Neun" ein Konkurrenz-Format startete, litt die Reichweite nicht.

Bloß kein erhobener Zeigefinger

Für die Macher sind die stabilen Zuschauerzahlen eine Genugtuung, schließlich war mancher Mitarbeiter anfangs gleichermaßen verärgert und besorgt über das neue Gegenprogramm, das der "Vollen Kanne" entgegen der ursprünglichen Ankündigung mittlerweile erstaunlich ähnlich geworden ist. Wenn man sich heute hinter den Kulissen umhört, dann ist von der anfänglichen Wut jedoch nichts mehr zu spüren. "Vermutlich ist unser Erfolgsgeheimnis, dass wir nah dran sind an den Menschen", sagt "Volle Kanne"-Redaktionsleiterin Elke Jonkmanns. "Ganz wichtig ist es uns, auf den erhobenen Zeigefinger zu verzichten."

Die wahre Herausforderung ist es jedoch, sich möglichst nicht zu wiederholen, auch wenn das quasi unmöglich ist angesichts von fast 4.000 Ausgaben, die seit dem Start im August 1999 entstanden sind. "Einmal im Jahr haben wir die Hyazinthen", scherzt Jonkmanns Stellvertreterin Nicole Schneider. Wichtig sei es jedoch, immer wieder neue Ansätze zu finden. Verändert hat sich die "Volle Kanne" trotzdem. Weit häufiger als in der Anfangszeit geht es inzwischen um Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Volle Kanne

Weil die Sendung wegen des schönen Wetters aus dem Garten kommt, bleibt der Frühstückstisch im Studio an diesem Vormittag verwaist.

Mehr Zeit steht den Machern ohnehin längst zur Verfügung. Aus der halben Stunde, die zunächst zur Verfügung stand, sind im Laufe der Jahre fast 90 Minuten geworden. Und auch wenn die Sendung oft belächelt wird und sogar schon von "Switch" parodiert wurde, findet sich erstaunlich häufig Platz für Tiefgründiges. "Die sozialen Themen haben zugenommen", betont Schneider und verweist auf die sogenannten "Alltagshelden", die immer häufiger neben den Promis am Frühstückstisch sitzen. "Am schönsten ist es, wenn sich zwischen beiden Gästen ein echtes Gespräch entwickelt", sagt die stellvertretende "Volle Kanne"-Chefin im Gespräch mit DWDL.de.

"Meine Vorbereitung hört nicht auf, wenn ich am frühen Nachmittag den Sender verlasse."
"Volle Kanne"-Moderator Ingo Nommsen

Für sie und die Moderatoren beginnt die eigentliche Arbeit aber erst nach der Live-Sendung, wenn die Ausgabe für den nächsten Tag geplant wird. "Wenn du gut vorbereitet bist, kann dir nicht viel passieren. Und wenn du besser vorbereitet bist, dann noch viel weniger", erzählt Ingo Nommsen. "Meine Vorbereitung hört nicht auf, wenn ich am frühen Nachmittag den Sender verlasse. Mir ist wichtig zu wissen, womit sich die Menschen beschäftigen. Deswegen sitze ich fast jeden Tag im Café und mit offenen Augen und Ohren in der Straßenbahn."

Morgens um kurz nach 9 laufen dann wieder die Kameras im Studio oder im kleinen Garten, in dem sonst die Mitarbeiter nach dem Essen gerne für einen Kaffee zusammenkommen – ohne Publikum, dafür live und ohne doppelten Boden. "Sobald das Rotlicht brennt, steigt mein Adrenalinspiegel auf ein gesundes Wohlfühlmaß", sagt Nommsen, der wohl nichts dagegen hätte, noch einmal auf die große Bühne zurückzukehren. So wie vor einigen Jahren, als er Andrea Kiewel im "Fernsehgarten" vertrat. Vorerst aber bleibt der Vormittag Nommsens Primetime – mit dem täglichen Wahnsinn in Düsseldorf-Golzheim.