Weil Medienpolitik immer auch ein wenig Standortpolitik ist, wird die Ansiedlung von Unternehmen oder Projekten oft zum Politikum. Das gilt seit langem für die Film- und Fernsehbranche und könnte sich nun auf die Webvideo-Produktion ausweiten. Jedenfalls zeigt die nordrhein-westfälische Landesregierung wachsendes Interesse an der Boombranche. Die Düsseldorfer Staatskanzlei hat erstmals eine Vollerhebung der deutschen Webvideo-Unternehmen in Auftrag gegeben, die dem Medienmagazin DWDL.de vorliegt.

Die Forscher der TH Köln, der Hochschule Mainz und der European Web Video Academy zählten demnach 2.130 Unternehmen und Selbstständige, die professionell Videos für YouTube, Twitch, Instagram oder Facebook erstellen und damit mindestens 50.000 Abonnenten erreichen. Ein knappes Viertel der von ihnen betriebenen Kanäle hat mehr als 250.000 Abonnenten, über eine Million kommen 4,6 Prozent. 19,9 Prozent der befragten Unternehmen erzielen Umsätze von mehr als 100.000 Euro, 3,4 Prozent sogar von über einer Million Euro.

"Damit entwickelt sich die Webvideo-Produktion zu einer relevanten Größe in der Medienwirtschaft", urteilt Christian Zabel, Professor für Unternehmensführung und Innovationsmanagement an der TH Köln und Projektleiter der Studie. Die Branche zeichnet sich durch eine kleinteilige Struktur aus: 60 Prozent der befragten Produzenten agieren als Einzelunternehmer, 23 Prozent haben eine Personen- oder Kapitalgesellschaft angemeldet, 17 Prozent handeln ganz ohne angemeldetes Gewerbe. Unter den Gewerbetreibenden kamen knapp zwei Drittel auf einen Umsatz unter 50.000 Euro im Jahr 2017. Zwischen 50.000 und 100.000 Euro Jahresumsatz landeten 9,0 Prozent, zwischen 100.000 und 500.000 Euro 14,3 Prozent, zwischen 500.000 und einer Million 2,3 Prozent, zwischen einer und zwei Millionen 1,5 Prozent sowie über zwei Millionen Euro 2,3 Prozent.

Der wirtschaftliche Erfolg kann sich laut Studie sehen lassen: 61 Prozent der Webvideo-Unternehmen geben an, Gewinne zu erwirtschaften. 23 Prozent arbeiten kostendeckend, 11 Prozent schreiben rote Zahlen. Das Gros der Erlöse, nämlich 45,9 Prozent, stammt dabei aus Videowerbung, gefolgt von 18,3 Prozent aus Produktplatzierungen und Sponsoring. Rund ein Viertel der Einnahmen fließt aus Aktivitäten, die zusätzlich zum Betrieb der eigenen Kanäle von den Unternehmen erbracht werden. Hierzu zählen u.a. die Auftragsproduktion von Videos (11,0 Prozent), Merchandising und Lizenzgeschäft (3,5 Prozent), Live-Auftritte (2,5 Prozent) oder Beratung und Konzeption (2,3 Prozent).

Die Studie zeigt deutlich, dass der Stellenwert der Multi-Channel-Netzwerke (MCN) abgenommen hat. Nur 44 Prozent der befragten Unternehmen kooperieren überhaupt mit einem MCN und gerade einmal 16 Prozent tun dies exklusiv. Die meisten der Befragten nehmen die Dienste von Studio 71 in Anspruch (15,9 Prozent), gefolgt von Allyance (13,6 Prozent), TubeOne, Broadband TV und GamingClerks (je 11,4 Prozent) sowie Mediakraft (9,1 Prozent). Waren MCNs vor einigen Jahren noch unverzichtbar für die Vermarktung der Kanäle, so arbeiten die Produzenten heute weitgehend selbstständig.

"Köln konnte den ursprünglichen Pioniervorteil als 'YouTube-Hauptstadt' nicht nutzen"

Markus Hündgen, Geschäftsführer der European Web Video Academy

 

Wenig überraschend sind Berlin und Köln die beiden Webvideo-Hochburgen. Von den Produzenten mit mindestens 50.000 Abonnenten sitzen 246 Unternehmen in Berlin und 140 in Köln. Dahinter folgen Hamburg mit 111, München mit 60 und Frankfurt mit 59 Unternehmen. "Köln konnte den ursprünglichen Pioniervorteil als 'YouTube-Hauptstadt' in den frühen 2010er Jahren nicht nutzen, um sich klar als Destination Nr. 1 für das Thema Webvideo zu etablieren", schreibt Markus Hündgen, Geschäftsführer der European Web Video Academy, dem Auftraggeber der Studie ins Stammbuch. "Aber Wettbewerb belebt das Geschäft." Immerhin sind 26 der Top-100- und fünf der Top-10-Kanäle nach Abonnenten in Köln beheimatet, in Berlin lediglich 17 der Top 100 und einer aus den Top 10. Befragt nach den Standortfaktoren, sprachen die Webvideo-Produzenten Berlin eine höhere allgemeine Attraktivität und ein stärker ausgeprägtes digitales Ökosystem zu. Köln konnte dagegen bei der digitalen Infrastruktur eine bessere Bewertung erzielen. Die Größe der Kreativ- und Medienwirtschaft sowie die Arbeitsmarkt- und Ausbildungssituation wurden an beiden Standorten als sehr gut bewertet.