Als Dietmar Schönherr vor mehr als 45 Jahren die erste Talkshow im deutschen Fernsehen moderierte, musste er seinem Publikum erst mal erklären, worum es eigentlich geht. "Ehrlich, wir haben das auch nicht so gewusst", räumte der Moderator damals ein und kam schließlich auf den Punkt: "Talk kommt von to talk, reden, das Ganze ist also eine Rederei."
Von diesem Abend an wurde im Fernsehen viel geredet, vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen. Während die Privatsender das Genre in den vergangenen Jahren zunehmend vernachlässigt haben, vergeht bei ARD und ZDF kaum ein Tag, an dem keine Talkshow läuft. Nicht ganz zu Unrecht war schon vor einigen Jahren von einer Talk-Schwemme die Rede, bei der Reinhold Beckmann auf der Strecke blieb. Auch ohne ihn sind noch heute alleine im Ersten wöchentlich drei Shows zu sehen, in denen vorwiegend politische Themen besprochen werden.
Doch es scheint, als herrsche beim Publikum mittlerweile ein gewisser Überdruss vor. Mit der jüngsten Quoten-Entwicklung der Talkshows kann man bei der ARD jedenfalls nicht zufrieden sein. Vergleicht man den Zeitraum zwischen September und heute mit dem Vorjahreszeitraum, dann fällt auf, dass sowohl "Anne Will" als auch "Hart aber fair" und "Maischberger" Zuschauer verloren haben.
"Zuschauereinbußen im Programmvorlauf"
Am augenscheinlichsten ist das Minus bei "Anne Will", die nach dem "Tatort" im Schnitt nicht mal mehr dreieinhalb Millionen Zuschauer erreicht. Seit dem Jahreswechsel verfehlten drei Ausgaben sogar die Marke von drei Millionen. Moderatorin Anne Will führte vor knapp einem Jahr im Gespräch mit DWDL.de eine Art "'Gewöhnungseffekt' an die Regierungsführung von zum Beispiel Donald Trump und Recep Tayip Erdogan" als Grund an. Diese Themen hätten noch ein Jahr zuvor für großes Publikumsinteresse gesorgt. Seit dieser Aussage hat sich der Quoten-Abwärtstrend allerdings noch weiter verschärft.
Tatsächlich fällt etwa mit Blick auf den Mittwochabend auf, dass die Spielfilme um 20:15 Uhr ein ganzes Stück schwächer laufen als noch im Jahr zuvor. Das wiederum wirkt sich erst auf das Wirtschaftsmagazin "Plusminus" und in der Folge auch auf "Maischberger" aus. "Die Redaktionen unserer Talkformate überprüfen laufend Relevanz, Qualität und Aktualität ihrer Sendungen und bemühen sich um eine bestmögliche, das heißt informative und ausgewogene Themen- und Gästeauswahl", so Herres. "Die Analyse der Zuschauerzahlen zeigt aber klar: Je mehr Menschen wir für unser Hauptprogramm ab 20:15 Uhr gewinnen können, umso reichweitenstärker sind wir auch bei den Talkshows im Anschluss."
Bald noch mehr Talks im Ersten?
Die Logik offenbart jedoch ein Dilemma: Die Abhängigkeit vom Erfolg des Vorprogramms bedeutet nämlich im Umkehrschluss, dass es den Polittalks selten gelingt, einen echten Einschaltimpuls auszulösen - der aber wäre gerade jetzt, da der Vorlauf mitunter schwächelt, dringend nötig. Allerdings ist die Ursache letztlich dann doch nicht allein beim Vorprogramm zu suchen: Als "Anne Will" Mitte März nach dem quotenstarken Münster-"Tatort" mit mehr als 13 Millionen Zuschauern lief, hielt der Talk im Anschluss fast genauso viele Zuschauer vor dem Fernseher wie zwei Wochen später nach einem deutlich schlechter eingeschalteten Krimi.
Womöglich ist also wirklich etwas dran an der Theorie der Ermüdungserscheinungen - wobei die vor allem die ARD treffen und weniger das ZDF, wo die Quoten von "Maybrit Illner" seit Jahren erstaunlich konstant sind. Das wiederum wirft zwangsläufig die Frage, ob die ARD in ihrem Hauptprogramm dauerhaft mit drei Talkshows ins Rennen gehen möchte. Hinsichtlich dessen will sich Programmdirektor Volker Herres nicht in die Karten schauen lassen. "Über Laufzeiten von Verträgen, die ja Bestandteil der Vertragskonditionen sind, können wir keine Auskunft geben", sagt er zu DWDL.de. "Anstehende Vertragsverlängerungen werden wir, sofern beschlossen, aber rechtzeitig bekannt geben."
Gut möglich jedoch, dass es perspektivisch eher noch mehr Talks im Ersten zu sehen geben wird, schließlich machten jüngst Spekulationen die Runde, wonach die beliebten und thematisch ungleich bunteren Talkshows der Dritten mit zusätzlichen Ausgaben den Weg ins Hauptprogramm schaffen könnten. "Es gibt solche Überlegungen", räumt Herres auf Nachfrage ein, "aber nach wie vor noch keine konkreten Planungen, über die wir jetzt schon berichten könnten." Ein Ende der Rederei scheint also vorerst nicht in Sicht.