Am nächsten Tag fuhr ich Leo Kirch zum Mittagessen in sein Haus in München-Bogenhausen. Er war ein außergewöhnlich großzügiger Arbeitgeber und hatte mir gerade einen nagelneuen Golf 16V als Dienstwagen spendiert, eine wahre Rakete, die mir natürlich große Freude bereitete. Wir fuhren also im neuen Golf 16V durch die Bahnhofstraße in Unterföhring. Damals gab es noch keinen S-Bahnhof mit Unterführung - der wurde erst zehn Jahre später gebaut, vornehmlich finanziert durch die fetten Gewerbesteuern, die ProSieben Jahr für Jahr an die Gemeinde Unterföhring abgeführt hat. Wir fuhren also auf die S-Bahn Gleise zu und ich hielt an, da sich in dem Moment die Bahnschranken senkten. Da sagte Kirch ganz unvermittelt: „Wie wäre es denn, wenn wir den dicken Schmidt zum Geschäftsführer von Eureka machen würden?“

Es gab mehrere Schmidts in der Kirchgruppe, und zwecks Differenzierung nannte Kirch den damaligen Geschäftsführer der Unitel, seiner Firma für klassische Musik, aufgrund seines üppigen Leibesumfangs eben den dicken Schmidt. Herr Schmidt ging auf die 65 zu und stand kurz vor der Pensionierung. In mir kochte ein veritabler Wutanfall hoch: „Aber Herr Kirch“, sagte ich in höchst erregtem Ton und Gestus, „das geht ja überhaupt nicht! Wir wollen einen jungen, innovativen Fernsehsender machen, davon hat der dicke Schmidt doch keine Ahnung und außerdem können wir für diese Aufgabe doch keinen Pensionisten einstellen! Wie soll der denn den Werbekunden einen jungen Sender verkaufen?“ In meinem Eifer hatte ich gar nicht bemerkt, dass die Schranken wieder oben waren. Hinter uns hupte ein Auto und Kirch meinte beschwichtigend: „Kofler, jetzt beruhige Dich mal, fahr weiter, wir können ja nicht den ganzen Verkehr aufhalten!“ Ich siezte Kirch damals, er duzte mich als Kofler.



Es war Freitagmittag, und als Kirch aus meinem Auto stieg, fragte er mich: „Hast Du einen besseren Vorschlag?“ „Geben Sie mir Zeit bis Montag“, antwortete ich, „dann komme ich mit einem Vorschlag“. Am Wochenende ging ich in die Garmischer Berge zum Klettern. In der klaren Bergluft wurde mir bewusst: das ist mein Ding, meine Chance, ich muss diesen Sender machen. Ich war so fest entschlossen und steigerte mich in diese Vorstellung derart hinein, dass ich sofort gekündigt hätte, wenn die Kirchs jemand anderem den Vorzug gegeben hätten. Ich hatte den neuen Sender quasi schon im Kopf, es wäre für mich einfach unerträglich gewesen, einem anderen Geschäftsführer aus der Kirchgruppe heraus zu erklären, wie wir uns Programmschema, Positionierung, Ansprache der Werbekunden und andere Kernelemente des neuen Fernsehunternehmens vorstellten. Ich wollte, ich musste das selber machen.

Am Montag um 10 Uhr, gleich nach seiner Ankunft, rief mich Kirch in sein Büro. „Und, Kofler, was hast Du Dir überlegt?“ „Ich möchte Geschäftsführer von Eureka werden“, sagte ich. „Ich will das unbedingt machen und ich weiß ganz genau, dass ich es gut machen werde. Sie werden es nicht bereuen!“ Kirch lächelte. „Das habe ich mir schon gedacht“, sagte er. „Also mach es! Aber unter einer Bedingung: Du musst mir einen Nachfolger für Dich besorgen.“ Das Gespräch dauerte keine zehn Minuten. Ich stürmte aus dem Büro und rief Gottfried Zmeck an. Er war zu dieser Zeit Korrespondent des ORF in London. Ich kannte ihn gut aus meiner Zeit beim ORF. „Gottfried“, rief ich ins Telefon, „ich habe einen neuen Job für Dich“. Einen Monat später war er Bürochef bei Kirch.

Am 13. Oktober 1988, einem sonnigen Donnerstag, wurde ich im Notariat Geimer/Stosch in München zum Geschäftsführer der Eureka Television GmbH bestellt. Einige Berater von Kirch und andere übliche Besserwisser waren fassungslos. Wie bitte, dieser Kofler mit 31 Jahren, null Führungserfahrung, soll einen insolvenzgefährdeten Fernsehsender inmitten einer medienpolitisch höchst komplexen Lage übernehmen und daraus ein neues Fernsehunternehmen formen? Kirch blieb gelassen. „Der Kofler kann das“, sagte er. An diesem Tag wurden auch die Kaufverträge für den Einstieg von Thomas Kirch bei Eureka TV unterzeichnet. Der junge Anwalt von Gerhard Ackermans, Dr. Bernhard Heiss, beeindruckte mich mit seiner souveränen und kompetenten Verhandlungsführung derart, dass ich ihn für ProSieben anwarb. Er begleitete ProSieben elf Jahre lang bis zu meinem Ausscheiden im Januar 2000. Bernhard Heiss ist vor kurzem an einer schweren Krankheit gestorben, unfassbar mitten aus einem aktiven, sportlichen Leben gerissen. Ihm sei auch dieser Beitrag gewidmet.

Georg Kofler
Vom Bürochef zum Senderchef - binnen weniger Wochen: Georg Kofler

Leo Kirch war im kleinen Kreis ein faszinierender, immer interessanter und auch höchst amüsanter Gesprächspartner. Er liebte zugespitzte Darstellungen und Pointen. Und so erzählte er auch des Öfteren über meine Bestellung zum Geschäftsführer der Eureka Television. „Der Kofler“, so pflegte er auszuführen, „hat mich in seinem Auto zum Mittagessen gefahren. Wir fuhren auf die Bahngleise in Unterföhring zu und ich fragte ihn, ob wir vielleicht den dicken Schmidt zum Geschäftsführer von Eureka machen sollten. Daraufhin bekam der Kofler einen derartigen Wutanfall, dass er mit dem Auto mitten auf dem S-Bahngleis stehen geblieben ist. Der hat sich so echauffiert, dass er das Autofahren glatt vergessen hat. Ich bekam eine Riesenangst, dass wir von der S-Bahn überfahren würden. Da habe ich ihm ganz schnell gesagt: Okay, Kofler, Du hast ja recht, wir machen Dich zum Geschäftsführer. Aber jetzt fahr bitte weiter!“

Ich packte bei Eureka kräftig an. Innerhalb weniger Wochen reduzierte ich die Mannschaft von 160 auf 40 Mitarbeiter. Alles einvernehmliche Aufhebungen, gemeinsam mit dem Betriebsrat. Keine einzige Kündigung. Gleichzeitig musste das neue Programm vorbereitet werden, neues Design, neues Logo und: natürlich ein neuer Name. Ich wollte unbedingt einen Namen mit einer einstelligen Zahl, damit uns die Zuschauer möglichst leicht auf ihrer Fernbedienung finden konnten. Außerdem sollte diese Zahl möglichst wenig mit einem schon bestehenden Programm zu tun haben. Also folgende Überlegung: Die Eins war bei der ARD, die Zwei beim ZDF, auf der Taste Drei waren üblicherweise die dritten Programme eingestellt, die Vier gefiel mir nicht, die Fünf war schon mit dem damaligen Musiksender Tele 5 belegt, die Sechs konnte auch mit x zweideutig missverstanden werden (man stelle sich vor: ProSechs!), und dann kam die Sieben.

Die Sieben, eine herrliche Zahl. Aufgeladen mit Kulturgeschichte, Mythen, für viele eine Glückszahl. Also her damit, da gab es nichts zu diskutieren, kein Zögern, klare Sache. Aber was noch dazu? TV Sieben, Tele Sieben, SAT Sieben, was geht noch? Wir bieten ja ein Fernsehprogramm, ein Programm, aha, also ein Programm Sieben, abgekürzt ProSieben. Und es klingt ja auch positiv, irgendwie proaktiv, und - so fügte ich in der ersten Pressekonferenz meines Lebens hinzu - es sollte auch für Pro-fessionalität stehen und in absehbarer Zeit auch für Pro-fit.

Der Zeitplan für den neuen Sender ProSieben war extrem ehrgeizig: es war Mitte Oktober 1988 - heute genau dreißig Jahre her - als ich bei Eureka TV anfing und ich wollte mit ProSieben unbedingt zu Beginn des neuen Jahres 1989 auf Sendung gehen; um Mitternacht genau zum Jahreswechsel. Mit meiner kleinen, jungen Mannschaft, die ich in wenigen Wochen geformt hatte, arbeitete ich fieberhaft an den verschiedenen Fronten: Programm, Design, Präsentationen bei den Mediaagenturen und bei den wichtigsten Werbekunden, Pricing für die Werbespots, Sendetechnik, technische Verbreitung, Finanzen.

Fortsetzung am Sonntag

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