Der Donnerstag in Hamburg war mal wieder so ein Tag, an dem die ARD fleißig Lobbyarbeit in eigener Sache betrieben hat. Gegenüber Werbekunden, gegenüber Zweiflern am öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsauftrag und nicht zuletzt sich selbst gegenüber. Geübte Tradition ist die jährliche ARD-Medienlese, bei der die ARD-Werbung Sales & Services ihren hundert wichtigsten Kunden die Vorzüge der Spot-Platzierung im Ersten unter die Nase reibt.
Geschäftsführerin Elke Schneiderbanger hatte zum Dinner ins neue Hamburger Luxushotel The Fontenay von Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne geladen und strahlte vor lauter Vorabend-Quotenerfolg. Kai Pflaume – nicht nur Moderator des Abends, sondern mit seinem Quiz "Wer weiß denn sowas?" auch einer der Protagonisten des Aufschwungs – wollte von der Vermarktungschefin denn auch gleich wissen, ob man angesichts dieser Erfolgssträhne "überhaupt noch aktiv vermarkten" müsse. "Im Radio haben wir mehr zu tun", entgegnete Schneiderbanger und rechnete vor, dass die Quizschiene am Vorabend seit 2014 deutlich über 50 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen zugelegt habe. Auf Spitzen von bis zu 4,5 Millionen Zuschauern insgesamt sei man entsprechend stolz.
ARD-Programmdirektor Volker Herres ließ sich in seiner Rede vor der Hauptspeise gar zu einer Quotenwette hinreißen. "Können wir neue Rekorde erwarten? Wird die 5-Millionen-Marke fallen?", fragte er Kai Pflaume mit Blick auf die kommende Staffel von "Wer weiß denn sowas?", die am 1. Oktober startet. Während der Moderator sich mit einem "Noch nicht in der ersten Woche" charmant aus der Affäre zog, wettete Herres auf die genannte Zahl und stellte eine Essenseinladung für Pflaume, Bernhard Hoëcker und Elton in Aussicht.
Zwei sehr unterschiedliche Serien waren ebenfalls Gegenstand von Herres' Worten. Im Zusammenhang mit "Babylon Berlin", dessen Free-TV-Premiere (O-Ton Herres: "also die eigentliche Premiere") am 30. September im Ersten ansteht, sagte er: "Die Handlung spielt zur Zeit der Weimarer Republik, die als erste deutsche Demokratie gescheitert ist, weil sie ihre Mitte nicht fand. Aktueller kann eine Serie wohl kaum sein." Für die etwas leichteren Gefilde ist ab 1. November, wiederum am Vorabend, ein weiteres Spin-off des Klinik-Klassikers "In aller Freundschaft" zuständig, nämlich "Die Krankenschwestern". Von Jana Brandt, der zuständigen Fiction-Chefin des MDR, erhoffe er sich in Zukunft weitere Ableger des Erfolgsmodells. "Ich träume gerade von 'In aller Freundschaft – Die Welpenklinik'", rief die Angesprochene dem Programmdirektor zu.
NDR-Fernsehdirektor und ARD-Vorabendkoordinator Frank Beckmann durfte sich für die ARD-Quiz-App feiern lassen, die nach seinen Angaben eine Million Downloads sowie 100.000 aktive Spieler während der Sendungen verzeichnet. "Noch schöner wär's natürlich, wenn wir die App auch vermarkten dürften", so Elke Schneiderbanger. "Aber das ist eine Frage für die Staatskanzleien und Medienpolitiker." HR-Intendant Manfred Krupp verteidigte die Werbung bei ARD und ZDF einmal mehr als "elementaren Bestandteil der dualen Finanzierung". Verabschiedet wurde Schneiderbangers Co-Geschäftsführer Bernhard Cromm, der zum Jahresende in den Ruhestand geht.
Sowohl Herres als auch Pflaume hatten bei der Medienlese bereits den zweiten Auftritt des Tages. Tagsüber legten sie sich beim erstmals veranstalteten ARD-Unterhaltungsgipfel ins Zeug, der fast alle bekannten Show-Gesichter des Ersten versammelte und laut Herres "prophylaktisch gegen elitäre Griesgrämigkeit" wirken sollte. Moderatorin Barbara Schöneberger befragte ihre zahlreichen männlichen Kollegen von Jörg Pilawa bis Florian Silbereisen ("zusammengerechnet 500 Millionen Zuschauer, aber nur ein Hochschulabschluss"), was immer dann unfreiwillig komisch wurde, wenn es Sticheleien gegen die Privat-TV-Konkurrenz setzte. "Will mich mal jemand was fragen?", so Schöneberger, als sie ablaufgemäß auf den ESC zu sprechen kommen sollte. "Warum moderierst du bei RTL?", fragte Pilawa stattdessen.
ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber ging es mit dem Gipfel, zu dem Senderhierarchen, Gremienvertreter, Produzenten und Journalisten eingeladen waren, in erster Linie darum, selbstbewusster aufzutreten und dafür zu sorgen, dass Information und Fiktion der Unterhaltung nicht noch mehr vom Programmbudget wegschnappen. NDR-Intendant Lutz Marmor hob zudem die "verbindende Funktion als gesellschaftlichen Nutzen" hervor, womit die Unterhaltung aus seiner Sicht zum öffentlich-rechtlichen Grundauftrag gehöre. "Eine Abschaffung würde uns erheblich schwächen."
Wer spät am Abend nach der Medienlese Zeuge wurde, wie ein halbes Dutzend ARD-Intendanten beim Gin Tonic ausgelassen zur Partymusik von Giovanni Zarrellas Vintage-Vegas-Trio tanzte und ausdauernd in die Luft sprang, dürfte das wahre Herz für Unterhaltung an der Spitze des Anstaltsverbunds erlebt haben.