Es scheint ganz so, als habe es vor einigen Monaten eine Art Weckruf für die deutsche Fernsehbranche gegeben, der von Köln bis Unterföhring schallte - jedenfalls kündigten in den letzten Wochen sowohl die Mediengruppe RTL Deutschland als auch ProSiebenSat.1 an, ihre Streaming-Angebote deutlich ausbauen zu wollen. Und das scheint auch dringend notwendig, steht doch außer Frage, dass sich die TV-Nutzung insbesondere bei jüngeren Zielgruppen weg vom linearen Konsum verlagert.
Dass die klassische TV-Nutzung unverändert hoch bleibt, liegt schließlich vor allem daran, dass die älteren Zuschauer den Fernseher immer länger laufen lassen. In den kommenden Monaten sollte sich also einiges tun, sowohl bei TV Now der RTL-Gruppe als auch bei 7TV, das ProSiebenSat.1 gemeinsam mit Discovery betreibt und das zu einem offenen Portal mit zahlreichen weiteren Partnern ausgebaut werden soll. Doch wo stehen die Angebote eigentlich heute? Wir haben uns die Angebote angeschaut und stellen im Folgenden die Unterschiede und die Probleme dar.
RTL-Gruppe bittet schneller zur Kasse
Bei ProSiebenSat.1 ist die Sache einfach: 7TV ist ebenso wie die Video-Angebote auf den einzelnen Sender-Websites generell kostenfrei, egal ob man Sendungen auf Abruf oder live sehen will, egal auf welchem Endgerät, ob Website, App oder Smart-TV. Für die Nutzung der Livestreams ist eine Registrierung notwendig, sie ist aber nicht mit weiteren Kosten verbunden. Bekanntlich existieren Pläne, auch Bezahl-Angebote in die Plattform zu integrieren - wie etwa das in direkter Konkurrenz zu Netflix und Prime Video agierende Maxdome. Derzeit ist es aber noch nicht soweit.
Bei der Mediengruppe RTL Deutschland ist es schon jetzt ein ganzes Stück komplizierter. Wer Sendungen, die schon im Fernsehen liefen – also das so genannte „Catch-Up-Angebot“ - nachholen will, der kann das für in der Regel mindestens sieben und bis zu 30 Tage kostenfrei und ohne Registrierung tun – zumindest wenn er die Website nutzt, ob am Desktop-Computer oder auf mobilen Endgeräten.
Für alles andere ist hingegen ein kostenpflichtiges „TVNow Plus“-Abo nötig. Mit 2,99 Euro ist es zwar nicht hochpreisig und zudem monatlich kündbar, die RTL-Gruppe bittet ihre Zuschauer aber damit für viele Dinge zur Kasse, die bei der Konkurrenz kostenfrei sind. Die App für Smartphone oder Tablet etwa lässt sich nur mit diesem kostenpflichtigen Abo nutzen, auch das Streaming aufs Smart-TV ist nur in der kostenpflichtigen Variante ohne Weiteres möglich. Die Nutzung der Live-Streams ist ebenfalls generell nur für zahlende Kunden möglich.
Werbung mit größtmöglichem Nerv-Faktor
Nutzer von Netflix & Co. sind in Sachen Werbung natürlich verwöhnt, selbst die Einblendung von Trailern löst dort schon Proteste aus. Als werbefinanzierte Sender setzen die Mediengruppe RTL und ProSiebenSat.1 natürlich auch bei ihren Online-Abrufangeboten hauptsächlich auf eine Werbefinanzierung. Um so dringender stellt sich allerdings insbesondere bei ProSiebenSat.1 die Frage, wieso die Einbindung der Werbung derart nutzerunfreundlich geschehen muss.
Zunächst mal laufen vor dem Start eines Videos die üblichen „Pre-Roll“-Clips, bei unserem Test waren es in der Regel zwei an der Zahl. Problematisch ist aber die Unterbrecherwerbung während einer Sendung. Die Sendung wird bei 7TV und den Online-Abrufangeboten auf den Senderwebsites von ProSiebenSat.1 in gleich lange Blöcke eingeteilt, nach denen jeweils unvermittelt die Werbeblöcke eingeblendet werden – ohne Rücksicht darauf, ob eine Szene zu Ende ist oder auch nur ein Satz oder wenigstens Wort zu Ende gesprochen. Das ist Fernsehen zum Abgewöhnen. Bei unserem Test kamen in der Regel übrigens vier Spots pro Unterbrechung, man musste so rund eineinhalb Minuten warten, um den Satz zu Ende zu hören.
Bei der RTL-Gruppe kann man zumindest die Bemühungen sehen, die Sendungen an etwas sinnvolleren Stellen für Werbung zu unterbrechen. Auch dort muss man sich allerdings eines Krückstocks bedienen: In der kostenfreien Variante werden Sendungen in mehrere "Kapitel" aufgeteilt, die de facto schlicht separate Videos sind, zwischen denen dann die Werbespots gezeigt werden. Etwas unschöner Nebeneffekt: Nach dem Ende jedes Kapitels muss man zehn Sekunden bis zum Start des nächsten Videos warten. Die Kapitel-Unterteilung wird offenbar manuell festgelegt, das Finden geeigneter Unterbrechungen gelingt dabei mal mehr, mal weniger gut – eine Verbesserung im Vergleich zum ProSiebenSat.1-Verfahren ist es aber allemal. Kunden des kostenpflichtigen TVNow Plus können sich zwar nicht ganz von der Werbung befreien, erhalten aber nur noch die Spots zu Beginn und nach Ende der kompletten Sendung, die Kapitel-Einteilung entfällt dann. Kapitel-Einteilungen gibt es zwar auch bei 7TV bei manchen Formaten - sie werden aber trotzdem auch innerhalb der Kapitel durch Werbung unterbrochen.
Spots in Heavy Rotation
Nutzerfreundlich wäre es auch, wenn man den Zuschauern direkt deutlich macht, wie lange die Werbeunterbrechung dauert. Am Computer ist das bei TVNow mustergültig gelöst: Die Gesamtlänge aller Spots zusammengenommen lässt sich am Statusbalken ablesen - bei 7TV ist hingegen weder erstichtlich, wieviele Spots zu sehen sein werden noch, wie lange diese dauern. In der App ist es umgekehrt: Hier ließ TVNow bei unserem Test die Nutzer im Dunkeln, während 7TV immerhin die Anzahl der Spots anzeigte. Generell fielen in unserem Test-Zeitraum die Unterbrechungen bei 7TV deutlich länger aus als bei TVNow. Bei beiden fällt aber auf: Auch wenn Video-Online-Werbung gerne als boomendes Geschäft dargestellt wird, scheint das Repertoire verschiedener Spots doch sehr überschaubar. Die immer gleichen Spots wiederholen sich so immer wieder. Man darf sich schon fragen, ab welcher Penetranz der werbliche Effekt von der Genervtheit durch die immer gleichen Spots überlagert wird.