“Hau die Kohle aus dem Flöz!”, hallt es von deinem bereits selbst ins Schwitzen gekommenen Kollegen durch die Weite des Raums. Während du dich auf die Suche nach der Spitzhacke begibst, erkennst du einen engen Bergbau, der scheinbar nur von wenigen Holzbalken getragen wird. Wind weht durch die Gänge, die Erde ruckelt. Die Hände, mit denen du nach dem Werkzeug suchst, ähneln zwar den eigenen. Sie sind es jedoch nicht.
Willkommen im digitalen Bergwerk, dessen Pforten neuerdings geöffnet haben.
Dank moderner VR-Brille samt passender Controller steht der Spieler in einem verblüffend echt wirkendem Szenario, in dem die Arbeit eines Kumpels nacherlebt wird. Dass hier alles so authentisch wirkt, hängt damit zusammen, dass der WDR viel Zeit in sein neues High-Tech-Projekt gesteckt hat, das nun in Bottrop, genauer gesagt im letzten aktiven Steinkohle-Bergwerk des Ruhrgebiets, vorgestellt wurde. Ein Jahr lang wurde an der Umsetzung getüftelt. Im sogenannten Prosper-Haniel entstand das "Bergwerk 360 Grad", das es den Nutzern auf drei verschiedene Weisen ermöglicht, wie ein Kumpel durch einen digitalen Bergbau zu laufen.
Die erste wurde bereits angedeutet. Mittels der Virtual Reality-Technik kann in ein Stück Ruhrgebietsgeschichte eingetaucht werden, das bisher nur wenige Menschen selbst erleben konnten. Wie in einem realitätsnahen Spiel lässt sich in 360 Grad erleben, wie die Kumpel-Kollegen vor 100 Jahren zusammengearbeitet haben und wie die Arbeitsbedingungen auch heute noch sind. Gleichzeitig darf auch selbst Hand angelegt werden, um an die begehrte Steinkohle heranzukommen. Dabei ist es dreckig, eng und laut. Vermittelt werden diese Bestände vom WDR mittels einer 4D-Erfahrung. Durch Wärmestrahlen, Ventilatoren und Bodenvibration kann der echten Arbeitstätigkeit überraschend nahe gekommen werden. “Hätte nicht gedacht, dass man auch da ins Schwitzen kommt”, verrät ein Kumpel nach dem Selbsttest.
Weil vermutlich niemand ein solches Setup in den eigenen vier Wänden stehen hat, transportiert der WDR diese Erfahrung demnächst zur Gamescom nach Köln, zur Internationalen Funkausstellung nach Berlin und zum NRW-Tag nach Essen. Geplant ist außerdem, die VR-Tour mit einem Truck an Schulen, Museen und öffentlichen Plätzen in NRW vorzustellen.
“Dieses Projekt lässt den Bergbau auch für nachfolgende Generationen weiterleben", erklärt WDR-Intendant Tom Buhrow und geht damit auf die Worte seines Kollegen Stefan Moll ein, dem Leiter des WDR-Online Angebots. Mit dem “Kölner Dom in 360 Grad und VR” hat er mit seinem Team bereits den Grimme Online Award gewonnen. Und jetzt geht's also unter Tage. "Mit dem technischen Aufwand, den wir betrieben haben, ist unser Bergwerk-Erlebnis nicht nur sehbar, sondern vor allem erlebbar", betont Moll und verweist stolz darauf, dass bei der Umsetzung das derzeitige "Top der Technik" zum Einsatz gekommen ist. "Das wird für die nächsten zehn Jahre den Standard darstellen." Da das Bergwerk Prosper Haniel Ende des Jahres schließt, wird kein anderes Team das Gegenteil beweisen können. Wenn es am 21. Dezember soweit ist, dass die Kumpel ihre Pforten für immer verriegeln, wird der Radiosender WDR 2 übrigens mit seiner Morgensendung live dabei sein.
Die zwei weiteren Optionen des Projekt sind in der heimischen Handhabung jedoch deutlich einfacher. So kann in einer Augmented Reality, für die einzig eine VR-Brille benötigt wird, in einer auf echten Bildern basierenden Welt das Bergwerk erkundet werden. Der Unterschied zum erstgenannten VR-Erlebnis besteht darin, dass kein Szenario durchgespielt wird. Anstatt die Spitzhacke zu schwingen, wird hier von Schauplatz zu Schauplatz gesprungen. Die beiden Sprecher - WDR2-Moderatorin Sabine Heinrich und Schauspieler Peter Nottmeier - erzählen dann jeweils, was zu sehen ist und wie mit den Mitteln gearbeitet wird, die plötzlich vor einem auftauchen. Auch diese Möglichkeit wird bei der Gamescom & Co. zu testen sein, ehe sie in absehbarer Zeit ebenfalls über die Spieleplattform Steam abrufbar sein soll.
Zu guter Letzt kann der Nutzer auf glueckauf.wdr.de auch komplett ohne VR-Technik auskommen. In einer interaktiven 360 Grad Rundumsicht lässt sich beispielsweise "Ein Kumpel-Tag mit Andy" erleben. Aus der Ego-Perspektive ist der Spieler dann quasi dabei, wie er zusammen mit dem Kumpel in 1.200 Meter Tiefe steigt. Andy, der mit vollem Namen Andreas Schreiter heißt, ist wie auch seine Kollegen vom fertigen Projekt begeistert: "Da hat man was für die Zukunft, das man stolz seinen Enkelkindern zeigen kann", sagt er in seinem Pott-Dialekt. Das digitale Kulturerbe, das den WDR schätzungsgemäß eine halbe Million Euro gekostet hat, zeigt neben dem "Kölner Dom in 360 Grad und VR" also, mit welchen Möglichkeiten die Vergangenheit erlebbar konserviert werden kann.